Wir stehen auf dem Sonnendeck der Fähre nach Borkum und der Wind fegt uns durch die Haare. Über unseren Köpfen kreischt eine Möwe. Während um mich herum Plakate vorbereitet, Social Media Posts hochgeladen und Telefonate geführt werden, tippt mir eine Frau auf die Schulter.
Nach typisch norddeutscher Manier singe ich ihr ein fröhliches "Moin" entgegen, auf das sie keine passende Antwort zu finden scheint. Sie entscheidet sich dann für ein neutrales "Hallo" und fragt mich, ob wir auch auf dem Weg zum Klimacamp sind. Dieses Mal kommt meine Antwort etwas verzögert, weil ich den süddeutschen Dialekt kaum verstehe. Jaa! Wir sind auch auf dem Weg zum Camp!
An diesem Wochenende sind über 200 Menschen für das Klimacamp auf die idyllische Nordseeinsel Borkum gereist. Da, wo andere urlauben, organisieren wir Protest, gemeinsam mit den Locals. Und sie kommen nicht nur aus ganz Norddeutschland, sondern aus den Niederlanden, Berlin und Bayern. Denn es geht um so viel mehr als die Förderplattform, mit der One-Dyas in der Nordsee vor Borkum Erdgas fördern will. Schon jetzt ist klar, dass sie weitere Projekte planen.
Es geht um den absurden Gaswahn der neuen Bundesregierung, die mehr und mehr Erdgas will und sich damit über die planetaren Grenzen hinwegsetzt.
Die Entscheidung, die Bohrung vor Borkum zu genehmigen, obwohl noch Gerichtsverfahren ausstehen, wird vom niedersächsischen Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie mit dem "überwiegenden öffentlichen Interesse an einer sicheren Energieversorgung" begründet. Eine dreiste Lüge! Denn das Gas, das Deutschland aus der Bohrung vor Borkum überhaupt beziehen würde, deckt nur circa ein Prozent des jährlichen Gasverbrauchs in Deutschland.
Für dieses eine Prozent nimmt die Bundes- und Landesregierung dann einfach mal in Kauf, dass das Wattenmeer aufgrund der gewaltigen Schäden an der umliegenden Natur Gefahr läuft, seinen Status als UNESCO Weltnaturerbe zu verlieren.
Dass gefährliche Abwässer direkt in die Nordsee geleitet werden, empfindliche Arten wie Schweinswale massiv beeinträchtigt werden und die Insulaner:innen auf Borkum sich ernsthaft Sorgen um Erdbeben machen müssen. Beben, die Gasbohrungen im Groningerland ausgelöst haben, hat man zum Teil bis hier auf der Insel gespürt.
Den Höhepunkt erreicht diese Dreistigkeit aber dann, wenn One-Dyas allen Ernstes behauptet, die Produktion des fossilen Erdgases von der Plattform vor Borkum sei klimaneutral. Diese verkorkste Erklärung kommt daher, dass die Bohrplattform mit Strom vom nahegelegenen Windpark Riffgatt versorgt werden soll. Absurder geht es nicht: Erneuerbare Energien, um dreckiges fossiles Gas zu fördern.
Darüber hinaus ist die Förderung von Erdgas ohnehin nie klimaneutral, weil bei der Bohrung unvermeidbar Methan entweicht, das bis zu 84 Mal klimaschädlicher als CO₂ ist.
Borkum ist kein Einzelfall. Seitdem Katherina Reiche – die Personifizierung der Gas-Lobby – das Wirtschaftsministerium bezogen hat, wird in ganz Deutschland gleichzeitig Klimaschutz zurückgedreht und die Erdgas-Infrastruktur ausgebaut. Und das auf Hochtouren: In Zehdenick in der Uckermark soll nach fossilem Gas gebohrt werden, in Reichling am Ammersee steht der Bohrturm für die Probebohrungen bereits und in Wilhelmshaven, auf Rügen und in Brunsbüttel gibt es mittlerweile Flüssiggas Terminals.
All das, obwohl es in Deutschland keine Gasmangellage mehr gibt. Das Gas, für das all diese Gefahren in Kauf genommen werden, brauchen wir also nicht einmal.
Die offensichtliche Folge: Der Ausbau von erneuerbaren Energien kommt nicht mehr voran. Investitionen werden nicht getätigt, weil die Signale aus der Bundesregierung die Investor:innen verunsichern. Und vom Klimacamp auf Borkum aus muss man nicht lange suchen, um Beispiele für diese Entwicklung zu finden. Im Hafen werden Wohnanlagen für Arbeiter:innen der Offshore Windparks gebaut. Sie waren als mögliches zweites wirtschaftliches Standbein für die Stadt Borkum gedacht.
Doch der zweite Bauabschnitt findet nicht statt. Die Unsicherheiten durch die Signale der Bundesregierung sind zu groß. Die Wirtschaft auf der Insel leidet also schon jetzt unter dem Gaswahn von Merz, Reiche und Co., wenn lokale Handwerksbetriebe Aufträge verlieren und Projekte nicht mehr umgesetzt werden.
Das ganze dreckige Gas, das nun in Deutschland gefördert und importiert wird, soll aber ja auch zur Energiegewinnung verbrannt werden. Dafür plant Katherina Reiche 50 neue Gaskraftwerke. Du kannst dir also praktisch sicher sein: Selbst wenn du nicht an der Nordsee-Küste oder am Ammersee wohnst, fossile Infrastruktur wird bald auch bei dir in der Nähe ausgebaut.
Die über 200 Menschen, die in den letzten Tagen mit uns im Klimacamp auf der Insel waren, haben das schon lange verstanden und kommen hier zusammen, um sich in zahlreichen Workshops auszutauschen und zu organisieren. Am Freitag haben wir unseren Protest auf die Straße getragen und waren auf der gesamten Insel weder zu überhören, noch zu übersehen.
Ganz Deutschland hat uns dabei zugesehen. Mit Plakaten, Bannern und Demoliedern mit Ohrwurmpotential zogen wir vom Stadtkern durch idyllische Gassen bis zum Strand. Dort begrüßte uns der heimische Gospelchor, er hatte extra ein Klimalied einstudiert.
Und die Aperol-trinkenden Touris staunten nicht schlecht, als sich hunderte Klimaaktivist:innen am Strand hinter einem Schriftzug versammelten. So manch ein Touri stellte sich dazu, hinter die großen weißen Buchstaben: BO(H)RKUM.
Das zeigt: Der neue deutsche Gasrausch ist zu wichtig, als dass man ihn einfach mit einem Aperol-Glas in der Hand an sich vorbeiziehen lässt. Wenn es wirklich brennt, kann eine Idee neue Menschen begeistern.
Damit überall sonst Protest gegen Katharina Reiches Schnapsideen zu hören ist, haben wir uns entschlossen, unsere Plakate, Banner und Demolieder mit Ohrwurmpotential an ganz vielen Orten gleichzeitig auf die Straßen zu tragen. Am 20.09. demonstrieren wir in vielen Städten für einen gerechten Gasausstieg: Exit Gas – Enter Future!