Nordsee: besorgniserregende Entwicklung im Wattenmeer
Es ist eine Fehleinschätzung mit womöglich großen Konsequenzen: Die deutsche Wattenmeer-Küste steht deutlich schlechter da, als Forschende lange angenommen hatten.
Neue Daten zeigen, dass die flachen Küstenbuchten viel weniger Sedimentnachschub bekommen als früher. Damit bröckelt ein natürlicher Schutzschild, der für den Norden lebenswichtig ist.
Das Watt – mehr als ein hübsches Urlaubsfoto
Das Wattenmeer ist nicht nur ein ökologisch einzigartiger Lebensraum und UNESCO-Weltnaturerbe, sondern auch ein riesiger Puffer zwischen Nordsee und Küste. Die flachen Tidebecken, durchzogen von Prielen und Rinnen, bremsen Wellen, dämpfen Sturmfluten und wirken wie ein natürlicher Wall zwischen Inseln und Festland.
Normalerweise lagert sich hier stetig neues Sediment ab – genug, um den steigenden Meeresspiegel auszugleichen. Eigentlich.
Eine neue Analyse dreht das Bild auf links: 20 der 24 Tidebecken der Deutschen Bucht können den Meeresspiegelanstieg nicht mehr ausgleichen. Denn die Sedimentmengen, die sich im Watt ablagern, wurden jahrelang überschätzt und sinken tatsächlich seit Jahrzehnten.
Für ihre Studie haben Bo Miao und sein Team vom Hereon-Institut 25 Datensätze von 1998 bis 2022 untersucht und vor allem: erstmals vereinheitlicht.
Dabei zeigte sich eine deutliche Diskrepanz: Die älteren Daten (1998–2009) und die neueren (2010–2022) passten nicht zusammen. Kleinräumige Strukturen wie Priele oder Rinnen waren teilweise falsch erfasst. Dadurch wirkten die Wattflächen in früheren Analysen "wachsamer", als sie wirklich sind.
"In früheren Untersuchungen kam es dadurch immer wieder zu Verzerrungen", erklärt Seniorautor Wenyan Zhang laut "Scinexx" .
Weniger Sediment, mehr Risiko
Die neue Analyse zeigt, dass viele Tidebecken erodieren – statt Sediment aufzubauen. Zwar lagert sich noch Material ab, aber längst nicht genug. Nur neun der 24 Becken zeigen in den letzten 25 Jahren überhaupt einen Netto-Höhenzuwachs.
Der Rest scheint den Wettlauf gegen den steigenden Meeresspiegel zu verlieren. "Die Sedimentation in den deutschen Tidebecken ist nicht mehr ausreichend, um den steigenden Wasserständen entgegenzuwirken", sagt Zhang.
Küstenschutz in der Pflicht
Damit verändert die Studie das gesamte Bild des Schutzraums Wattenmeer zum Negativen: "Unsere Studie ergibt ein deutlich klareres und besorgniserregenderes Bild als bisher in der Wissenschaft angenommen", erklärt Zhang.
Denn wenn die Tidebecken an Stabilität verlieren, steigen sowohl das ökologische Risiko für das Weltnaturerbe als auch das Überflutungsrisiko für die Küstenbewohner:innen. Die Studienergebnisse machen deutlich, dass Küstenschutz umfassender, schneller und ambitionierter werden muss.
Noch ist unklar, warum das Watt weniger Material bekommt als früher. Als mögliche Gründe nennt Zhang den beschleunigten Meeresspiegelanstieg, veränderte Ökosysteme, reduzierte Sedimentzufuhr aus Flüssen, oder menschliche Eingriffe wie Hafenbau.
