Nachhaltigkeit
Interview

Meeresbiologe kritisiert Umweltministerium: "Einzige Walart wird ausgerottet"

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Der Schweinswal ist der einzige Wal, der in der Ostsee lebt – und akut vom Aussterben bedroht. Bild: www.imago-images.de / Nick Hawkins
Interview

Meeresbiologe kritisiert Umweltministerium: "Mitverantwortlich, dass unsere einzige Walart ausgerottet wird"

06.02.2021, 05:0007.02.2021, 09:36
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Was in den Tiefen der Ozeane vor sich geht, können wir oft nur erahnen. Dabei haben Tiere dort komplexe Sozialstrukturen entwickelt und kommunizieren teilweise über Hunderte Kilometer hinweg miteinander. Nur: Das Leben im Ozean ist bedroht: durch Fischerei, durch Plastikmüll, durch Unterwasserlärm, Umweltgifte und aufdringliche Touristen.

Am Samstagabend (20.15 Uhr) startet in der ARD der Pilotfilm "Tödliche Strandung" der potenziellen neuen Ökothriller-Reihe "Retter der Meere", die genau diese Themen behandelt. Damit es dabei wissenschaftlich korrekt zugeht, stand Meeresbiologe und Verhaltensforscher Karsten Brensing dem TV-Team beratend zur Seite. Er hat sich in seinen Büchern unter anderem damit beschäftigt, wie Tiere kommunizieren – und setzt sich für ein besseres Verständnis für Tiere ein.

Im Interview mit watson erklärt Brensing, warum das Mittelmeer eher den Namen Totes Meer verdient hätte, warum das Umweltministerium eine Mitschuld am Tod vieler der vom Aussterben bedrohten Schweinswale in der Ostsee hat und warum er sich keinen Spielfilm über das Meer anschauen kann, ohne sich die Haare zu raufen.

"Theoretisch könnten alle Wale, die sich in der Mitte des nordatlantischen Beckens befinden, miteinander kommunizieren."

watson: Sie haben sich ausführlich mit der Sprache der Tiere beschäftigt. Wie funktioniert die Kommunikation im Ozean? Wie unterhalten sich Wale und Delfine?

Karsten Brensing: Wale und Delfine nutzen wie wir Akustik, um sich zu verständigen. Teilweise leben sie in komplexen sozialen Netzwerken und haben ein eigenes Vokabular und eine Grammatik. Man hat sogar festgestellt, dass Delfine Dreiwortsätze verstehen können.

Gar nicht so anders als bei uns.

Ja, im Wasser funktioniert die akustische Verständigung aber viel besser als bei uns an Land. Wenn ich laut rufe, kommt hundert Meter weiter nicht mehr viel an. Unter Wasser dagegen kann der Schall noch 2000 Kilometer weiter vernommen werden. Theoretisch könnten also alle Wale, die sich in der Mitte des nordatlantischen Beckens befinden, miteinander kommunizieren.

Und in der Praxis?

In der Praxis ist das seit den 60er Jahren nicht mehr möglich, weil die vielen Schiffe einen zu großen Hintergrundlärm erzeugen. Die menschliche Unterwasserlärmverschmutzung ist ein großes Problem, der Verständigungsbereich ist auf 200 Kilometer geschrumpft. Es gibt deshalb Kampagnen, die die Schifffahrt um ein paar Knoten verlangsamen wollen – das würde den Lärm schon um die Hälfte reduzieren. Genauso problematisch sind aber impulshafte Schalle, wie kleine Explosionen, die bei der Suche nach Bodenschätzen entstehen, oder wenn der Pfeiler einer Windkraftanlage in den Boden gerammt wird.

"Was unser Wissen über die Tiefsee angeht, kann man sich das so vorstellen, wie wenn man mit der Hand in den Sandstrand greift und schaut, was sich darin befindet. Der Strand ist aber kilometerlang!"

Welche Folgen hat das für die Tiere?

Das Sozialleben beispielsweise bei Walen ist sehr komplex, sie sind auf Kommunikation angewiesen. In direkter Umgebung des Lärms bekommen die Tiere außerdem einen Gehörschaden. Und die Tiere hauen fluchtartig ab, was insbesondere für Mütter mit ihren Kälbern ein Problem ist – denn die Kälber können noch nicht so schnell schwimmen wie die anderen.

Die Rufe der Wale haben kürzlich dazu geführt, dass vor Mexiko eine bislang unbekannte Walart entdeckt wurde. Ist der Ozean noch voller Lebewesen, von deren Existenz wir keine Ahnung haben?

Auf jeden Fall. Was unser Wissen über die Tiefsee angeht, kann man sich das so vorstellen, wie wenn man mit der Hand in den Sandstrand greift und schaut, was sich darin befindet. Der Strand ist aber kilometerlang! Wir schauen natürlich gezielt dort nach, wo wir etwas vermuten. Aber gerade bei den Walen kommen immer wieder neue Arten dazu. Durch die Akustik bekommt man oft erste Hinweise, die sich dann durch genetisches Material bestätigen müssen.

Nicht nur Forscher können Walen nahekommen, sondern auch Touristen, die auf Whale Watching Tour gehen. Für uns Menschen ist das ein tolles Erlebnis – aber wie fühlen sich die Wale, wenn wir sie mit unseren Booten verfolgen?

Das kommt immer darauf an, wo man ist und wie ernst die Betreiber solcher Touren den Walschutz nehmen. Natürlich ist das erst einmal eine Störung für die Tiere. Wenn sie sich zu gestresst fühlen, wandern sie ab, was Energie kostet. Wenn die Nahrung sowieso schon reduziert ist, beispielsweise wegen Überfischung, ist das ein echtes Problem. Aber die Anbieter von Whale Watching Touren würden dann ihre Einnahmequelle verlieren, das ist den meisten natürlich klar. Teilweise sind solche Touren deshalb streng reguliert, nur wenige Boote sind erlaubt, die sich den Tieren dann nur von der Seite annähern und nicht von vorne. Aber durch die vielen Touristen wird natürlich auch ein gewisser Druck erzeugt.

Und wie sieht es beim Schwimmen mit Delfinen aus?

Davon rate ich auf jeden Fall ab, weil man den Tieren viel zu nahe kommt. Beobachtungen von Delfingruppen erwecken den Eindruck, als würde die Gruppe in solchen Fällen gezielt Opferdelfine auswählen, die das dann mitmachen müssen. Das beeinträchtigt natürlich deren Energiebudget, sie müssen ihr Futter zu anderen Zeiten suchen, also wird das Sozialleben reduziert. Und wie wir gerade im Corona-Lockdown sehen, hat das gravierende Folgen.

Forscher haben im vergangenen Jahr herausgefunden, dass es rund um Großbritannien praktisch keinen Meeressäuger ohne Mikroplastik im Körper gibt. Warum ist das Mikroplastik so ein großes Problem?

Plastik ist ein sehr komplexes Thema. Es zerfällt nicht nur im Meer, sondern wird dabei auch porös wie ein Schwamm, der Gifte und Schwermetalle aus dem Wasser aufnimmt. Weil die Mikroplastikstrukturen so groß sind wie die Nahrung von Filtrieren, werden sie von denen gefressen, und die Filtrierer dann wiederum von Fischen und so weiter. Auf diese Art und Weise wird das Gift zwar aus dem Meerwasser gefiltert, aber im biologischen Kreislauf akkumuliert.

Die Tiere am Ende der Nahrungskette – dazu gehören auch wir Menschen – stehen dann mit einem echten Problem da. Wir müssen das Mikroplastik also aus dem Meer herausholen, vor allem aber dafür sorgen, dass nicht noch mehr hineingelangt. Da kann jeder selbst bei seiner Kleidung anfangen: Wenn die aus Plastikfasern besteht, wird bei jedem Waschen Mikroplastik ins Wasser geschwemmt.

"Plastiknetze, die seit Jahrzehnten im Wasser treiben, sind echte Massengräber – wenn man diese Bilder sieht, wird man seines Lebens nicht mehr froh."

Es gibt ja mehrere Startups wie Ocean Cleanup, die es sich zum Ziel gesetzt haben, Plastik wieder aus dem Ozean zu fischen. Ist das die Lösung?

Ich bin da ambivalent. Es ist natürlich toll, dass das geschieht, auf der anderen Seite müssen solche Projekte von der Forschung begleitet werden, um zu sehen, ob sie irgendwelche Nachteile mit sich bringen. Ich hoffe sehr, dass sie funktionieren, aber auch, dass man irgendwann Mikroorganismen züchten kann, die Plastik besser abbauen können.

Das müssen Sie genauer erklären.

Plastik wurde extra so konstruiert, dass es lange haltbar ist. Plastiknetze, die seit Jahrzehnten im Wasser treiben, sind deshalb echte Massengräber – wenn man diese Bilder sieht, wird man seines Lebens nicht mehr froh. Umso schwerer ist es deshalb, Mikroorganismen zu züchten, die Plastik gezielt abbauen und auch relativ feste Verbindungen angreifen können. Ich hoffe aber, dass das irgendwann möglich sein wird. Allerdings können Mikroorganismen wahnsinnig gut voneinander lernen. Das Wissen, wie man Plastik abbaut, wird dann schnell weitergegeben. Wenn solche Mikroorganismen in die Umwelt gelangen, könnte das also auch große Probleme mit sich bringen.

Apropos Massengräber – die Nutzung von Treibnetzen in der EU und vielen anderen Ländern ist inzwischen verboten. Bringt das tatsächlich etwas?

Das Verbot der Treibnetze war ein Wahnsinnserfolg der Umweltschutzbewegung. Allerdings hat es Jahrzehnte gedauert, es durchzusetzen, viele Staaten haben sich dagegen gesträubt und nach Schlupflöchern gesucht. Italien und Frankreich beispielsweise haben die erlaubten verankerten Netze genutzt – sie dann allerdings an schwimmenden Ankern befestigt, das muss man sich mal vorstellen. Dafür sind sie von der EU abgestraft worden. Das Verbot ist also generell ein Erfolg, kam aber viel zu spät. Das Mittelmeer verdient inzwischen eher den Namen Totes Meer, durch die Überfischung befindet sich nur noch ein Bruchteil der ursprünglichen Biomasse darin.

Zumindest die Wasserqualität ist in den Flüssen in Europa in den vergangenen Jahrzehnten deutlich besser geworden. Gilt das auch für die Meere?

Teilweise haben wir das in den Griff bekommen, in der industriellen Welt werden die Gewässer inzwischen gut kontrolliert und das können wir auch feiern. Allerdings entwickelt es sich an anderer Stelle umso dramatischer, die Mikroplastikproblematik war vor zehn Jahren etwa noch gar nicht bekannt. Und die Schwermetalle, die wir jahrzehntelang ins Meer gepumpt haben, bleiben dort und werden nicht einfach abgebaut. Auch die Biodiversität nimmt immer weiter ab, das Artensterben ist noch immer in vollem Gange. Von daher gibt es keinen Grund, Entwarnung zu geben, im Gegenteil.

Wo sind die Meeresbewohner derzeit besonders gefährdet?

Ich werde besonders wütend bei dem, was vor unserer eigenen Haustüre passiert: Wir haben genetisch getrennte Populationen von Schweinswalen in der Nord- und Ostsee, und die Wale in der Ostsee sind extrem von den Stellnetzen der Fischer bedroht, oftmals sind das sogar Hobbyfischer. Jedes Jahr verfangen sich mehr Tiere in diesen Netzen, als geboren werden, das können wir statistisch belegen. Wir rotten in der Ostsee also unsere einzige Walart aus, dabei kennen wir das Problem seit 20 Jahren.

Aber nicht einmal in Schutzgebieten gibt es ein Verbot von Stellnetzen. Die Meerespolitik der CDU-Regierung war in den vergangenen Jahren nicht gerade umweltfreundlich. Aber auch die Umweltministerin von der SPD ist mitverantwortlich, dass unsere einzige Walart ausgerottet wird, weil sie sich nicht gegen die Interessen der Fischerei und des Landwirtschaftsministeriums durchsetzt. Das verstößt gegen EU-Recht.

Petition für den Schutz von Schweinswalen
Vor Deutschlands Küsten sterben jedes Jahr Hunderte Schweinswale, weil sie als so genannter Beifang in Stellnetzen verenden – diese sind die Haupttodesursache der eigentlich streng geschützten Tiere. Doch nicht einmal in den speziell für die vom Aussterben bedrohten Schweinswale eingerichteten Meeresschutzgebieten sind die Netze verboten. Tierschutzorganisationen wollen das mit einer Petition ändern. Das Umweltministerium hat bislang nicht auf eine Anfrage von watson zu dem Thema reagiert.

Gibt es auch positive Beispiele, die zeigen, dass Meeresschutz funktioniert?

Ja, das Great Barrier Reef in Australien wird beispielsweise gut geschützt. Auch auf den Kanaren gibt es Erfolge. Dort wurde die Fischerei um eine kleine Insel herum komplett verboten. Dadurch ist etwas tolles passiert: Die Fischbestände haben sich so gut erholt, dass sich selbst in entfernteren Gewässern wieder mehr Fische tummelten. Selbst die Fischer haben also davon profitiert.

Beim Auftaktfilm der ARD-Reihe haben sie als wissenschaftlicher Berater fungiert. Welche Szenen aus Ihrem Fachgebiet haben Sie schon im Fernsehen gesehen, bei denen Sie nur den Kopf geschüttelt haben?

Ich kann keinen Film über das Meer sehen, ohne die Krise zu kriegen. Natürlich muss man bei fiktionalen Filmen immer Abstriche machen, aber teilweise ist es wirklich absurd, was wir da zu sehen bekommt. Deshalb bin ich froh, dass ich angesprochen wurde. In dem ARD-Drehbuch gab es beispielsweise eine Szene, in der gestrandete Tiere mit einem Seil um den Schwanz gewickelt ins Meer zurückgezogen werden sollten. Das ist aber weit weg von jeder Realität, damit bringt man die Tiere um, sie sterben vor Schock oder ihre Atemöffnung gelangt unter Wasser, wenn sie kopfüber am Schwanz gehalten werden. Das wurde dann zum Glück geändert.

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