Acht Flüge zwischen London und Berlin, ganz ohne Flugscham: 2019 berechnete der Ökologe Joseph Poore für den "Spiegel" den CO₂-Fußabdruck eines deutschen Veganers. Das Ergebnis: Wer vegan lebt, spart jedes Jahr 670 Kilogramm CO₂ und insgesamt zwei Tonnen Treibhausgase ein. Das entspricht der achtfachen Flugstrecke zwischen den beiden europäischen Großstädten und zeigt ziemlich eindrücklich: Wer sich vegan ernährt, lebt klimafreundlicher.
Veganismus lohnt sich in der Ökobilanz, und wer zusätzlich noch bio und regional einkauft, spart sogar noch mehr CO₂. Für viele Veganerinnen und Veganer ist aus Gründen der Nachhaltigkeit deshalb der nächste Biomarkt die Wahl für den alltäglichen Einkauf. Alnatura ist einer der größten Biomärkte Deutschlands und gewinnt regelmäßig Nachhaltigkeitspreise in verschiedenen Kategorien. Höchste Zeit für watson, Alnatura im Green Lab unter die Lupe zu nehmen und das vegane Sortiment zu testen.
Soja-Hack, Cashew-Käse, Pflanzendrinks: Der Markt für vegane Ersatzprodukte boomt. In jedem Supermarkt und Discounter gibt es mittlerweile ganze Regale mit Substituten gefüllt. Bei Alnatura findet man diese verteilt durch den Laden, neben den tierischen Lebensmitteln in entsprechender Abteilung. Aber auch nach intensiver Suche konnte watson nur eine pflanzenbasierte Käsealternative (immerhin in den zwei Darreichungsformen Scheiben und geriebener Schmelz) und eine Sorte veganes Hackfleisch finden.
"Eine Auflistung der veganen Produkte des Sortiments in den Alnatura Super Natur Märkten stellt nur eine Momentaufnahme dar. Die Anzahl der Listungen kann zudem von Markt zu Markt aufgrund der unterschiedlich großen Ladenflächen variieren", antwortet Alnatura-Sprecherin Kerstin Schreihans auf watson-Nachfrage.
Auch die Preisunterschiede zwischen tierischen Produkten und veganer Alternative springen ins Auge. Der "Alnatura Hafer Drink ungesüßt" kostet 1,19 Euro, während das tierische Äquivalent, die "Alnatura frische Milch", schon für 1,09 Euro zu haben ist. Um eine nachhaltige Ernährung zu fördern, wäre es zielgerichteter, die pflanzlichen Alternativen günstiger als tierische Produkte anzubieten. Wie passt das zusammen, dass Alnatura dieser Devise nicht nachgeht, obwohl das Unternehmen laut Webseite einen ganzheitlichen nachhaltigen Ansatz verfolgt?
Der Preis einzelner Produkte sei von sehr vielen Faktoren abhängig, erklärt Schreihans. "Im Falle der Pflanzendrinks gilt es zu beachten, dass diese mit einer Mehrwertsteuer in Höhe von 19 Prozent besteuert werden. Bei tierischer Milch liegt der Steuersatz lediglich bei 7 Prozent." Die Steuerunterschiede kritisiert auch die Tierschutzorganisation Peta (People for the Ethical Treatment of Animals) bei watson. Marketing Manager Tobias Schalyo: "Obwohl Gesundheits-, Umwelt- und Tierschutzaspekte eindeutig für die Verwendung von Pflanzenmilch sprechen, wird dieser Industriezweig oft politisch benachteiligt". Die Einstufung von Pflanzenmilch als 'Luxusprodukt' sei insofern ungerechtfertigt, da die "Verwendung von Pflanzenmilch zu einer gesunden, ausgewogenen Ernährung beitragen und gleichzeitig den persönlichen ernährungsbedingten ökologischen Fußabdruck reduzieren" kann.
Gelatine, Lab oder Fischnebenerzeugnisse - in zahlreichen Fabrikaten sind versteckte Inhaltsstoffe tierischen Ursprungs enthalten. Als Orientierungshilfe für Verbraucherinnen und Verbraucher sollen entsprechende Siegel beim Einkauf helfen. Neben dem in Deutschland sehr prominenten V-Label können pflanzliche Produkte auch mit dem äquivalenten Label der Veganblume (im Englischen „Vegan Trademark“) ausgezeichnet werden. Das Siegel der "Vegan Society England" ist hierzulande neben Lebensmitteln auch auf zertifizierter Naturkosmetik zu finden. Alnatura weist laut Webseite über 800 Produkte als vegan aus, davon sind laut Unternehmen über 650 mit der Veganblume gekennzeichnet.
Watson hat bei der "Veganen Gesellschaft Österreich" als Ansprechpartner für die Veganblume im deutschsprachigen Raum nachgefragt, welche Kriterien Produkte erfüllen müssen, um das Label zu erhalten. Besonders interessiert hat uns die Kreuzkontamination mit tierischen Inhaltsstoffen, auf die bei einigen Produkten mit der Veganblume hingewiesen wird.
"Die Kriterien für die Veganblume sind hinsichtlich der Kreuzkontaminationen dieselben wie beim V-Label", erklärt Felix Hnat, Geschäftsführer von vegan.at. "Es dürfen sowohl keine tierischen Zutaten wie Kuhmilch in Keksen als auch keine tierischen Produktionshilfsstoffe wie Gelatine beim Klären von Fruchtsäften verwendet werden. Es geht also um die Stoffe, die bewusst in der Produktion eingesetzt werden."
Das wollten wir genauer wissen und haben zwei Artikel von Alnatura ins Labor geschickt, die sowohl die Veganblume aufweisen als auch den Kontaminationshinweis. Auf den "Kakao Doppel Keksen" wird vor Spuren von Ei, Soja, Milch, Mandel, Haselnuss und Paranuss gewarnt. Die Verpackung der "Gianduja-Haselnuss-Schokolade mit Cornflakes und Reissiruppulver" enthält folgenden Hinweis: Kann Spuren von Gluten, Milch, Mandel, Pecannuss und Pistazie enthalten.
Das Labor hat die Snacks auf Verunreinigungen durch Milch und Eier getestet. Die Auswertung der Untersuchungsergebnisse zeigt: Spuren von Eiprotein konnten nicht gefunden werden. Spuren von Milch hingegen fielen in beiden Produkten auf. So weisen die "Kakao Doppelkekse" eine Verunreinigung durch Milcheiweiß in Höhe von 0,085 Prozent auf, die Schokolade immerhin 0,138 Prozent.
Wenn es auch nicht viel ist, die Untersuchung bestätigt: Trotz Vegan-Label können Milch und Eier in das Endprodukt gelangen. Ein rein veganes Produkt zu produzieren, sei fast unmöglich, sagt Felix Hnat."Kreuzverunreinigungen werden bei beiden Gütesiegeln akzeptiert und zwar aus zwei Gründen: Erstens sind Kreuzkontaminationen fast unvermeidlich. Werden in einer Produktionsstätte verschiedene Kekse produziert, muss nach jedem Produktionsgang sehr genau gereinigt werden, also auch, wenn die vegane Produktionslinie nach der nicht-veganen folgt. Es ist technisch fast nicht auszuschließen, dass Überreste der Kuhmilchkekse zu finden sind. Der Grund dafür ist, dass die Überreste erst aus der Maschine gespült werden, wenn die nächste Charge beginnt."
Hnat ergänzt zwar, dass es Lösungen dafür gebe, diese allerdings nicht nachhaltig und wirtschaftlich rentabel wären: "Eine Option wäre, die ersten 10 Prozent der veganen Kekse wegzuwerfen, aber dann gäbe es mehr Lebensmittelverschwendung. Die zweite Option ist, vegane Produkte nur in Werken herzustellen, die rein vegan sind, aber das ist wirtschaftlich oft nicht möglich."
Zudem ginge es vegan lebenden Menschen darum, die Produktion pflanzlicher Alternativen zu fördern und tierische Lebensmittel nicht mehr zu unterstützen, führt Hnat weiter aus. "Man will durch den Konsum bewusst Anreize setzen, dass in Zukunft mehr Hafer auf deutschen Feldern angebaut und weniger geschlachtet wird. Beide Ziele können eher erreicht werden, wenn auch in Produktionsstätten, die nicht nur rein pflanzlich sind, vegane Lebensmittel produziert werden." Abschließend fügt der Ökonom noch ein entscheidendes Statement hinzu, das vielen Kritikern die Munition nehmen dürfte: "Veganen Menschen geht es nicht darum, ihren Körper 'rein' zu halten, sondern darum, etwas in der Welt zu verändern. Deshalb steht die vegane Community total hinter den Regeln der beiden Siegel."
Als bekannteste Tierrechtsorganisation weltweit verleiht Peta regelmäßig den "Vegan Food Award". Die Gewinnerprodukte sollen zeigen, dass es heute ganz einfach möglich ist, das Sortiment in den Regalen tierfreundlich, umwelt- und ressourcenschonend zu gestalten. Alnatura hat sich bisher noch nicht beworben. "Wir würden uns aber freuen, Alnatura im kommenden Jahr als Kandidat begrüßen zu dürfen", sagt Tobias Schalyo.
Der Ansatz von Alnatura setze hohe Standards in puncto Nachhaltigkeit, bewertet der Marketing Manager von Peta den Biomarktriesen. Nicht nur umfasse das Sortiment ausschließlich Produkte mit Demeter-, Bioland- oder Naturland-Qualität. "Alnatura verzichtet bewusst in seinem Sortiment auch auf Produkte, die Zusatzstoffe, weißen Zucker, künstliche Farb- und Konservierungsstoffe, Gentechnik und weitere unnatürliche Stoffe enthalten. Rundum also ein nachhaltiges, gesundheitsorientiertes Konzept", so Schalyo weiter. Das sei auch der Grund für die noch geringe Auswahl an veganen Ersatzprodukten. "Unserem Kenntnisstand nach ist dies dem Hintergrund des eigenen Anspruchs der möglichst hohen Natürlichkeit der Produkte geschuldet, denn auch vegane Alternativprodukte müssen zunächst durch industrielle Verfahrensweise mehr oder weniger aufwendig hergestellt werden."
Im Biomarkt einzukaufen sei deshalb immer die nachhaltigere Option im Vergleich zum Gang in den Discounter, da die größere Auswahl an veganen Grundnahrungsmitteln wie Getreide, Nüssen, Ölsamen, Trockenfrüchten, Algen und Sprossen einen geringeren CO₂-Fußabdruck hinterlasse als pflanzenbasierte Ersatzprodukte für Fisch und Fleisch. Diese wiederum werden aufgrund von steigendem Marktanteil vermehrt in Supermärkten und Discountern neben den tierischen Pendants angeboten.
Obwohl das vegane Sortiment von Alnatura noch nicht perfekt ausbalanciert ist, zielt der Biomarkt darauf ab, der wachsenden Nachfrage gerecht zu werden. "In den Alnatura Super Natur Märkten gibt es eine Vielzahl an veganen Produkten und wir arbeiten auch zukünftig verstärkt daran, weiterhin eine große Auswahl an veganen Alternativen zur Verfügung zu stellen", sagt Kerstin Schreihans gegenüber watson. Lücken in der hauseigenen Produktvielfalt werden mit Fremdmarken gefüllt. "Wir haben derzeit zwei vegane Pizzen von 'FollowFood' und 'BioInside' gelistet. Zudem ist die 'Alnatura 24/7 Dinkel-Pizza Hummus' ebenfalls vegan. Im Tiefkühlbereich gibt es ebenfalls veganes Hackfleisch und vegane Hackburger."
Peta bewertet die Entwicklung Alnaturas positiv und blickt optimistisch in die Zukunft: "Auch aus Marketingsicht macht das Angebot weiterer pflanzlicher Produkte Sinn, denn als vegan gekennzeichnete Produkte werden von vielen Konsumentinnen und Konsumenten als besonders wertig und gesund erachtet. Damit können vegane Produkte das Firmenimage positiv aufwerten." Zudem habe Alnatura in der Vergangenheit mehrfach bewiesen, dass sie ihre Kundenversprechen sehr ernst nehmen und in vielen Bereichen maximal nachhaltig agieren würden. Das umfasst nicht zuletzt die Gebäude- und Standortgestaltung, wo auf ökologische Baumaterialien gesetzt wird. So ist der Alnatura-Campus in Darmstadt Europas größtes Bürogebäude aus Lehm, das Verteilzentrum in Lorsch besteht komplett aus Holz.
Mit Blick auf das Tierwohl beteiligt sich der Biomarkt an Aktionen wie der Bruderküken-Initiative, die sich für die Aufzucht männlicher Küken in der Eierindustrie stark macht. Zudem sollen faire Preise und langfristige Partnerschaften mit landwirtschaftlichen Betrieben eine artgerechte Tierhaltung fördern. Wenn die vegane Produktvielfalt auch noch Wünsche offen lässt, werden offensichtlich große Schritte Richtung optimales Tierwohl und Veganismus gemacht. Konsumentinnen und Konsumenten können daher mit gutem Gewissen bei Alnatura einkaufen, wenn sie diese Bemühungen unterstützen möchten.