Die Playlist heißt "FFF Heartbreak", Fridays for Future Herzschmerz, ich habe sie vor zwei Jahren erstellt, in einem politisch besonders frustrierenden Moment.
Die Klimapolitik stagnierte zu der Zeit, und mehr als das, wir hatten das Gefühl, unsere Naivität verloren zu haben.
Die Zeilen des ersten Songs der Playlist gehen so: "Denn mir ist klar, es wird nie mehr, wie es war / Es ist nachts, ich bin wach und ich denk an dich." Eine Weile später kam eine "FFF Comeback"-Playlist dazu, natürlich mit dem Disclaimer von Rapper LL Cool J: "Don’t Call it a comeback, I been here for years." Große soziale Bewegungen verlaufen immer in Wellen – Comeback und Heartbreak, zwischen Wachstum und Phasen niedriger Mobilisierung.
Sozialer Wandel ist kompliziert – gerade deshalb weiß man oft erst im Rückblick, in welcher Phase die Klimabewegung zuletzt war. Wenn man beide Playlists hintereinander hört, ist unklar, was genau die Lieder auf der Fridays-for-Future-Heartbreak- von denen auf der Comeback-Playlist trennt. Haller singt: "Ich war doch gerade noch am Start / Jetzt bin ich wieder abgefuckt" und Kummer singt: "Die Welt ist am Arsch / Aber alles wird gut."
Letztlich ist die Bewegung gegen die Klimakrise immer von beidem geprägt, von Heartbreak und Comeback, von Schönem und Anstrengendem zugleich. Bevor ich Aktivistin bei Fridays for Future wurde, habe ich kaum Musik gehört, heute sind es viele Stunden am Tag. Manchmal drehe ich die Lautstärke auf, lege mich hin und lasse ein Lied mit Nachdruck durch meinen Kopf hallen. Meistens aber höre ich Musik nebenbei, während ich Mails beantworte, Proteste organisiere, Kampagnen plane. Zahllose Lieder sind für mich unwiderruflich mit dem Sound verbunden, der unsere Bewegung begleitet.
Im Frühling 2019, ich bin 16 Jahre alt, hallen Die Ärzte durch die großen Soundanlagen:
"Es ist nicht Deine Schuld, dass die Welt ist, wie sie ist / Es wär nur Deine Schuld, wenn sie so bleibt."
Ich laufe durch Frankfurt bei einem der ersten Klimastreiks, die wir organisiert haben. Jede Woche waren wir dreimal so viele wie in der Woche davor, lernten Demos besser zu planen und hatten es endlich geschafft, große Musik-Boxen zu organisieren. Die Straßen sind breit, unsere Rufe hallen durch die ganze Stadt, es fühlt sich an, als würde die Zukunft uns gehören.
Anderthalb Jahre später laufen die gleichen Song-Zeilen, diesmal stehe ich in Berlin, es ist Herbst 2020, Corona und wir haben uns wochenlang den Kopf zerbrochen: Wie organisiert man politischen Protest in einer Pandemie? Unsere Gespräche kreisen Tag für Tag um Sicherheits- und Hygiene-Konzepte, dann ist es so weit: Der globale Klimastreik geht los, stundenlang haben wir mit Mehl Punkte auf die Straße gemalt, für jede Person einen, um Abstände zu markieren. Wie jedes Mal bin ich nervös, ob überhaupt jemand kommen wird. An dem Tag kommen über 200.000 Menschen zum Klimastreik. Trotz Pandemie, trotz Regen.
Wieder zweieinhalb Jahre später, Sommer 2023. Im Lüneburger Kurpark findet der Sommerkongress von Fridays for Future statt. Hunderte junge Menschen, die bei Fridays for Future aktiv sind oder es werden wollen, treffen sich, diskutieren in Workshops, demonstrieren und tanzen. Die Stimmung ist unerwartet gut.
Unerwartet, weil die Umstände eigentlich gegen uns sprechen: Die halbe Legislaturperiode der Ampelkoalition ist vorbei und es gibt Pläne, das von uns erkämpfte Klimaschutzgesetz nach der Sommerpause aufzuweichen. Und die halbe Welt brennt entweder wie Kanada, ist mit dem heißesten Juli seit Beginn der Wetteraufzeichnungen völlig überhitzt oder steht unter Wasser.
Die Lage ist schlecht, wir haben schon viel verloren. Gleichzeitig befinden wir uns in einem schmalen Zeitfenster, in dem wir wirklich noch beeinflussen können, dass die Lage besser oder zumindest weniger schlecht wird. Und diese beiden Lageeinschätzungen müssen und können gleichzeitig existieren. Fridays for Future bringt Weltuntergang und Lebenslust zusammen, weil jedes Zehntel Grad Erwärmung weniger Leid, mehr Freiheit und mehr Zukunft bedeutet.
Wären wir verbittert und frustriert, könnten wir nicht fünf Jahre nach Gretas erstem Klimastreik immer noch regelmäßig Hunderttausende Menschen in Deutschland auf die Straße bringen.
"Hurra, diese Welt geht unter!", singt Henning May. Und wir unternehmen etwas dagegen.
Am zweiten Abend vom Sommerkongress tritt die Band Ok Kid auf. "Sie haben den Abgesang auf uns schon oft geübt / Doch noch lang nicht das Ende vom Lied / Und dann falln wir uns in die Arme und lassen uns nicht mehr los / Ich hab' das so vermisst, das vergisst man nicht einfach so / Die Welt am Ende, aber wir haben noch Zeit / Mach dir keine Sorgen, nein die Kids sind alright." Wir tanzen. Nicht als Verdrängungstaktik, oder aus Zynismus. Wir tanzen, weil unsere gute Stimmung politisch ist. Sie schafft die Bedingungen, die uns ermöglichen, immer weiterzumachen.
Die gute Stimmung ist unsere Absage an den Untergang.
"Sie sagen: Die Jugend ist deprimiert" / Sie sei an Politik nicht interessiert / Sie meinen weiter, jeder kämpft alleine / Aber wieso sind wir dann so viele?", singen Provinz.
Es gibt viele Gründe, in der Klimakrise alle Hoffnung zu verlieren – im Grunde ist es der einfache Weg. Also gehen wir mit Fridays for Future den Schwierigen. Wir bauen Hoffnung auf, wir sehen Hoffnung in all dem Wandel, der bereits stattfindet, und manchmal müssen wir selbst Hoffnung sein. Das Balancieren lernen, zwischen Verdrängung und Verzweiflung wird für eine Gesellschaft in der Klimakrise immer wichtiger, denn die Zeit, die vor uns liegt, wird herausfordernd.
Wir verlassen gerade die schmale Temperaturspanne, in der die gesamte menschliche Zivilisation stattgefunden hat. Und das mit einer rasanten Geschwindigkeit.
"Everything is going wrong / But we're so happy", singen die Wombats.
Am Tag nach dem Konzert auf dem Sommerkongress sind wir wieder vor der Bühne versammelt. Diesmal tanzen wir nicht, sondern hören einer Diskussionsrunde zu. Es geht um die aktuelle Lage der Klimabewegung und wie es weitergehen kann. Der Soziologe und Protestforscher Sven Hillenkamp erklärt, warum unser Klimaaktivismus schwieriger und komplizierter geworden ist. Wir kämpfen nicht mehr um Grundsatzfragen, sondern um die Umsetzung von konkreten Klimamaßnahmen.
Die Anti-Klima-Kräfte, die wir vor einigen Jahren mit unserem Protest überrascht haben, formieren sich und werden zu neuen Gegnern. Svens Rat dazu bleibt mir im Kopf: "Don’t cry – fight."
"Don’t cry – fight" bedeutet nicht, dass wir nicht auch manchmal weinen können. Es bedeutet anzuerkennen, dass der Widerstand gegen effektive Klimapolitik groß ist, weil die Klimabewegung in den letzten Jahren erfolgreich war. Wir haben viel erreicht, aber nicht genug. Statt der Phase des einfachen Klima-Fortschritts hinterherzutrauern, müssen wir uns also darauf einstellen, dass es hart bleibt und härter wird. Die einzig richtige Antwort darauf ist, weiterzumachen, weiter auf die Straße zu gehen.
"Denn dass / Diese Welt nicht zusammenfällt / Liegt nur / Allein an deinen Beinen", singen Von Wegen Lisbeth.
Gerade planen junge Menschen weltweit und in Hunderten deutschen Städten große Klimastreiks für den 15. September. Alle sind herzlich eingeladen und ich kann versprechen: Die Stimmung wird gut sein, und die Musik laut. Auf vielen Demos werden größere und kleinere Bands und Musiker:innen live spielen.
Als die Diskussionsrunde mit Sven Hillenkamp und den anderen vorbei ist, lassen wir das Gespräch nachwirken. Und wir ergänzen den Ratschlag, den wir bekommen haben: "Don’t cry – fight. And have a party while you do".