Nachhaltigkeit
Interview

IPCC-Bericht: Forscherin warnt vor sozialem Kollaps durch Folgen der Klimakrise

Nach dem Jahrhunderthochwasser in der Eifel durch heftige Regenfälle und Dauerregen mit Überschwemmungen und Überflutungen haben die Aufräumarbeiten im Ahrtal große Fortschritte gemacht. Einheiten von ...
Mit den Dürresommern und schweren Überflutungen werden auch erste Folgen der Klimakrise in Deutschland sichtbar. Bild: Geisler-Fotopress / Christoph Hardt/Geisler-Fotopres
Interview

Umweltforscherin warnt vor sozialem Kollaps durch verheerende Folgen der Klimakrise

05.04.2022, 10:5605.04.2022, 14:23
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Das Zeitfenster, um die Klimakrise noch ausbremsen und das 1,5 Grad-Limit einhalten zu können, schließt sich merklich. Auf welche Risiken und Gefahren wir Menschen uns einstellen müssen – und welche Möglichkeiten uns noch bleiben, um die Krise einzudämmen, damit befasst sich der dritte Teil des neuen Sachstandsberichts des Weltklimarats (IPCC), der am Montag veröffentlicht wurde.

Die amerikanisch-schwedische Umweltforscherin Lisa Schipper forscht an der Universität Oxford zu sozialgerechten Entwicklungen in der Klimakrise und war eine der koordinierenden Leitautorinnen des im März 2022 veröffentlichten IPCC-Reports.

Im Interview mit watson erzählt sie, worauf es beim Klimaschutz jetzt ankommt und was passiert, sollten die Regierungen den Warnschuss der Wissenschaft nicht hören.

Die Umweltforscherin Lisa Schipper forscht an der Universität Oxford zu sozialgerechten Entwicklungen in der Klimakrise und hat als Leitautorin am IPCC-Bericht mitgearbeitet.
Die Umweltforscherin Lisa Schipper forscht an der Universität Oxford zu sozialgerechten Entwicklungen in der Klimakrise und hat als Leitautorin am IPCC-Bericht mitgearbeitet.markus staas

watson: Der letzte sowie vermutlich auch der heute veröffentlichte IPCC-Report werden in der öffentlichen Wahrnehmung von Russlands Angriffskrieg in der Ukraine überschattet. Warum ist es trotz der humanitären Krise durch den Krieg so wichtig, die Klimakrise und einhergehende Anpassungsmaßnahmen nicht weiter schleifen zu lassen?

Lisa Schipper: Wir haben schon jetzt eine Erderwärmung von durchschnittlich 1,2 Grad erreicht – in einigen Orten sogar schon mehr – und die Emissionen sinken nicht, weil wir nicht von den fossilen Brennstoffen wegkommen. Das bedeutet, dass wir uns an die Folgen der Klimakrise anpassen müssen, denn die kommen schneller als wir auf die Krise reagieren. Einige davon, sogenannte "Soft-Limits" können wir meistern – durch Bildung, durch Finanzierungen – sie erfordern lediglich den politischen Willen in sowohl den Industrienationen, als auch Ländern des globalen Südens. Aber es gibt Grenzen der Anpassung. Hinzu kommt, dass wir wissen, dass eine Vielzahl von Menschen unter verheerenden Folgen leiden wird, wenn wir weiterhin wirtschaften wie bislang. Und noch einmal: wir wissen ganz genau, was wir tun müssen und welche Maßnahmen wir brauchen, um die Folgen des Klimawandels zu mildern – wir müssen nur anfangen.

"Die Staaten, die am meisten zum Klimawandel beigetragen haben, sind jetzt zum einen die Reichsten und zum anderen die am wenigsten von den Folgen der Krise betroffenen Staaten."

Aber wir tun es nicht...

Genau. Und dazu kommt noch, dass wir viele Anpassungsmaßnahmen falsch umsetzen und damit ausgerechnet die Menschen, die ohnehin schon vulnerabel sind und am meisten unter den Folgen der Krise leiden, weiteren Gefahren aussetzen. Dabei handelt es sich um sogenannte Fehlanpassungen. Aber auch hier wüssten wir in den meisten Fällen, wie wir diese umgehen könnten.

Sie hatten aber auch von Grenzen der Anpassung gesprochen. Welche wären das?

Dabei geht es vor allem um unsere Ökosysteme. Korallenriffe beispielsweise werden irgendwann kippen und einfach verschwinden. Und solche Prozesse werden wir in den meisten Fällen nicht wieder umkehren können. Wir müssen also unbedingt unsere CO2-Emissionen senken, Anpassungsmaßnahmen allein reichen nicht aus.

Wenn man die politische Lage über die Jahre beobachtet hat, bekommt man den Eindruck, dass die Klimakrise immer diese eine Krise zu viel ist, für die dann nicht mehr ausreichend Mittel und Aufmerksamkeit zur Verfügung stehen. Stimmen Sie dem zu? Woran liegt das?

Der Klimawandel ist das Ergebnis eines komplexen, ungleich und unfair verlaufenden Prozesses, der große Menschengruppen über Jahrzehnte der Rohstoffgewinnung, Unterdrückung und des Kolonialismus vulnerabel gemacht hat. Die Staaten, die am meisten zum Klimawandel beigetragen haben, sind jetzt zum einen die Reichsten und zum anderen die am wenigsten von den Folgen der Krise betroffenen Staaten. Dementsprechend hatte Klimaschutz für diese Staaten schlicht zu keinem Zeitpunkt eine Priorität. Das sollte sich aber ändern.

"Auch reiche Länder wie Deutschland sind von den Folgen des Klimawandels betroffen, wie wir an den Überschwemmungen im Ahrtal letztes Jahr gesehen haben. Ein ähnliches Schicksal droht ganz Nordeuropa."

Warum?

Aus drei Gründen. Erstens: Die Folgen der Klimakrise sind global. Am Krieg in der Ukraine sieht man das an Ernteausfällen, besonders am Weizen. Durch den Klimawandel wiederum wird es zu Ernteengpässen von beispielsweise Luxusgütern wie Kaffee, Tee und Schokolade kommen – die größtenteils nicht in den reichen Ländern angebaut werden. Zweitens: Reiche Länder wie Australien haben große Angst vor Klimaflüchtlingen – also sollten sie sich, aus eigenem Interesse heraus, darum kümmern, dass die gefährdeten Gebiete auch weiterhin sicher für ihre Anwohner bleiben. Und drittens: Auch reiche Länder wie Deutschland sind von den Folgen des Klimawandels betroffen, wie wir an den Überschwemmungen im Ahrtal letztes Jahr gesehen haben. Ein ähnliches Schicksal droht ganz Nordeuropa.

Was missverstehen wir Menschen mit Blick auf die Klimakrise?

Vieles! Zum einen glauben viel zu viele, dass sich die Probleme der Krise mit der richtigen technischen Erfindung beheben lassen, wie zum Beispiel mit Elektroautos. Natürlich tragen sie ein Stück weit zur Lösung bei, aber sie ziehen auch viele Nachteile nach sich. So ist zum Beispiel der Bau von Batterien mit dem Abbau von Lithium in zumeist armen Ländern verbunden. Um der Klimakrise zu begegnen, braucht es eine Verhaltensänderung, leider. Und manche dieser Änderungen werden auch unangenehm sein für uns, die ein gutes und komfortables Leben führen. Aber ohne diese Verhaltensänderungen wird es nicht funktionieren.

Das klingt, als käme da noch mehr.

Ja, denn was vor allem nicht verstanden wird, ist, dass sich das Zeitfenster, in dem wir noch Handlungsspielraum haben, schließt – uns bleibt kaum noch Zeit! Wir müssen binnen der nächsten zehn Jahre handeln, sonst stoßen wir unumkehrbare Kipppunkte an. Sobald wir 1,5 Grad überschreiten, werden zahlreiche Ökosysteme dauerhaft beschädigt sein. Wir können noch nicht einmal klar sagen, was noch an Konsequenzen auf uns zukommt, es könnte verheerend sein. Und dazu kommt noch, dass der Klimawandel nicht in einem Vakuum stattfindet.

"Wir leben auf einer Erde, auf der alles mit allem zusammenhängt – nicht auf vielen verschiedenen Planeten. Und das bringt mich zu meinem letzten Punkt: Wir scheinen nicht zu begreifen, wie sehr wir Menschen von gesunden Ökosystemen abhängen."

Was genau meinen Sie damit?

Die meisten Krisen, denen wir jetzt gegenüberstehen, werden entweder den Klimawandel vorantreiben oder sich durch den Klimawandel verschlimmern. Wir leben auf einer Erde, auf der alles mit allem zusammenhängt – nicht auf vielen verschiedenen Planeten. Und das bringt mich zu meinem letzten Punkt: Wir scheinen nicht zu begreifen, wie sehr wir Menschen von gesunden Ökosystemen abhängen. Das Essen kommt nicht aus dem Supermarkt, es kommt aus der Natur.

Aus Ihren Antworten und aus den IPCC-Berichten geht klar hervor: Die Zeit drängt. Was droht uns, wenn die Politik diesen Warnschuss nicht hört?

Wenn wir jetzt nicht reagieren, droht uns vermutlich eine Art sozialer Kollaps – vor allem riskieren wir aber das Leben von Millionen von Menschen. Das ist unfair und inakzeptabel.

Der im März sowie der am Montag veröffentlichte IPCC-Bericht werden als besonders wichtig angesehen, weil es in beiden Berichten darum geht, wie Menschen und Ökosysteme von der Klimakrise getroffen werden – und wie wir uns anpassen können. Was sind in Ihren Augen die drei wichtigsten Maßnahmen, die jetzt umgesetzt werden müssen?

Aus dem zweiten Sachstandsbericht geht klar hervor, dass wir uns nicht an die Folgen der Krise anpassen können, solange wir nicht die CO2-Emissionen senken. Unsere Abhängigkeit von fossilen Energien zu reduzieren hat also oberste Priorität. Außerdem müssen wir den Entwicklungsstand in zahlreichen Ländern verbessern, um weitere Katastrophen und damit einen sozialen Kollaps vorzubeugen.

"Wir brauchen lediglich den politischen Willen und die Realisation der Menschen, dass jede Entscheidung uns entweder weiter weg oder näher zu einer klimaresilienten Entwicklung führt."

Wie groß ist das Zeitfenster, das uns noch bleibt, um uns und unsere Ökosysteme zu retten?

Wir haben schon jetzt einige Grenzen überschritten. Da das Thema Kipppunkte nicht in meinen Forschungsbereich fällt, möchte ich mich ungern dazu äußern. Nur so viel: Die Zeit rennt uns davon.

Glauben Sie noch daran, dass es uns gelingen kann, die Klimakrise so weit auszubremsen, dass Kipppunkte nicht eintreten?

Ja! Wir brauchen lediglich den politischen Willen und die Realisation der Menschen, dass jede Entscheidung uns entweder weiter weg oder näher zu einer klimaresilienten Entwicklung führt.

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