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Interview

Hitzewellen als Klimafolge: Auswirkungen auf den menschlichen Körper

Waldbrand Frau
Ein Leben in der Hitze: Die Klimaveränderungen bringen nicht nur Waldbrände, sondern auch große Schäden für den menschlichen Körper mit sich.Bild: EyeEm / Per Grunditz / EyeEm
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Rekordtemperaturen als Klimafolge – Ärztin erklärt, was die Hitze mit dem menschlichen Körper macht

02.08.2021, 13:3302.08.2021, 15:49
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Bedrohliche Hitze: Zuletzt waren die USA und Kanada stark von Extremwetter betroffen – und nach Hitzewellen wüteten durch von der Trockenheit begünstigte verheerende Waldbrände. Derzeit herrschen zudem in Ländern wie Italien, Griechenland und die Türkei extreme Temperaturen, auch dort sind Waldbrände außer Kontrolle.

In Kalifornien stiegen die Temperaturen zuletzt bis auf 54 Grad. Auch in Italien zeigte das Thermometer in den vergangenen Tagen 50 Grad an – und die Hitze breitet sich derweil auf weitere südeuropäische Länder aus. Experten sagen voraus, dass diese Ereignisse sich unter den Auswirkungen des anthropogenen, also menschengemachten Klimawandels weiter häufen werden. Hier stellt sich die Frage: wie hoch ist die Belastung der Klimaveränderung auf unsere Gesundheit?

Definition der Fachbegriffe zum menschen-verursachten Klimawandel
Anthropozän: Bezeichnung des Zeitalters, in welchem der Mensch den wichtigsten Einflussfaktor auf die Prozesse im geologischen, biologischen und atmosphärischen Rahmen darstellt
anthropogener Klimawandel: Klimawandel, der durch den Menschen beeinflusst; verursacht ist

Laut einem Bericht von Umweltbundesamt und Deutschem Wetterdienst (DWD) beschreibt das Wort "Hitzewelle" eine Periode extremer Hitzebelastung, die eine Gefährdung der Gesundheit von Lebewesen darstellt. Bislang hieß es, dass dabei vor allem ältere und bereits erkrankte Menschen betroffen seien. Aber auch für Erwachsene ohne Vorerkrankungen besteht bei extremen Temperaturen ein gesundheitliches Risiko, wie Experten sagen.

Alina Herrmann ist Ärztin und Expertin im Bereich von Gesundheitsberufen im Spannungsfeld zwischen Klima und Gesundheit. Tätig ist sie derzeit am Heidelberger Institut für globale Gesundheit. Im Interview mit watson erläutert sie, wie sich dauerhafte Hitze auf den menschlichen Körper auswirkt – und warum jetzt etwas geändert werden muss.

Dr. Alina Herrmann
Alina Herrmann ist Ärztin am Universitätsklinikum Heidelberg.

watson: Wie wirken sich Hitzewellen allgemein auf die menschliche Gesundheit aus?

Herrmann: Physiologisch gesehen stellen diese hohen Temperaturen natürlich eine sehr hohe gesundheitliche Belastung für den menschlichen Körper dar. Angefangen damit, dass der Körper darauf ausgelegt ist, eine Körperkerntemperatur von etwa 37 Grad zu haben, ist es wichtig, dass wir fähig sind, diese Temperatur aufrechtzuerhalten. Dafür fungieren bestimmte Wärme- und Kälteregulationsmechanismen im Körper.

"Physiologisch gesehen, stellen hohe Temperaturen natürlich eine hohe Belastung für den Körper dar."

Welche sind das zum Beispiel?

Bei der Wärmeabgabe spielen mehrere Faktoren eine Rolle. Wir können beispielsweise mehr Blut in die Haut verschieben. Dadurch wird Wärme an die Umgebung abgegeben. Das gelingt aber nur bei Außentemperaturen von unter 37 Grad.

Und bei Kälte?

Eine Kühlung des Körpers durch Schwitzen und Verdunstung ist auch bei Temperaturen über 37 Grad ein effektiver Abkühlungsmechanismus. Bei einer hohen Luftfeuchtigkeit ist aber auch dieser Mechanismus nur eingeschränkt wirksam. Zudem können wir uns natürlich auch durch Verhalten anpassen, also zum Beispiel, indem wir uns leicht kleiden und kühlere Räume aufsuchen.

Gibt es hierbei Einschränkungen?

Es ist zu beachten, dass bei älteren Menschen oder Menschen mit Vorerkrankungen die Fähigkeit, Wärme zu regulieren, eingeschränkt ist. Beispielsweise muss das Herz mehr pumpen, um Blut in die Haut zu transportieren. Bei Menschen, die ohnehin eine Herzschwäche haben, ist dieser Mechanismus also nur eingeschränkt wirksam oder kann leicht zu einer Überlastung des Herzens führen. Zudem nimmt die Fähigkeit, zu schwitzen, bei Menschen mit zunehmendem Alter ab.

Was bedeutet eine ständige Hitze für unser allgemeines Wohlbefinden?

Der Einfluss auf unser Wohlbefinden ist groß! Auch die jungen Menschen merken diesen Einfluss. Statistisch gesehen sind die Menschen ab 75 Jahren jedoch aus genannten medizinischen Gründen deutlich gefährdeter. In dieser Gruppe ist in Deutschland eine deutlich höhere Sterblichkeit aufgrund von Hitze zu beobachten.

"Wenn es draußen für einen längeren Zeitraum mehr als 37 Grad sind oder es zusätzlich sehr schwül ist, hat der Körper Probleme, dies zu regulieren."

Welche Parameter wirken sich außerdem auf eine Beeinflussung durch Hitze aus?

Es kommt auf Umstände an wie: in welchem Wohnverhältnis lebt man, ist man sozial benachteiligt, wo ist man zu dem Zeitpunkt der Hitze genau und wie lange. In Innenstadtbereichen sammelt sich die Hitze zwischen den Bauten. Wenn man dort unter dem Dach lebt, hat man kaum Möglichkeiten, der Wärme zu entkommen. Wenn man hingegen besser situiert ist und ein Haus etwas außerhalb der Stadt hat, besteht zum Beispiel die Möglichkeit, sich in ein unteres Stockwerk zurückzuziehen.

Wo liegen die Grenzen der Anpassung vom Menschen an die Hitze?

Wenn es draußen für einen längeren Zeitraum mehr als 37 Grad sind oder es zusätzlich sehr schwül ist, hat der Körper Probleme, dies zu regulieren. In Kanada waren es bei den Hitzewellen zuletzt bis zu 50 Grad. Hier kann man eigentlich nur noch damit entgegenwirken, eine Umgebung aufzusuchen, die eine geringere Temperatur aufweist.

Wie kann das zum Beispiel aussehen?

In den arabischen Emiraten verbringen die Menschen grundsätzlich zwei Drittel des Jahres in klimatisierten Räumen, weil es draußen viel zu heiß ist. Technisch ist also theoretisch eine Anpassung des Menschen möglich. Die Frage ist vielmehr, wie energieaufwendig diese Methoden sind, Räume künstlich herunterzukühlen. Und wie wünschenswert ist es, sich in menschengemachter Umgebung aufzuhalten? Was ist hier auch mit allen anderen Lebewesen?

"Wie wünschenswert ist es, sich in menschengemachter Umgebung aufzuhalten? Was ist hier auch mit allen anderen Lebewesen?"

Was macht man denn nun, wenn man einer ständigen Hitze ausgesetzt ist – und keine Möglichkeit hat, sich an sichere und kühlere Orte zurückzuziehen?

Das ist tatsächlich die spannende Frage. Zunächst einmal ist es in Hitzewellen gerade für ältere Menschen wichtig, sich aktiv abzukühlen. Das geht mit kühlen Bädern für Hände und Füße oder kühlen Duschen. Man sollte den Körper wieder auf eine normale Temperatur abkühlen, aber nicht ausfrieren, damit der Körper danach nicht wieder aktiv Wärme produziert. Institutionell kann der Zugang zu öffentlichen Kühlräumen sinnvoll sein. Im Englischen spricht man hier von „cooling shelters“.

Was für Räume können das sein?

In Altenheimen kann man zumindest die Gemeinschaftsräume mit Klimaanlagen ausstatten und die Menschen dort gemeinschaftlich, im Notfall auch über Nacht unterbringen. Erholungsphasen sind für den Körper sehr wichtig. Für die Menschen in den Städten und auf dem Land sollten in Hitzewellen ebenfalls klimatisierte öffentliche Räume – etwa Gemeinderäume – ausgewiesen werden, die in Hitzewellen kostenfrei genutzt werden können, um den Menschen Erholungsphasen von der Hitze zu ermöglichen.

Was können denn noch konkrete Maßnahmen zum Hitzeschutz sein?

Länder und Kommunen sollten Hitzeaktionspläne etablieren. Hierbei ist es wichtig, kurzfristige und langfristige Maßnahmen miteinander zu verzahnen. Also sollten zum Beispiel Hitzewarnungen an die Bevölkerung und vulnerable Gruppen weitergegeben werden, die dann mit konkreten Handlungsempfehlungen einhergehen – zum Beispiel wo das nächste „Cooling Shelter“ ist. Auch Akteure wie Bildungseinrichtungen, Verkehrsbetriebe und natürlich das Gesundheitssystem müssen hier eingebunden werden. Langfristig ist in jedem Fall eine andere Stadtplanung notwendig, bei welcher auf mehr Frischluftschneisen, Begrünung und Wasserflächen gesetzt werden muss.

"Die Folgen des Klimawandels werden vermehrt unbeherrschbar, wenn wir nichts tun."

Werden wir aus Wetterextremen lernen und ernsthaften Klimaschutz betreiben oder uns vielmehr auf ein Leben im Anthropozän mit häufigen Extremwetterereignissen einrichten müssen?

Wir müssen beides tun. Es gilt das Prinzip, uns an das anzupassen, was beherrschbar ist und möglichst das zu vermeiden, was unbeherrschbar ist. Hier ist das 1,5-Grad-Ziel sehr wichtig. Wenn wir es schaffen, die Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen, dann werden weltweit deutlich weniger Menschen deutlich seltener Hitzewellen ausgesetzt sein, als wenn wir das nicht tun. Auf Extreme vorbereiten müssen wir uns trotzdem. Denn wir befinden uns schon mitten im Klimawandel. Und je länger wir nichts tun, desto schwerer werden seine Folgen.

Klimaschutz-Ranking: Deutschland rutscht um zwei Plätze ab

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