Bereits eine der ersten Meldungen zur Weltklimakonferenz COP28 verkündete einen Skandal: Die im November stattfindende Uno-Klimakonferenz in Dubai soll von einem Minister und Ölmanager aus den Vereinigten Arabischen Emiraten geleitet werden – Sultan Ahmed al Jaber.
Der Chef eines Ölkonzerns als oberster Klimaschützer? No way, dass sich auf diese Weise auch nur irgendetwas in puncto Klimakrise zum Besseren wendet. Dementsprechend nachvollziehbar (und richtig) ist es auch, dass sich an der Personalie seit Monaten Kritik regt.
Zunächst vor allem von Umweltschutzorganisationen und Klimaaktivist:innen, letzte Woche dann schließlich auch von Abgeordneten aus der EU und den USA. So drängten Parlamentarier:innen des US-Kongresses und des EU-Parlaments Präsident Joe Biden, EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen und Uno-Generalsekretär António Guterres in einem Brief dazu, einen neuen Vorsitzenden für die Konferenz zu berufen.
Zu recht.
Denn die Personalie reiht sich ein in eine Endlosschleife von Absurditäten und Zumutungen der internationalen Klimapolitik und verdeutlicht einmal mehr: Einflussreiche Akteure aus der Industrie gefährden unser aller Wohl. Und wofür? Für noch mehr Geld, für noch mehr Macht. Und letztlich: für noch mehr Emissionen.
Und als würde all das noch nicht ausreichen, um zu verdeutlichen, wie wenig geeignet der Öl-Lobbyist als oberster Klimaschützer ist, liefert er uns gleich einen weiteren Grund auf dem Silbertablett: Wie das "Centre for Climate Reporting" und der "Guardian" enthüllten, hat Sultan Al Jaber offenbar versucht, sein Image "grün zu waschen".
So haben Mitglieder von Al Jabers Team offenbar Wikipedia-Einträge nachträglich bearbeitet, um ihren Chef als Treiber der Klimabewegung darzustellen. Dabei ist er – allein schon seines Jobs wegen – viel eher Treiber der Klimakrise. Und das Schlimmste an der Sache: Das scheint ihm ganz und gar bewusst zu sein. Doch anstatt sich diese Tatsache einzugestehen – und die eigenen Tätigkeiten zu hinterfragen und eine Kehrtwende zu wagen, scheint der COP28-Präsident lieber sein Image aufhübschen zu wollen.
Ganz nach dem Motto: Hauptsache, die Erzählung stimmt. Ob die angestoßenen Klimaschutzmaßnahmen umgesetzt und Klimaziele erreicht werden? Zweitrangig. Vielleicht auch gänzlich egal, wer weiß das schon.
Warum sonst bitte sollte er Mitarbeitende darauf ansetzen, sein Image "grün zu waschen"?
Laut den Recherchen wurde die Wikipedia-Seite Al Jabers seit März letzten Jahres bearbeitet. So schlug ein Wikipedia-Nutzer etwa vor, den Verweis auf eine 4-Milliarden-Dollar-Vereinbarung zu entfernen, die Al Jaber 2019 mit den US-Investmentgiganten Blackrock und KKR über die Entwicklung der Ölpipeline-Infrastruktur unterzeichnet hatte. Außerdem empfahl er den Redakteur:innen, ein Zitat aus der "Financial Times" zu streichen, das die Unstimmigkeiten zwischen Al Jabers Rolle als Klimazar der Vereinigten Arabischen Emirate und der Vorreiterrolle von Adnoc bei der Expansion fossiler Brennstoffe hervorhob.
Die Anfragen hinterlassen einen bitteren Beigeschmack: Zwar ist die Identität des Wikipedia-Nutzers unbekannt. Allerdings legt er offen, von Adnoc bezahlt worden zu sein.
Was soll man dazu noch sagen?
Wie wäre es damit, Al Jaber sei "genau die Art von Verbündeter, die die Klimabewegung braucht"? Klingt bei einem Öl-Lobbyisten nach einer zu dreisten Lüge? Macht nichts – Al Jabers Team fügte dieses Zitat trotz allem in seinen und den Wikipedia-Einträgen zum Klimagipfel hinzu.
Mithilfe von Beratungsfirmen und PR-Agenturen verkauft sich der Öl-Lobbyist als großer Verfechter emiratischer Investitionen in grüne Energie.
Dass die Regierung der Vereinigten Arabischen Emirate zu den zehn größten Ölproduzenten der Welt gehört und die klimaschädliche Öl- und Gas-Produktion trotz Klimakrise ausbaut? Nebensächlich. Dass der staatseigene Ölkonzern Adnoc allein in der zweiten Jahreshälfte von 2022 acht neue Bohrinseln in Betrieb nahm? Ebenfalls. Und dass der ach-so-grüne Leiter der COP28 ebenjener Chef von Adnoc ist? Halb so wild.
Ganz, ganz sicher wird er eine 180-Grad-Wende hinlegen und sich mit Beginn der 28. Weltklimakonferenz (und natürlich auch schon davor, zeigt ja schließlich auch sein Wikipedia-Beitrag) für mehr Klimaschutz einsetzen. Und sich damit gegen den wirtschaftlichen Erfolg Adnocs stellen.
Für wie blöd wollen die uns eigentlich verkaufen?
Wie bitte kann es sein, dass der Chef eines staatlichen Ölkonzerns die wichtigste Klimakonferenz leitet. Und nur mal so nebenbei: Mit jeder COP, die kommt, werden die dort erzielten Ergebnisse wichtiger.
Unser CO₂-Budget schrumpft mit jedem Jahr, mit jedem Monat, mit jeder Woche und jedem Tag. Interessenskonflikte in einer Welt, in der ohnehin schon für jedwede noch so kleine Klimaschutzmaßnahme gekämpft werden muss, können wir uns schlicht nicht leisten.
Die Zeit rennt.
Uns bleiben noch genau 6,15 Jahre, bis wir die 1,5-Grad-Marke erreicht haben. Eine Marke, auf die sich die Länder der Welt im Pariser Klimaabkommen geeinigt haben.
Eine Marke, die wir mit den derzeitigen Klimaschutzmaßnahmen und der internationalen Klimapolitik haushoch übertreffen werden.
Aber die Sache ist die: Noch ist der Kampf nicht ausgefochten. Noch können wir das Ruder herumreißen und uns eine erträgliche Welt erhalten.
Greenwashing und Schönmalerei halten uns dabei nur auf – und schmälern unser sich ohnehin schon schließendes Zeitfenster. Ein Öl-Lobbyist, der ebendas verkörpert, ist das Letzte, das wir gebrauchen können.
Wo also bleibt unser:e wahrhafte:r Verfechter:in einer lebenswerten Welt? Jemand, der bereit ist, mutig voranzugehen. Zurückhaltende Länder zu mehr Klimaschutz zu pushen. Aus den fossilen Energien auszusteigen. Alternativen aufzuzeigen. Die Welt aus der Misere zu führen.
Wenn die Welt und Politiker:innen das allein nicht schaffen, können wir nur unser Bestes geben – und helfen, die beste Besetzung für die oder den obersten Klimaschützer:in der COP28 zu finden: Bewerbungen dafür nehme ich gern entgegen.