Hühnergeschnetzeltes aus Soja und Burgerpattys aus Erbsen gibt es inzwischen im Kühlregal praktisch jeden Supermarkts und die Zahl der Vegetarier und Veganer unter den jüngeren Menschen nimmt zu: 13 Prozent der 15- bis 29-jährigen Deutschen leben vegan oder vegetarisch – das sind doppelt so viele wie in der Gesamtbevölkerung. Weitere 25 Prozent sind Flexitarier und essen nur ab und an Fleisch, und zwar bewusst.
Trotzdem liegen zwischen Fleischersatzprodukten noch immer Chicken Wings für 1,99 Euro und Schweinenackensteaks für 2,99 Euro. Dass die nicht glücklichen Tieren stammen können, ist offensichtlich. Dementsprechend alarmierend ist das, was der Fleischatlas der Heinrich-Böll-Stiftung, des Bunds für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) und der Zeitung le Monde Diplomatique enthüllt. Demnach wächst der weltweite Fleischkonsum weiter und hat sich in den vergangenen 20 Jahren verdoppelt. "Wir müssen dringend umsteuern, weil wir es bisher mit einem fundamentalen politischen Versagen zu tun haben", so Barbara Unmüßig, Chefin der Heinrich-Böll-Stiftung, bei einer Pressekonferenz.
Fleisch habe wie kein anderes Lebensmittel Auswirkungen auf den Klimawandel, die Zerstörung von Ökosystemen und der Biodiversität, sagt Unmüßig:
Klima und Biodiversität, so die Schlussfolgerung des Fleischatlasses, können nur geschützt werden, wenn die Industrieländer ihren Fleischkonsum halbieren. Den größten Hunger auf Fleisch haben derzeit die USA mit 100 Kilo pro Kopf und Jahr, in Deutschland sind es etwa 60 Kilo, in afrikanischen Ländern 17 Kilo. Dennoch gebe es in keinem Land der Welt eine Strategie zur Senkung des Fleischkonsums. Und das hat Folgen für die Umwelt: Die fünf größten Fleisch- und Milchproduzenten, sagt Unmüßig, produzierten so viele klimaschädliche Emissionen wie der weltgrößte Ölkonzern Exxon. Und 90 Prozent des weltweit angebauten Sojas landen im Futtertrog.
Das Tragische: Das als Tierfutter angebaute Soja wird vor allem in Gebieten wie dem Amazonas angepflanzt, die besonders artenreich sind. "Wir opfern die artenreichsten Regionen der Welt für unseren Hunger auf Fleisch", sagt Unmüßig. Hinzu komme, dass Unkrautvernichtungsmittel in gigantischem Ausmaß eingesetzt würden – aus denen deutsche Chemiekonzerne auch noch Profit schlügen. Zudem führten die in der Viehzucht eingesetzten Antibiotika zu mehr Resistenzen.
Dabei hat uns das vergangene Jahr wie nie zuvor vor Augen geführt, welche Folgen die Massentierhaltung haben kann – für uns alle. Die Rodung der Wälder für Futtermittel lässt die Lebensräume für Wildtiere schrumpfen, was wiederum die Übertragung von Viren auf den Menschen und damit die Entstehung von Pandemien begünstigt. Deutschland ist daran nicht unschuldig: Wir exportieren deutlich mehr Fleisch als wir konsumieren, in der EU sind wir der größte Fleischproduzent, die EU wiederum weltweit der zweitgrößte Produzent nach China.
BUND-Vorstand Olaf Bandt bemängelt eine EU-Agrarpolitik, die sich zu sehr am Weltmarkt orientiert: "Die Folge ist ein Wettlauf nach unten um die schlechtesten Sozial- und Umweltstandards, der da konsequent abläuft", so Bandt. "Dass die Politik so langsam handelt ist skandalös", sagt auch Unmüßig. "Wir brauchen einen echten Systemwechsel“ – raus aus der Massentierhaltung, hin zu mehr Tierwohl.
Die Verantwortung auf den Verbraucher abzuwälzen, der nunmal seine billige Grillwurst möchte, das ist zu einfach, da ist man sich einig. Verbrauchern werde durch Werbung und Intransparenz bei den Haltungsbedingungen schließlich vorgegaukelt, es sei schon okay, Billigfleisch zu kaufen.
Stattdessen, sagt BUND-Vorstand Bandt, brauche es mehr Geld für eine tiergerechte Haltung, ein Ende der Billigkampagnen – und ein Lieferkettengesetz, das die illegale Sojaproduktion und die Abholzung der Regenwälder stoppt. Auch eine höhere Besteuerung von Fleisch – oder eine niedrigere Besteuerung von pflanzlichen Produkten – könne einen Wandel einleiten.
In Deutschland gehe der Trend zumindest in die richtige Richtung. Die Nachfrage nach Fleischersatz steigt, 2019 kletterte sie auf ein Rekordhoch, in den ersten Monat des vergangenen Jahres stieg sie weiter. Demnach seien in den ersten drei Monaten 20.000 Tonnen produziert worden, knapp 40 Prozent mehr als im Zeitraum des Vorjahres. Solange die Produkte dort aber neben massenweise billig produziertem Fleisch liegen, ist das aber für die Herausgeber des Fleischatlasses kein Grund zur Freude.
(ftk)