Horst Seehofer hatte 2015 mal gesagt "Bayern ist die Vorstufe zum Paradies". Und weil Nachfolger ihre Vorgänger eben gerne übertrumpfen, ging Markus Söder 2022 gleich noch weiter: Jetzt ist Bayern "schon fast der Himmel auf Erden", 2024 ist es dann gleich "ein Paradies".
Es wird also immer besser! Das hört man oft im Süden Deutschlands. Und: Ein bisschen hat er schon recht. Blau-weiße Wolken, grüne Wiesen, die Alpen am Horizont – das Paradies für jeden schwülstigen Vorabend-Heimatfilm.
Wenn es wirklich darauf ankommt, scheint dem Ministerpräsidenten des Freistaats dieses Paradies doch ziemlich egal zu sein. Während Markus fröhlich gegen Migration wettert und Döner isst, arbeitet sein Vize und bayerischer Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger fleißig daran, dass Bayern schon morgen gar nicht mehr so paradiesisch ist. Denn: Aiwanger hat Gas gerochen.
Der Ort Reichling ist idyllisch. 1600 Einwohner:innen, Barockkirche, Blick auf den blauen Lech und die weißen Alpen. "Nett hier", würde man wahrscheinlich sagen, wäre da nicht ein Problem: Der Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger erlaubte es Ende September 2022, auf dem Gebiet der Gemeinde Reichling nach Gas zu suchen. Die kanadische Firma Genexco plant Probebohrungen, um ein riesiges Gasfeld mit bis zu 500 Millionen Kubikmetern Erdgas zu erschließen.
Es gibt Leute, die aktuell sagen: Her damit! Das Argument der Befürworter: Gas sei eine unverzichtbare Brückentechnologie. Oder: Regionales Gas schone Geldbeutel und Klima. "Schlecht, ja, aber immerhin besser als LNG aus Amerika", scheint die Devise. Bis zu 13.000 Haushalte soll das Projekt versorgen – am besten gleich über 20 Jahre. Klingt wirklich paradiesisch.
Leider ist die Politik der Brückentechnologie, wie wir sie 2024 erleben, fatal. Das liegt nicht mal nur daran, dass die Erinnerung an die Flut im Juni noch sehr tief sitzt – wir alle wissen, dass solche Ereignisse durch die Klimakrise häufiger und intensiver werden. Schon jetzt verloren im Freistaat viele ihr Zuhause, ihr Erspartes oder gar ihr Leben. Selbst wenn einem egal sein sollte, dass das weiß-blaue Paradies im Juni mal mit braunem Matsch überspült wurde, so greift dies doch auch ganz konkret Existenzen an.
Gleichzeitig zeigt Reichling mit einer schon fast ins Gesicht springenden Deutlichkeit, dass in Sachen Energiesicherheit mit zwei Maß gemessen wird. Saubere Windenergie wird im paradiesischen Süden seit Jahren mit aller Härte bekämpft. Die Staatsregierung wirkt, wenn sie will: Bayern bleibt auch 2024 das Schlusslicht bei der Windenergie. Wie war das nochmal, "Bayern ist besser, Bayern ist schöner?"
Das macht auch deutlich: Wenn es darauf ankommt, zählt die Lust auf billiges Gas mehr als jede Sicherheit vor Naturkatastrophen oder der Willen der lokalen Bevölkerung. Geht es statt um Wind um Gas, interessiert die Meinung der ansässigen Bürger:innen auf einmal keinen mehr. In Reichling hat sich direkt vor zwei Jahren eine Bürgerinitiative formiert. Die Befürchtungen: Lärm, Dreck und zerstörte Natur.
Noch größer ist die Angst um das eigene Trinkwasser: Direkt neben der Bohrung liegt ein Trinkwasserschutzgebiet. Dass es in der Gemeinderatssitzung laut wird, kann man einfach ignorieren. "Die schweigende große Mehrheit muss sich die Demokratie zurückholen", forderte Aiwanger noch im Januar 2024.
Reichling zeigt ein zweites Problem ganz deutlich: Fossile Technologien lohnen sich auch 2024, schon neun Jahre nach dem Pariser Abkommen, noch viel zu sehr – zumindest auf kurze Sicht. Schon vor 40 Jahren wurde in Reichling eine Probebohrung durchgeführt. Damals wurde das Projekt verworfen: Zu teuer, nicht rentabel. Grund ist nicht nur die russische Invasion in die Ukraine, sondern die paradiesischen Bedingungen im "Himmel auf Erden". Bayern erhebt nicht einmal eine Gebühr für die Förderung von Gas.
Der Landtag lehnte erst 2024 einen entsprechenden Dringlichkeitsantrag ab. Kein Wunder, dass die Betreiberfirma da nicht genug kriegen kann: Genexco will am liebsten gleich 10 Bohrungen in der Ammersee-Region durchführen – in einem 100 Quadratkilometer großen Areal. Genexco meint dazu schnöde: "In 20 Jahren wird immer noch Gas verbraucht werden". Mit der Energiewende rechnet hier wohl keiner.
Vor wenigen Tagen stand es dann fest: Am 12. Oktober titeln die Nachrichtenseiten: "Arbeiten zur Gassuche starten". Noch 2025 soll gebohrt werden. Nachdem ein Grundwasser-Monitoring und ein Trinkwasser-Notfallkonzept vorliegen, gibt das Bergamt Südbayern grünes Licht. Gar nicht so paradiesisch. Statt weiß-blauer Idylle wird der Weg frei gemacht für Schäden an Klima, Anwohner:innen und Umwelt.
Die Entscheidung fällt gegen den Willen von Gemeinde, CSU-Landrat, Bürgerinitiative und den rund 20.000 Unterzeichner:innen einer Online-Petition. Ihr wisst schon, "Die Bürger sollen sich die Demokratie zurückholen" und so. Man muss dem Wirtschaftsminister zugutehalten: Er gibt sich unschuldig. "Die Probebohrung [...] erfüllt nun mal die Auflagen des Bundesberggesetzes. Als Staatsregierung haben wir hier keinen Ermessensspielraum."
Schlussendlich wird in Reichling klar: Im bayerischen Paradies fehlt vor allem der Wille der Staatsregierung, von einem besseren Morgen zu träumen. Während Aiwanger und Söder alles tun, damit Bayern Energie von gestern macht, sind andere längst weiter. Direkt gegenüber, auf der anderen Seite, funktioniert die Zukunft längst wunderbar.
In Fuchstal nahm die Gemeinde ihr Glück selbst in die Hand: Mit Bürger-Windenergiepark, Wärmespeicher, Wasserkraftwerk und Fernwärmenetz – alles aufgebaut seit 2018. Überschüssiger Strom wird über die Power-to-Heat-Anlage zu Wärme. Ein bisschen "Gas von dahoam" gibt es hier auch – aber das ist Bio, klimaneutral und mehr als nur "immerhin nicht aus Amerika".
Im Wattenmeer, im Chiemgau: Aktuell wird wieder an vielen Orten nach Gas gebohrt. Statt die Förderung unattraktiv zu machen, rollt man der Zerstörung des Klimas im Paradies den roten Teppich aus. Die Signalwirkung dieser Politik ist fatal. Die Energie, die die Bürgerinitiative Reichling in Widerstand investieren muss, hätte man wunderbar nutzen können, um einen positiven Wandel hervorzurufen.
Stattdessen wird verhindert, was Klima, Trinkwasser und Ressourcen schützt, und die Fluten im Juni haben uns schon genug gezeigt, wohin diese Strategie langfristig führt. Vielleicht ist das ja Markus Söders Vorstellung der "Vorstufe zum Paradies". Auf dem nächsten Plakat mit blau-weißer Idylle sollte dann aber auch ein 35 Meter hoher Bohrturm abgebildet sein.
Aber – noch ist es nicht zu spät. Die Genehmigung ist kein Grund zum Aufgeben: Bei den Bohrungen handelt es sich noch um Probebohrungen. In Halfing und Bad Endorf in Bayern wurden ähnliche Projekte durch Bürger:innenproteste bereits verhindert. 22 Grundstücksbesitzer:innen rund um den Bohrplatz in Reichling wollen einen "lückenlosen Schutzgürtel" bilden, um jegliche Leitungen für den Abtransport zu verhindern.
Zeit genug, um sich ein Beispiel an wirklich überzeugenden Projekten zu nehmen. Denen den Teppich ausrollen, die Wärme und Energie selbst und sauber machen wollen. Ganz ohne Angst ums Trinkwasser. Ehrlich: Bei solchen Vorstellungen werde ich dann auch zum Lokalpatriot.