Die Anspannung auf der Straße steigt.
Jeden Moment, so fürchtet man, könnte der Konflikt endgültig eskalieren. Jemand könnte schwer verletzt werden – oder schlimmer noch. Es geht um den Konflikt zwischen Klimaaktivist:innen der Letzten Generation – und dem Rest der Gesellschaft, oder zumindest einem nicht unwesentlichen Teil unserer Bevölkerung. Mal wieder.
Auf der einen Seite sitzen die Aktivist:innen, mit engelsgleicher Geduld. Bereit zu tun, was getan werden muss, um die Welt und uns noch vor dem Schlimmsten zu bewahren. Sie sind überzeugt: Was sie tun, ist richtig.
Auf der anderen Seite sitzen wütende Autofahrer:innen. Manche spucken. Sie schlagen um sich, sogar Fäuste fliegen immer wieder. Und auch sie sind davon überzeugt: Sie sind im Recht. Wer Straßen blockiert, so scheinen sie zu glauben, gehört aus dem Weg geräumt. Selbst unter Anwendung von Gewalt.
Die bundesweite Razzia gegen sieben Mitglieder der Gruppe wegen Verdachts auf Bildung einer kriminellen Vereinigung schien ihnen recht zu geben. Die Autofahrer:innen und all jene, die über die "völlig bekloppten" Aktivist:innen schimpfen, wie "Klima"-Kanzler Olaf Scholz sie nennt, sahen sich in ihrer Meinung bestärkt. Ha.
Denn mit den Protesten werde eine rote Linie überschritten, finden viele.
Und das ist nicht okay.
Oder doch?
Über die Art und Weise der Aktionen kann man streiten, klar. Aber die Situation ist ernst. Wir sind mitten in der Klimakrise. Und angesichts dessen sind die Proteste okay. Mehr noch, die Situation würde meiner Meinung nach sogar weitergehende Aktionen rechtfertigen. Ohne jetzt jemanden dazu anstiften zu wollen, noch krassere Aktionen zu planen. Aber verstehen könnte ich auch das.
Natürlich sind die Proteste nervig. Und natürlich würde auch ich mich ärgern, wenn ich betroffen wäre, weil ich mit Bus oder Auto im Stau stecke. Oder die Straßenbahn nicht über die Kreuzung fahren kann. Und natürlich wäre es noch einmal schlimmer, sollte ein Rettungswagen im Stau stecken bleiben.
Ist ja logisch.
Und trotzdem: Wie kann man nur einen Moment lang glauben, dass die Aktivist:innen Spaß an diesen Protesten hätten? Oder nichts Besseres in ihrer Freizeit zu tun hätten, als sich von aggressiven, wutschnaubenden Menschen schlagen, treten und bespucken zu lassen?
Doch anstatt darauf zu schauen, was die Aktivist:innen an (sinnvollen und gar nicht einmal so schwer umsetzbaren) Forderungen stellen, schalten Politik und zahlreiche Bürger:innen auf Durchzug: Keiner sei hier gegen Klimaschutz. Aber nicht so. Und erpressen lasse man sich erst recht nicht.
Ganz nach dem Motto: Wenn ihr aufhört mit den Aktionen, können wir uns gesittet zusammensetzen und eine Lösung für die Probleme finden. À la tadelnder Oberlehrer. Und tja, was soll man sagen: Die Aktivist:innen haben es versucht. Nettes Gespräch, Verständnis auf beiden Seiten. Aber das war's dann quasi auch.
Moment mal, war da nicht noch was? Ach ja – es geht in erster Linie gar nicht um aufbrausende Autofahrer:innen, sondern um die Klimakrise. Aber die gerät immer und immer wieder in Vergessenheit. Oder Maßnahmen, die helfen könnten, die sich multiplizierenden Krisen einzudämmen, werden aufgeschoben, abgemildert oder gänzlich eingestampft.
Und was bleibt all jenen, die mit ihrer Angst vor den Folgen der Klimakrise zurückgelassen werden? Panik. Hilflosigkeit. Trauer. Hoffnungslosigkeit. Und noch mehr Panik.
Und Proteste. Immerhin tut man dann irgendetwas, macht sich sichtbar. Und kann sich später sagen, dass man alles versucht hat.
Am liebsten aber möchte man die mächtigen Politiker:innen und Menschen dieser Welt schütteln, anbrüllen: Wacht endlich auf! Wir müssen handeln – jetzt. Ihr seht doch, was passiert. Und wenn wir jetzt nicht handeln, wird es aller nur noch schlimmer und schlimmer.
Aber was würde das schon bringen? Man würde als hysterisch abgestempelt. Die Leute glauben, was sie glauben wollen.
Mir kommt immer gleich eine Szene der schwarzen Komödie "Don't Look Up" in den Sinn: Eine Doktorandin entdeckt einen Kometen, der auf Kollisionskurs mit der Erde ist. Sie haben genau sechs Monate und 14 Tage, bis er die Erde treffen wird. Und das Leben auslöschen wird. Doch, anstatt dass die Politik zu handeln beginnt, gilt es "Ruhe zu bewahren" und zu "sondieren". Die Zeit zu handeln schwindet.
Die Öffentlichkeit reagiert mit Verleugnung und Verschwörungstheorien. Irgendwann platzt es in einer Fernsehshow aus der Doktorandin heraus: Sie schreit und weint aus Verzweiflung. Und wird als hysterisch abgestempelt. Das Ende vom Lied? Der Komet trifft die Erde, die Menschen sterben.
Tja. Das muss man erst einmal sacken lassen. Guter Film, wirklich lustig fand ich ihn nicht. Viel zu viele Parallelen zu unserer Welt und der Klimakrise habe ich gesehen.
Natürlich ist ein Komet etwas anderes als die Folgen der Klimakrise. Der Prozess ist schleichender. Weniger offensichtlich (und dadurch leichter beiseite zu schieben). Immerhin gab es schon immer Überschwemmungen, Hitzeperioden, Ernteausfälle. Dass diese immer häufiger und schlimmer ausfallen, kann man da auch gern mal ignorieren. Außerdem bekommen wir dadurch, dass wir quasi nonstop am Handy hängen, ja auch viel mehr von dem mit, was überall sonst auf der Welt geschieht. Inklusive dieser Krisen.
Das Ding ist: Wir können diese Zusammenhänge und die multiplen Krisen, die uns erwarten, nicht länger von uns schieben oder leugnen.
Die Aktivist:innen der Letzten Generation haben das verstanden. Sie provozieren. Erwecken Aufmerksamkeit. Um die Lösungen und Probleme der Klimakrise näher an uns und unseren Alltag heranzutragen.
Ernteausfälle und Unwetterkatastrophen am anderen Ende der Welt können wir leicht ignorieren. Den Stau, der uns davon abhält, zur Arbeit oder zur Verabredung zu kommen hingegen nicht.
Die Aktivist:innen konfrontieren uns mit unserer eigenen Unzulänglichkeit. Öffnet endlich die Augen, scheinen sie im Stillen zu brüllen. Wacht endlich auf!
Es passiert: nichts. Und doch machen sie weiter: Kündigen ihren Job, geben ihr Studium und ihre Freizeit auf. Vielleicht verbauen sie sich gar ein Stück weit ihre Zukunft, weil immer mehr von ihnen in Kauf nehmen, eine Gefängnisstrafe abzusitzen. Und wofür? Um uns alle zu retten.
Weil sie unser aller Zukunft über ihre eigene stellen.
Als Verbrecher:innen kann man diese Aktivist:innen ganz sicher nicht bezeichnen. Viel eher sollten wir ihren Mut würdigen – und dankbar für ihren Mut sein.
Wer weiß, vielleicht schreiben wir eine Geschichte mit einem besseren Ausgang als bei dem Film "Don't Look Up": Anstatt dass die Klimakrise unser Leben zur Hölle werden lässt, schrammen wir an den größten Katastrophen vorbei. Kriegen die Kurve, kurz vor Schluss. Die Helden dieser Geschichte: Wissenschaftler:innen, Aktivist:innen, Politiker:innen und alle jene Menschen, die alles gegeben haben, um uns allen eine Zukunft zu geben.
Und das Beste daran: Noch ist die Geschichte nicht zu Ende. Wir haben selbst in der Hand, wie sie ausgeht. Vielleicht können wir am Ende sogar gemeinsam drüber lachen.