Es besteht ein Risiko von 50 Prozent, dass sich die Erde bereits in den kommenden fünf Jahren so sehr erwärmt, dass die Temperatur 1,5-Grad über dem vorindustriellen Niveau liegt. Zumindest temporär. Das ist das Ergebnis eines Klimaberichts, den die Weltorganisation für Meteorologie (WMO) Anfang Mai veröffentlichte. Noch 2015 lag die Wahrscheinlichkeit einer solch rapiden Erhitzung bei nahezu null.
Die Forschenden gehen zudem davon aus, dass mindestens eines der Jahre zwischen 2022 und 2026 das bislang Wärmste seit Beginn der Wetteraufzeichnungen werden könnte – wärmer als das Hitzerekordjahr 2016. Die Wahrscheinlichkeit dafür liegt laut den Experten bei 93 Prozent.
Es sei nahezu sicher, dass sich der globale Temperaturanstieg fortsetzen wird. Mit der steigenden Erderhitzung ist auch die Wahrscheinlichkeit für eine zumindest temporäre Überschreitung des 1,5-Grad-Limits gewachsen: Lag sie 2015 noch bei nahezu null, ist sie in den Jahren von 2017 bis 2021 auf zehn Prozent angestiegen. Für die Jahre von 2022 bis 2026 liegt die Wahrscheinlichkeit bei fast 50 Prozent. Das bedeutet, dass die Wahrscheinlichkeit einer kurzfristigen Überschreitung genauso groß ist wie die, dass es nicht dazu kommt.
"Die Studie zeigt mit hoher wissenschaftlicher Kompetenz, dass wir dem unteren Ziel des Pariser Klimaabkommens vorübergehend messbar näher kommen", sagt WMO-Generalsekretär Petteri Taalas. Er betont weiter:
Weiter sagen die Prognosen bis 2026 eine größere Niederschlagswahrscheinlichkeit in der Sahelzone (die sich durch die Länder Senegal, Mauretanien, Mali, Burkina Faso, Niger, den Tschad und den Sudan zieht), Nordeuropa, Alaska und Nordsibirien voraus. Trockenere Bedingungen werden vor allem im Amazonasgebiet erwartet. In den Wintermonaten dieses Zeitraums dürften Regenfälle in den Tropen zunehmen und in den Subtropen abnehmen.
Eine Vorhersage ganzer Jahreszeiten sei nach Auskunft des Climate Service Center Germany (GERICS) nach wie vor sehr schwierig und entsprechend wenig seriös zu beantworten. "Doch das, was wir bereits aus vergangenen Jahren kennen – zu wenig Niederschlag im eigentlich wachstumsintensiven Frühjahr und weiterhin hohe 'Dürrelasten' in den Böden aus den Vorjahren – stimmt durchaus nachdenklich."
Auch Florian Imbery, Sachgebietsleiter in der Abteilung Klimaüberwachung des Deutschen Wetterdienstes, bestätigt, dass es zu einem "überdurchschnittlich warmen und zu trockenen Sommer 2022" kommen wird. Ob es zu Überflutung wie im Ahrtal komme, sei ungewiss, da "Starkniederschläge im Abstand von zwei bis sechs Stunden kommen" – da sei der Messzeitraum mehrere Monate im Vorhinein noch nicht aussagekräftig genug.
"Jedoch wird es klimabedingt auch 2022 zu einer Zunahme von Starkniederschlägen im gesamten Bundesgebiet kommen, verglichen mit der Häufigkeit vor noch zehn Jahren", sagt der Meteorologe im Gespräch mit watson.
Diese Vorhersage bestätigen auch die Experten und Expertinnen vom Climate Service Center Germany: "Wir haben bereits in den Jahren 2018 und 2019 vor allem wenig gut verteilte Niederschläge bei gleichzeitig hohen Temperaturen und Verdunstungsraten gesehen." Das habe Böden und Gewässer ausgetrocknet, und teilweise Landwirte und Wasserwerke in einigen Regionen in große Bedrängnis gebracht.
Weiter heißt es:
Umso wichtiger wäre es deshalb, ein "ganz breites Spektrum an Klimaschutzanpassungen in ganz Deutschland aufzubauen", schlägt Klimaexperte Imbery auf Nachfrage von watson vor, was auch die GERICS-Experten und -Expertinnen befürworten. Die wichtigste Schutzmaßnahme hätte dabei zumindest teilweise jede und jeder selbst mit in der Hand: "Wir brauchen dringend eine schnelle und umfassende Reduzierung eines jeden einzelnen Fußabdrucks bei den Treibhausgasen. Denn diese sind absolut unzweifelhaft der zentrale Treiber für die Erderwärmung und zunehmende Extreme, die weltweit daraus resultieren."
Auch gegen Extremniederschläge müssten wir uns aus Sicht der Forschenden deutlich stärker wappnen und unsere "teils jahrzehntealten (kritischen) Infrastrukturen an die neuen Klima- und das heißt eben auch Wetterverhältnisse anpassen".
Darüber hinaus sei es sehr wichtig, sich nicht nur an die Klimaveränderungen anzupassen, die bereits jetzt stattfänden, sondern auch vorausschauend jene Veränderungen mit einzubeziehen, "die wir auf Basis unzähliger Projektionen unausweichlich bereits vor uns sehen." Bedeutet also, spätestens jetzt müsste besser für noch kommende Naturkatastrophen vorgeplant werden.
Nach Prognose der GERICS-Wissenschaftler und -Wissenschaftlerinnen und des Deutschen Wetterdienstes bräuchte es dafür vor allem in Städten "viel mehr Grün- und Wasserflächen und weniger Versiegelung der Böden durch Asphalt, sowie mehr Maßnahmen gegen Hitzewellen".
Nach Aussage des Climate Service Center Germany müssten sich aber auch Industriezweige wie die Land- sowie Wasserwirtschaft in einigen Regionen in den Sommermonaten auf ein geringeres Wasserangebot einstellen: "Diese Veränderungen betrifft nicht zuletzt auch die Landwirtschaft, die sich mit Blick auf eine reformbedürftige gemeinsame Agrarpolitik (GAP) ohnehin einem umfassenderen Umbau gegenübersieht, der Klimaschutz und Klimaanpassung gleichermaßen viel stärker berücksichtigen muss."
Aber nicht nur Infrastruktur und Industrie müssen sich verändern. Wie die Forschenden schlussfolgern, müssten auch wir Deutschen unser Verhalten bei neuen Rekordtemperaturen anpassen und mehr auf unsere Gesundheit Acht geben. Florian Imbery vom Deutschen Wetterdienst fasst zusammen: "Einfache Tipps wie häufiger und mehr Wasser trinken oder Hitze-exponierte Aufenthalte und Tätigkeiten zu vermeiden, können dabei viel helfen."
Denn zum "Hitzefrei" wird es wohl auch 2022 kommen.