Eigentlich, so denkt man immer wieder, sind wir uns ja einig: Die Klimakrise fährt unsere Welt gegen die Wand. Und wir müssen etwas dagegen tun.
Das Problem ist nur: Klimaschutz ist unbequem. Man will sein Fleisch essen. Man will in den Urlaub fliegen. Man will möglichst billigen Strom, der erst im zweiten Schritt vielleicht noch grün sein darf. In Deutschland ist man nicht einmal in der Lage, ein lächerliches Tempolimit auf Autobahnen durchzusetzen. Gehört schließlich zu unserer Freiheit, im SUV mit Tempo 200 auf dem Mittelstreifen den scheiß Smart per Lichthupe zu verjagen.
Im hippen Berlin ist das alles ein wenig anders. Denkt man. In dieser Stadt gibt's an jeder Ecke ein veganes Restaurant. Wer vom furchtbaren BER abfliegen muss, dem vergeht eh die Lust aufs Fliegen. Und ja, Strompreise nerven auch hier, aber wenn die ganze Innenstadt nur Flat Whites mit Hafermilch trinkt, sollte zumindest Konsens herrschen, dass Klimaschutz der eine gemeinsame Nenner ist, der die City eint.
Klassischer Fall von: Denkste!
Am Sonntag, beim Volksentscheid zu einem klimaneutralen Berlin im Jahr 2030, stimmten nur lächerliche 430.000 Menschen für den Antrag. Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen: Nicht einmal 20 Prozent der gut 2,4 Millionen Wahlberechtigten konnten sich aufraffen, die Regierung der Stadt zu radikalem Klimaschutz zu zwingen.
Dass die Zahl der Gegenstimmen fast gleich hoch war, überrascht nicht. Die Menge der Empörten, der Konservativen, der Ewiggestrigen ist in Deutschland aktuell statistisch ziemlich einfach zu errechnen.
Wäre am Sonntag Bundestagswahl, würden die Ampel-Parteien, je nachdem, welcher Umfrage man glauben mag, gleich viele oder weniger Stimmen erhalten als die CDU/CSU und die AfD. Und diese Rechnung unterstellt noch, dass die Ampel in ihrer Gesamtheit den Klimaschutz ernst nehmen würde. Grüße gehen raus an Volker Wissing, den denkbar schlechtesten Verkehrsminister für unsere Zeit.
Das Bemerkenswerte am Berliner Volksentscheid ist, dass die Bürger:innen selbst dann auf ambitionierten Klimaschutz pfeifen, wenn sie den Staat (oder in diesem Fall: die Stadt) in die Verantwortung zwingen könnten. Denn natürlich ist es albern, von einzelnen Menschen zu verlangen, auf ihr Fleisch, ihren Flug oder ihr Auto zu verzichten, wenn um uns herum die Rahmenbedingung für ein klimagerechtes Deutschland proaktiv verhindert werden.
Deutschland kann sich erst in diese Richtung entwickeln, wenn eine Regierung an der Macht ist, die das konsequent forciert. So lange werden 90 Prozent von uns das tun, was am schönsten oder bequemsten ist. Das liegt in der Natur des Menschen und ist keiner einzigen Person vorzuwerfen.
Ändern kann das nur der Staat. Mit Regeln, Gesetzen und Steuern. Es wäre der Horror aller Pöbler:innen, die seit Sonntagabend feiern, dass "endlich jemand der Klimadiktatur den Mittelfinger zeigt". Doch offensichtlich sind wir nicht einmal in Berlin zu solch einem radikalen Schritt bereit. Weil wir lieber an unserer eigenen Bequemlichkeit festhalten. Aus Angst davor, etwas von unserem Wohlstand abgeben zu müssen.
Auch deshalb hat Franziska Giffey, der weibliche Volker Wissing unter Deutschlands Bürgermeister:innen, vor dem Votum erklärt, dass es "nicht möglich sei", Berlin bis 2030 klimaneutral zu machen. Ihr designierter Nachfolger Kai Wegner gab währenddessen pflichtschuldig zu Protokoll: "Wir haben eine Verantwortung für die Zukunft dieser Stadt, und da geht es natürlich um Klimaschutz." Aber noch viel wichtiger sei die "Bezahlbarkeit" dieser Stadt. Natürlich.
Versteht mich nicht falsch: Ja, die Forderungen von "Berlin 2030 klimaneutral" waren extrem und kaum zu erreichen. Weshalb vorhersehbar war, welch großer Widerstand aus allen Ecken kommen würde. Doch wann, wenn nicht jetzt, wäre es an der Zeit, endlich den Druck auf die Mächtigen in diesem Land zu erhöhen? Weil wir keine andere Wahl haben, wenn die Politik immer nur pflichtschuldige Versprechen abgibt, am Ende aber immer nur mit maximal halbgaren Kompromissvorschlägen um die Ecke kommt.
Vielleicht müssen wir uns deshalb so langsam in Deutschland eine einfache Frage stellen: Kann es sein, dass uns – als Gesamtheit der Bevölkerung – der Klimaschutz am Ende scheißegal ist? Oder sind wir einfach nur zu dumm, zu erkennen, was auf uns zukommt? Und: Was heißt das eigentlich für unsere Zukunft?
Denn das, und das ist wichtig, gilt es zu betonen: Das Ergebnis vom Sonntag ist ein demokratisch einwandfreies Ergebnis. Die Bevölkerung hat gesprochen. Und sie bekommt, was sie verdient. Für Deutschland heißt das: Wenn sogar in Berlin mehr als 80 Prozent der Wahlberechtigten nicht bereit sind, ihrer Regierung in den Hintern zu treten, um endlich ernsthaft diese Welt davor zu bewahren, in Richtung Abgrund zu rasen, dann wissen wir endgültig, wo die Prioritäten in unserer Gesellschaft liegen.
Ich stelle das fest und ich verspüre darüber weder Wut noch Groll. Sondern vielmehr so etwas wie Resignation. Das mag nicht helfen und nicht konstruktiv sein.
Aber wie soll man nach solch einem krass eindeutigen Ergebnis ernsthaft noch glauben, dass in naher Zukunft die deutsche Bevölkerung den Klimaschutz wirklich zu ihrem obersten Prioritätsthema macht?