Schon im vergangenen Jahr nahmen die Flugbewegungen ab. Corona wird diesen Trend beschleunigen, sagt Soziologe Andreas Knie.Bild: iStockphoto / Yelizaveta Tomashevska
Interview
16.05.2020, 08:2808.06.2020, 18:21
Trekking in Tibet oder Beachpartys auf Bali: In diesem Jahr werden wir solche Reisepläne aller Voraussicht nach nicht in die Realität umsetzen. Doch es wird auch eine Zeit nach Corona geben – mit offenen Grenzen, vollen Stränden und Menschentrauben vor Touristenattraktionen.
Wie wird die globale Pandemie unser Reiseverhalten beeinflussen, wenn zumindest theoretisch wieder alles möglich ist? Und macht der erzwungene Lockdown unseren Urlaub auch langfristig lokaler und nachhaltiger?
Andreas Knie ist Professor für Soziologie und forscht unter anderem zu Mobilität und Verkehr. Im Interview mit watson erklärt er, welchen Reisetrend das Coronavirus verstärken könnte und warum wir wohl auch nach dem Aufheben der Reisebeschränkungen weniger fliegen werden.
watson: Bald öffnen die ersten Hotels und Ferienwohnungen wieder. An Strandurlaub in Portugal oder Backpacking in Südamerika ist aber zunächst nicht zu denken. Wie wird unser Urlaub in diesem Jahr aussehen?
Andreas Knie: Genau weiß man das noch nicht, weil noch nicht klar ist, wie lange die Isolationsmaßnahmen gelten werden. Aber es zeichnet sich ab, dass inländische Destinationen die großen Gewinner sein werden. Wir gehen davon aus, dass 80 bis 85 Prozent der Bürger in Deutschland Urlaub machen werden. Falls möglich, werden vermutlich auch ausländische Zielorte angefahren – aber da muss man eben erst einmal hinkommen.
Früher war es ganz normal, im Urlaub ins Erzgebirge oder in den bayerischen Wald zu fahren. Warum träumen wir mittlerweile von exotischeren Urlaubszielen?
Weil auch die exotischeren Urlaubsorte inzwischen einfach und günstig zu erreichen sind. Wir können plötzlich für unter 1000 Euro nach Asien fliegen und bekommen dort einen hohen Service und Standard geboten. Die Möglichkeiten sind gigantisch.
"Manchmal ist es billiger, eine Woche nach Mallorca zu fliegen, als in den Schwarzwald zu fahren."
Der Preis ist ganz entscheidend. Durch das Internet werden uns ferne Orte außerdem viel nähergebracht, wirken vertrauter und weniger fremd.
Lernen wir durch das Coronavirus jetzt langfristig, auch Urlaub in Deutschland oder den Nachbarländern zu schätzen – oder werden wir uns nach dem Ende der Pandemie erst recht wieder in den Flieger setzen und nach Bali jetten?
Schon vor der Corona-Pandemie gab es deutliche Anzeichen, dass die Flugbewegung abnimmt: 2019 gab es in der zweiten Jahreshälfte fünf Prozent weniger innerdeutsche Flüge, innereuropäische Flüge haben sich um drei Prozent reduziert und transatlantische Flüge um ein Prozent abgenommen. Gleichzeitig gab es an deutschen Urlaubsorten schon in den vergangenen Jahren steigende Buchungen. Dieser Trend wird sich durch Corona verstärken. Und auch nach der Pandemie wird es die Option, schnell für 48 Euro nach Mallorca zu fliegen, mutmaßlich nicht mehr geben. Wir werden wohl weiter eher nach Deutschland, Österreich oder auch Polen fahren. Der Urlaub wird räumlich kompakter.
Heißt das, Flugreisen werden teurer?
Ja, Fliegen wird deutlich teurer werden, vor allem internationale Flüge - weil die Nachfrage lange Zeit unten, die Kosten aber sehr hoch sind. Dabei war Fliegen schon immer ein Oberschichtenphänomen. Das Paradoxe ist, dass selbst Billigfluglinien in der Vergangenheit vor allem von der Ober- und Mittelschicht genutzt wurden und nicht zur Demokratisierung des Reisens beitrugen. Einkommensschwächere Schichten sind also sowieso schon mit dem Auto gefahren. Das wird sich jetzt noch verstärken. Die Tendenz der vergangenen 20 Jahre, häufiger, aber dafür kürzer in den Urlaub zu fliegen, wird ebenfalls abnehmen.
Schon vor der Pandemie wurde die Klimaschädlichkeit von Flugreisen diskutiert. Wird das Reisen durch Corona automatisch nachhaltiger?
"Corona beschleunigt den Trend zum nachhaltigeren Urlaub in Deutschland."
Natürlich werden wir nach dem Ende der Maßnahmen auch wieder nach Asien oder in die USA fliegen. Aber das schnelle City-Hopping, also mal eben zum Shoppen nach London fliegen, wird es so nicht mehr geben. Ich glaube nicht, dass wir nach der Pandemie auf das Niveau im Flugverkehr zurückkommen werden, auf dem wir waren – der Peak von 2018 ist überschritten. Das mangelnde Angebot und der Nachhaltigkeitsgedanke kommen also zusammen: Wir fahren an die Ostsee, ärgern uns über das schlechte Wetter, haben dabei aber ein gutes Gewissen.
Andreas Kniebild: David ausserhofer
Über den Experten
Andreas Knie ist Professor für Soziologie an der Technischen Universität Berlin. Außerdem leitet er die Forschungsgruppe "Digitale Mobilität und gesellschaftliche Differenzierung" am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung.
Mit dem deutschen Reisepass konnten wir bislang problemlos in beinahe jedes Land reisen. Was macht es mit uns, plötzlich nicht mehr solche Möglichkeiten zu haben?
Wir Deutschen sind Reiseweltmeister: 80 Prozent derer, die reisefähig sind, sind im vergangenen Jahr auch in den Urlaub gefahren. Das ist Rekord. Wenn das eingegrenzt wird, ist die Trauer und Frustration natürlich groß – aber auch das Einsehen. Man wird versuchen, neue Wege zu gehen und mit dem Auto und der Bahn möglichst weit zu kommen. In ein paar Monaten werden die Touristenattraktionen wieder voll sein – nur eben unter strengeren Hygienemaßnahmen.
Wie erging es den Gletschern in diesem Jahr? Zusammen mit einem Bergführer besteigen Schweizer watson-Kollegen den Feegletscher in den Schweizer Alpen.
Es gab Zeiten, als die Gletscher noch gewachsen sind. Doch die Jahre 2022 und 2023 waren in dieser Hinsicht verheerend für die Schweizer Alpen: In nur zwei Jahren haben die Gletscher rund zehn Prozent von ihrem gesamten Volumen verloren.