watson: Im Jahr 2023 hat sich die Klimakrise spürbar zugespitzt: Es war das wohl heißeste Jahr seit 125.000 Jahren, Extremwetter und Katastrophen inklusive. Gibt es etwas, das Ihnen Hoffnung macht, Frau Göpel?
Maja Göpel: Um ehrlich zu sein, wüsste ich nicht, was ich anderes tun sollte, als immer wieder darauf aufmerksam zu machen, dass wir die Dinge auch anders machen können. Das Wunderbare an uns Menschen ist doch, dass wir so innovativ und lernend unterwegs sind. Solange wir uns weigern, richtig hinzusehen und dieses Puzzle zu lösen, werden wir es nicht schaffen. Aber sobald wir uns dem ernsthaft stellen, sehe ich keinen Grund, warum wir es nicht schaffen sollten.
Um die Erderhitzung zu begrenzen, muss möglichst schnell möglichst viel CO₂ eingespart werden. Was macht gute Klimaschutzmaßnahmen aus?
Da sind drei Dinge entscheidend: Die Maßnahme muss im Verhältnis zum Ziel stehen, sie muss also eine ausreichende Wirkung haben. Außerdem muss sie fair sein, also eine Art Wertekompass eingebaut haben, der die Verletzlichsten schützt. Und jede einzelne Person interessiert natürlich, was das mit der eigenen Situation macht.
Wie meinen Sie das?
Es interessiert uns der Vergleich mit denen, die wir als unsere Peer Group verstehen. Aber es ist jetzt schon klar, dass diejenigen, die Lebensstile mit großen CO₂-Fußabdrücken pflegen, mehr Verantwortung übernehmen müssen, als andere. Oft gehen diese Lebensstile aber auch mit hohen finanziellen Ressourcen einher und dann passt das Verursacherprinzip als Gerechtigkeitsprämisse.
Über Monate wurde über das 60-Milliarden-Loch im Haushalt für wirksamen Klimaschutz gestritten – jetzt steht er. Was hätten Sie anders gemacht?
Das ist eigentlich sogar schon im Koalitionsvertrag formuliert: Es braucht den Abbau umweltschädlicher Subventionen. Dazu gehören laut Umweltbundesamt etwa 65 Milliarden, die für Dinge wie das Dienstwagenprivileg, die Pendlerpauschale für Autofahrer:innen, Ausnahmen in der Energiewirtschaft oder einen reduzierten Mehrwertsteuersatz für Kerosin oder auf tierische Produkte wie Fleisch ausgegeben werden. Hier ließe sich budgetneutral umschichten, um eine entsprechende Lenkungswirkung zu erzielen. Außerdem sollte man die Schuldenbremse reformieren.
Warum?
Man muss Investitionen von Verschuldung differenzieren, vor allem dann, wenn sich die Investitionen in Zukunft positiv auswirken. Und das ist ja bei den erneuerbaren Energien eindeutig der Fall: Die Kosten für den Brennstoff fallen weg, die Kosten durch die Klimaveränderung werden reduziert.
Das Wort "Klimaschutz" ist oft negativ behaftet. Brauchen wir eine Wortneuerung?
Es gibt Neuro-Wissenschaftler:innen, die ganz klar sagen, man müsse von Menschenschutz sprechen. Das passiert ja auch teils schon dadurch, dass von Planetary Health gesprochen wird. Es geht um die menschliche Gesundheit in Abhängigkeit von "gesunden" Ökosystemen: Wenn es zu heiß wird, können wir uns nicht mehr fortbewegen, es gibt zu wenig Wasser, Wälder und Feuchtgebiete trocknen aus, die Artenvielfalt bricht ein – nicht besonders artgerechte Haltung für ein biologisches Wesen wie uns Menschen. Unsere Wirtschaft und unser Wohlstandsmodell sollten sich primär daran orientieren, dass wir eine verlässliche und gesunde Daseinsvorsorge erhalten.
Klingt logisch.
Ich habe das Gefühl, dass wir einen anderen Rahmen brauchen, um wieder miteinander in den Dialog zu kommen, gerade jetzt durch diese lagerbildenden polarisierenden parteipolitischen Strategien: Alles, was mit der Natur zu tun hat, ist grün. Und dann haben wir eine grüne Partei und die anderen Parteien können sich diesen "grünen" Themen gar nicht annehmen, ohne dass sie den Grünen quasi Zugeständnisse machen. Das ist doch völlig absurd!
Nochmal zurück zum Klimaschutz: Glauben Sie, dass das auch mit früheren Aktionen der Letzten Generation zusammenhängt?
Den Umfragen zufolge ja. Wobei ich es als Gesellschaftswissenschaftlerin viel interessanter finde, zu schauen, was dieses Verhalten hervorgerufen hat. Wenn man Personen der Letzten Generation fragt, erzählen sie einem, dass sie vorher Briefe an die Regierung geschrieben, demonstriert und sich im Alltag eingesetzt haben. Aber politisch sind nicht mal ausreichend Maßnahmen verabschiedet worden, die dem Einhalten der Klimaschutzziele entsprechen würden – und die sind noch zu locker für das 1,5-Grad-Ziel. Viele haben also aus einem großen Ohnmachtsgefühl agiert. Und die Forderungen, die sie haben, sind nun wirklich nicht radikal.
Die dafür eingesetzten Mittel waren schon radikal. Waren die Aktionen trotzdem gerechtfertigt?
Das Mittel des zivilen Ungehorsams ist eines, das unsere Gesetzgebung kennt und entsprechend behandelt. Es ist lange nicht zum Einsatz gekommen, was ein Zeichen für ein gutes Funktionieren der Demokratie gewesen ist. Dass sich die Aktionen dann gegen alle Bürger:innen im Alltag gewendet haben, hat viele aufgebracht und das verstehe ich natürlich gut. Ich finde das nicht leicht zu beurteilen und glaube, dass wir erst in der Zukunft abschließend bewerten werden, was die Aktionen gebracht haben oder nicht. So einige Rechte sind in der Vergangenheit nicht freundlich, sondern konfrontativ eingefordert worden, zum Beispiel in der Frauenbewegung. Aber ich muss zugeben, zum Teil verstehe ich die Aktionen nicht.
Immer öfter kommt die Frage auf, ob die Demokratie die richtige Gesellschaftsform ist, um die Klimakrise zu bewältigen.
Gerade im internationalen Raum merke ich, dass einige, die die Dringlichkeit verstanden haben, sich so etwas wie China wünschen: Einfach mal durchregieren und sagen, wie was läuft. Andere aus China und nicht-westlichen Ländern sprechen auch abwertend über die durch Lobbyismus und Konzerne ausgehöhlten Konsumgesellschaften, die eine Energie- oder Mobilitätswende nie hinbekommen werden.
Und was glauben Sie?
Ich persönlich glaube, dass wir sehr gut daran tun, uns immer wieder zu fragen, was unser Demokratieverständnis ist, mit dem wir freiheitlich und koordiniert – und nicht mikrokontrolliert – unsere gesellschaftlichen Ziele wie den Klimaschutz erreichen können.
Was meinen Sie damit?
Wir sollten uns nicht die Frage stellen: Demokratie – ja oder nein.
Sondern?
Wir sollten unser Innovationspotenzial ausschöpfen und schauen, wie wir demokratische Prozesse wirkungsvoller organisiert und vor allem transparenter bekommen. Der Bürgerrat, den auch die Letzte Generation fordert, ist ja nur ein Beispiel dafür, wie man möglichst repräsentativ unterschiedliche Akteur:innen zusammenbekommt und sie aktiv daran mitwirken können, klimapolitische Maßnahmen zu empfehlen. Auch welche Regeln und Steuern es heute gesellschaftlichen Akteur:innen erschweren, umzusteuern, gehört auf den Tisch. Darüber reden wir viel zu wenig.
Was – so die Hoffnung – zu strengeren Maßnahmen führen soll.
Zu einer Neuausrichtung der Lenkungswirkung unserer politischen Rahmenbedingungen. Und genau dafür muss ich diese erst einmal verstehen. Bürgerräte, in denen das offen diskutiert wird, erhöhen nachweislich die Bereitwilligkeit für strukturelle Veränderungen. Das hat man in Irland beim Bürgerrat zum Thema Abtreibungen gesehen, aber auch in Frankreich bei der Klimapolitik.
Woran liegt das?
Weil die Menschen merken, was heute nicht möglich ist und was das kostet – und vor allem dann eben auch, was sie gewinnen können, wenn sie die Regeln ändern. Und das ist ja eigentlich ziemlich beruhigend – weil sich doch immer wieder zeigt, dass wir vernunftbegabte Wesen sind, die breit sind, zu lernen, loszulassen und neu zu teilen, wenn es in der Summe zu einem guten Ergebnis kommt.