
Huch? Wie bin ich denn an den Klimaschutz-Fragen vorbeigekommen?Bild: dpa / Christoph Soeder
Gastbeitrag
25.02.2025, 08:0825.02.2025, 08:08
Helena Marschall, Gastautorin
Am Tag nach der Bundestagswahl schien in Berlin die Sonne. Beim ersten Schritt vor die Haustür (12 Grad, Frühlingswetter) denke ich, dass das nach so einem düsteren Abend eigentlich nicht erlaubt sein sollte. Nach einem historischen Rechtsruck, wird die AfD nun mit 152 Klimawandelleugnern im Parlament sitzen.
Es wird in den kommenden Tagen viele Analysen geben. Immer wieder wird es darum gehen, dass Klimaschutz ja keine Rolle gespielt habe im Wahlkampf. Denn es gibt – paradoxerweise – kein anderes Thema, bei dem so viel darüber gesprochen wurde, dass ja keiner darüber sprechen würde.
Wie konnte das passieren, fragen sich viele? Wie kann es sein, dass der Klimaschutz politisch totgeschwiegen wird in einer Zeit, in der sich die Klima-Schlagzeilen nur so überschlagen: Der heißeste Januar aller Zeiten, Los Angeles in Flammen, der BND, der die Klimakrise als Bedrohung für die nationale Sicherheit sieht?
Ich möchte einen Erklärungsversuch für einen Wahlkampf wagen, der scheinbar in einer anderen Realität stattgefunden hat.
Bürger wünschen sich mehr Klimaschutz
Zunächst vorweg: Der Klimaschutz wurde bei dieser Wahl nicht abgewählt. Eine Umfrage kurz vor der Wahl zeigt: Eine Mehrheit aller Wählergruppen wünscht sich, mit Ausnahme der AfD, mehr Klimaschutz von der Partei, die sie gewählt haben.
Klimaschutz – der Erhalt der Lebensgrundlagen – ist für die meisten Menschen nicht weniger wichtig geworden (das wäre ja auch seltsam), aber es sind andere Themen hinzugekommen. Wurden die Menschen vor der Wahl gefragt, was das wichtigste politische Problem sei, stand das Klima nie ganz oben auf der Liste.

Alle zwei Wochen melden sich Aktivist:innen von Fridays for Future in einem Gastbeitrag bei watson zu Wort.
Fragt man aber nach den zwei wichtigsten Problemen, dann sind Klima und Umweltschutz ‘plötzlich’ die am häufigsten genannten Anliegen. Und diese Sorgen sind keineswegs abstrakt. Jeder dritte Deutsche geht davon aus, im Laufe seines Lebens wegen der Klimakrise umziehen zu müssen.
Der Wahlkampf wurde an diesen offensichtlichen Sorgen der Menschen vorbeigeführt. Die Geschichte, dass "das Klima" für "die Menschen" kein Thema mehr zu sein scheint, ist aber älter als das Ampel-Aus.
Parteien und Journalisten lassen Verantwortung vermissen
Als wir im September mit Fridays for Future in über hundert Städten für konsequenten Klimaschutz auf die Straße gingen, wurden wir immer wieder darauf angesprochen. Und im Dezember, noch bevor der Wahlkampf richtig begonnen hatte, gab es die ersten Schlagzeilen, in denen vom Klima als "Rand- oder Nischenthema" die Rede war.
So entstand eine Pfadabhängigkeit: Weil sich schon früh darauf festgestellt wurde, welche Rolle das Thema Klima in der Debatte spielte, konnte es ohne einen harten Bruch gar keine andere Rolle mehr spielen. Die Parteien haben weniger über Klimathemen gesprochen, das haben Journalist:innen angemerkt, dementsprechend wurde von Parteien weniger über das Klima gesprochen – ein gefährlicher selbstverstärkender Zyklus.
Damit einher ging eine krasse Verantwortungslosigkeit – für die Situation waren immer die anderen Schuld.

Helena Marschall ist seit Stunde eins bei Fridays for Future in Deutschland dabei.Bild: privat
Politiker können Fragen zu Klimaschutz aus dem Weg gehen
Unter der Oberfläche verbergen sich zwei weitere Entwicklungen. Der isländische Autor Andri Snær Magnason schreibt, dass wir in der Klimakrise die geologische Zeit verlassen haben und sich die Erdprozesse nun innerhalb menschlicher Zeitspannen bewegen. Temperaturveränderungen, die mal zehntausende Jahre gebraucht haben, finden jetzt innerhalb eines Erwachsenwerdens statt.
Magnuson meint, dass die Klimakrise so massiv, so dramatisch, so groß sei, dass sie unbegreifbar wird in ihrer Bedeutung. Wenn also gar nicht mehr über das Klima im Wahlkampf gesprochen wird, sondern nur noch über die Abwesenheit des Klimas, ist das auch ein kollektiver, fehlgeschlagener Bewältigungsversuch.
Denn die Meta-Debatte lässt sich innerhalb unserer etablierten Diskurs-Abläufe führen, sie verlangt kein Umdenken, kein Platzieren der Gegenwart in der Geschichte der Menschheit, der Erde. Die Meta-Debatte ist aber auch faul und gefährlich, denn die Klimakrise schreitet trotzdem voran.
Und sie schraubt die Erwartungen an den politischen Diskurs runter: Wenn – halleluja – endlich eine Frage zum Klimaschutz gestellt wird, etwa weil ein junger Landwirt in der Wahlarena sich Sorgen macht, was die zunehmenden Klimakatastrophen, die Dürre für den elterlichen Hof bedeuten, betrachtet niemand allzu kritisch, was Politiker:innen eigentlich antworten. Und genau das ist den Befragten mehr als willkommen.
Friedrich Merz hat es leicht, neue Gaskraftwerke zu bauen
Bis jetzt ist dieser Text ohne Gegner, ohne Schuldige ausgekommen. So einfach ist es aber nicht. Wer nicht über die Emissionen im Verkehr spricht, kann viel einfacher und munterer die Rückabwicklung des europäischen Verbrenner-Aus fordern. Wenn fast niemand die Rolle von fossilen Energien in der Destabilisierung des Klimas anerkennen muss, hat es Friedrich Merz viel leichter, wenn er ankündigt, nach seinem Amtsantritt 50 neue Gaskraftwerke zu bauen.
Die Anti-Klimaschutz-Kräfte im rechten und konservativen Lager haben gezielt daran gearbeitet, Klimaschutz als weltfremdes elitäres Projekt zu verkaufen. Die Antwort darauf muss radikale Verantwortungsübernahme sein.
Es ist einfach, sich hinter der vermeintlichen Ausweglosigkeit gesellschaftlicher Prozesse zu verstecken. Aber nichts hinderte Journalist:innen daran, auf jeder Bühne, in jedem Interview die Kandidat:innen nach ihren Lösungen und Konzepten zur Klimakrise zu fragen. Es stand den Parteien nichts im Wege, proaktiv Social-Media-Arbeit oder Wahlplakate und Interviewantworten zu gestalten, die den Wahlkampf im Kontext dieser Zeit platzieren.
Und nur weil das Klima in den letzten Monaten ein "Randthema" war, muss es das in den nächsten Monaten nicht bleiben.
Klimaschutz braucht Druck der Bevölkerung
Denn dass niemand sich in diesem Wahlkampf für Klimaschutz eingesetzt hat, stimmt nicht. Zehn Tage vor der Wahl sind über 130.000 Menschen fürs Klima auf die Straße gegangen. Bei Bürgerdialogen und Wahlkampfveranstaltungen haben Krankenschwestern und Omas und Eltern Fragen zum Klima gestellt, wenn es die Moderator:innen nicht getan haben.
Und genau diese Kraft wird es in den nächsten Monaten und Jahren umso mehr brauchen. Vieles ist noch unklar, aber was wir sicher wissen: Ein Bundeskanzler Merz wird nicht von alleine Klimaschutz vorantreiben. Es wird also unseren Druck brauchen.
Wie wirksam dieser Druck ist, wissen wir aus der Vergangenheit. Als ich vor über sechs Jahren zum ersten Mal mit Fridays for Future auf die Straße gegangen bin, war Trump Präsident der USA und in Deutschland regierte eine große Koalition. Natürlich war die Ausgangslage damals eine andere als heute – die Sonne schien nicht.
In der Politik findet Klimaschutz immer weniger statt, auch auf globaler Ebene. Billie Eilish will das Thema wieder präsenter machen. In Berlin wird sie deshalb bei einem Event vertreten sein.
Katy Perry fliegt ins All, um dort für Gleichstellung zu werben, Billie Eilish kommt nach Berlin, um sich für Nachhaltigkeit einzusetzen. Eine schießt sich in den Orbit und mit ihrer Mission den Vogel ab, die andere trifft hingegen ins Schwarze.