Vor einem Jahr unterschrieben SPD, Grüne und FDP den Koalitionsvertrag. Ihr Ziel: "Mehr Fortschritt wagen", mutig sein – und die Klimakrise endlich als das behandeln, was sie wirklich ist: eine der größten Krisen der Menschheit.
Doch es kam anders: Die Corona-Pandemie nahm erneut an Fahrt auf, Putin löste einen Krieg in der Ukraine aus, der eine Energiekrise und schließlich eine Inflation auslöste. Dabei geriet die Klimakrise erneut in den Hintergrund.
Oder täuscht diese Annahme?
Watson hat bei Mark Lawrence nachgefragt. Er ist wissenschaftlicher Direktor des Instituts für transformative Nachhaltigkeitsforschung (IASS) in Potsdam und behandelt den Klimawandel als einen seiner Forschungsschwerpunkte.
watson: Herr Lawrence, am 8. Dezember feiert die Ampel-Regierung ihren ersten Geburtstag. Eines der Themen schlechthin sollte das Klima werden. Doch dann kamen der Ukraine-Krieg und die Energiekrise dazwischen. Hat sich in diesem Jahr dennoch etwas für das Klima gebessert? Welche Durchbrüche sind Ihnen positiv in Erinnerung geblieben?
Mark Lawrence: Die Bundesregierung hat in ihrem sogenannten "Osterpaket" eine Reihe von Maßnahmen und Gesetzesänderungen auf den Weg gebracht, die die Planungsverfahren für Anlagen der erneuerbaren Energien beschleunigen sollen. Der Bundestag hat sie weitgehend unverändert im Juli 2022 verabschiedet.
Annalena Baerbock hat für das Auswärtige Amt außerdem zum ersten Mal eine Klimaschutzbeauftragte, Jennifer Morgan, berufen. Ihre gemeinsamen Anstrengungen haben dazu beigetragen, dass endlich – nach 30 Jahren mit diversen Anläufen – ein Schadensfonds (''Loss and Damage") beschlossen wurde.
Das klingt, als würde da noch etwas kommen.
Ja. Denn die Bundesregierung hat die besonders wichtige Rolle der Ozeane für den Schutz des Klimas und der Biodiversität erkannt und zum ersten Mal einen Meeresbeauftragten berufen, der eine verbindliche Meeresstrategie über Sektorgrenzen hinweg entwickeln wird.
Und ein weiterer Punkt: Das Neun-Euro-Ticket hat die Menschen dazu gebracht, deutlich verstärkt Bus und Bahn zu nutzen. Ein künftiges, günstiges Angebot für den ÖPNV kann zur Mobilitätswende beitragen, die für den Klimaschutz besonders wichtig ist.
Wie sieht es denn umgekehrt mit klimapolitischen Flops in diesem Jahr aus?
Trotz aller Anstrengungen und eines Teilerfolges ist es Annalena Baerbock und Jennifer Morgan auf der COP27 nicht gelungen, den Fonds für "Loss and Damage" mit konkreten Finanzaussagen zu füllen.
Und der Bau von LNG-Terminals mag in der konkreten Situation geboten sein, um die von der Vorgängerregierung geerbte Abhängigkeit von russischem Gas zu verringern. Aus klimapolitischer Sicht wird jedoch hiermit eine Infrastruktur aufgebaut, die eigentlich gar nicht mehr entstehen darf. Warum kann ein solches Tempo nicht an den Tag gelegt werden, wenn es um den Ausbau von erneuerbaren Energien geht? Und warum wird nicht schon beim Bau des Terminals eine Zukunft als Wasserstoff-Terminal mitgedacht? Auch wenn es technisch und wirtschaftlich noch sehr schwierig ist, wäre es geboten, diese Möglichkeit ins Auge zu fassen und damit voranzutreiben.
Und drittens?
Es gibt noch immer kein generelles Tempolimit auf Autobahnen. Die Begründung des Verkehrsministers, es gäbe nicht genügend Schilder, wäre zum Lachen, wenn es nicht so traurig wäre. Ein Tempolimit kostet nichts und wirkt sofort – nicht nur, um die Umwelt inklusive des Klimas zu schützen, sondern auch, um unmittelbar Leben zu retten.
Und wie sieht es mit den Minister:innen aus – welche stechen Ihrer Meinung nach heraus?
In Bezug auf Klimaschutz stechen wenig überraschend Annalena Baerbock sowie Robert Habeck und Steffi Lemke heraus – deren Präsenz bei Klimakonferenzen und anderen Gipfeln im Laufe des Jahres war eine deutliche Verbesserung gegenüber der Regierung in 2021.
Aber?
Aber es ist wichtig zu erkennen, dass das Kabinett insgesamt unter großem Druck steht. Der schreckliche Angriffskrieg der russischen Regierung in der Ukraine, der unmittelbar auf die Covid-19-Pandemie folgte und eine Wirtschaftskrise eingeleitet hat, hat die Bedingungen nicht nur für Klimapolitik komplett verändert. Angesichts dieser "Zeitenwende" muss man sagen, dass die Bundesregierung bisher nicht dabei versagt hat, das Land durch die Krisen zu führen. Natürlich läuft nicht alles rund, es gibt noch viel Verbesserungspotenzial, um effektiv mit solchen Krisen umzugehen.
In ihrem Koalitionsvertrag hatte sich das Regierungstrio auf die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels verständigt. Dieses aber ist – wenn auch technisch theoretisch noch erreichbar – politisch nicht zu halten, selbst die Klimaziele für 2030 droht Deutschland zu reißen. Woran hapert es Deutschland klimapolitisch?
Nicht nur in Deutschland, auch global gesehen sind wir viel zu langsam beim Umsetzen der eigentlich als richtig erkannten Schritte, um die Ziele des Pariser Abkommens einzuhalten. Das liegt zum einen an den Beharrungskräften in der Politik und in der Wirtschaft, aber zum anderen auch an unserer mangelnden Bereitschaft, radikale Schritte zu mehr Klimaschutz zu akzeptieren. Wenn wir, die normale Bevölkerung, der Politik signalisieren, dass wir bereit sind, unseren Alltag zu verändern, wird es der Politik leichter fallen, die notwendigen Strukturen dafür zu schaffen.
Und was würde das für uns bedeuten?
Unser Leben wird dadurch anders als gewohnt, aber nicht zwangsweise schlechter! Es kann auch dadurch gesünder, sicherer und genussvoller werden.
Robert Habeck erklärte vor gut einem Jahr: "Wir werden eine Regierung sein, die anderen etwas zumutet." Angespielt hatte er auf den Klimaschutz, stattdessen gibt es einen umstrittenen Gas-Deal mit Katar und länger laufende Kohlemeiler. Etwas zumuten tut er Deutschland und der Welt also, allerdings nicht in dem Sinne, wie er es geplant hatte. Welche Folgen zieht das nach sich?
Es muss gelingen, das gewachsene Bewusstsein dafür, wo wir unsere Energie herbekommen und wie wir sie erzeugen, zu erhalten. Für das Klima kommt es ganz entscheidend darauf an, die Bereitschaft zu erhöhen, Energie einzusparen. Bei aller Widersprüchlichkeit durch Gas-Deals mit Katar kann es die Emissionen verringern, wenn die Bundesregierung und wir, die Bevölkerung, weiter auf Energiesparen setzen, damit wir sorgsamer – und dadurch sicherer und umweltschonender – mit den neu erschlossenen Gasquellen umgehen.
Sind sie besorgt um Deutschland und die Welt?
Natürlich bin ich besorgt! Aber die Situation ist nicht hoffnungslos und Deutschland kann viel dazu beitragen. Jedoch kann die Ampel allein das 2-Grad-Ziel nicht erreichen. Dafür brauchen wir eine weltweite Anstrengung. Und dafür kann und muss Deutschland mit gutem Beispiel vorangehen und alles tun, damit Deutschland möglichst schnell CO₂-neutral wird.
Was wünschen Sie der Ampel-Regierung – und damit Deutschland – zum Geburtstag?
Ich wünsche uns, aber vor allem den Menschen in Kriegsgebieten wie der Ukraine, Frieden in der Welt. Unter anderem hoffe ich, dass der russische Angriff so schnell wie möglich gestoppt wird. Frieden brauchen wir als eine Basis, um nachhaltige Entwicklung – statt nachhaltiger Zerstörung – voranzutreiben. Von der Regierung wünsche ich mir, dass sie alles in ihrer Macht Stehende dafür tut, nicht nur Umwelt- und Klimaschutz voranzutreiben, sondern auf Frieden in der Welt zu setzen.