Nachhaltigkeit
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Lapplands Wildnis: Im Pferde-Sattel der Welt entfliehen

Fünf Tage lang ist unsere Autorin durch die nordschwedische Wildnis geritten.
Fünf Tage lang ist unsere Autorin durch die nordschwedische Wildnis geritten.bild: watson / Privat
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Mit dem Pferd durch Lapplands Wildnis: Im Sattel der Welt entfliehen

Nicht gegen die Natur, sondern mit ihr: Unsere Autorin reist für ihren Urlaub in den hohen Norden Schwedens. Mit dem Pferd geht es für fünf Tage in eines der letzten Wildnisgebiete Europas. Eine Geschichte über das Leben im Einklang mit der Natur, Entschleunigung und eine große Prise Abenteuer.
15.09.2022, 15:50
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Regen und Wind peitschen mir ins Gesicht, meine Augen tränen. Um mich herum: Nichts als weite Landschaft. Die Berge und Hügel reihen sich aneinander wie eine Perlenkette, dazwischen tiefblaue Seen. Bis auf den donnernden Wind und das dumpfe Getrappel der Hufe auf dem Gras ist es still.

Ich treibe mein Pferd an. Im vollen Galopp geht es den Hügel hinauf, die Landschaft fliegt an uns vorbei – bis wir auf einer kleinen Anhöhe zum Stehen kommen. Zu unseren Füßen erstreckt sich die nordschwedische Tundra, die sogenannte Kältesteppe: Baumlos, aber in satten Farben.

Es hat aufgehört zu regnen, die Sonne ist hinter den Wolken hervorgekommen – ein Regenbogen schimmert schwach am Horizont.

Es ist ein magischer Moment.

Und ich weiß: Hierher zu kommen, war die richtige Entscheidung.

Nach einem Regenschauer kommt die Sonne wieder heraus.
Nach einem Regenschauer kommt die Sonne wieder heraus. bild: watson / josephine andreoli

Ein wahr gewordener Kindheits-Traum

Aber zurück auf Anfang.

Nach einer langen Anreise von Hamburg nach Kiruna kommen meine Freundin Susan und ich endlich am Zielort an: Dem Islandpferdehof Ofelaš. Von hier aus werden wir am nächsten Morgen auf einen fünftägigen Ritt durch Schwedens Bergwelt aufbrechen. Das kaum besiedelte Lappland ist eines der letzten großen Wildnisgebiete Europas.

Eine Woche Natur pur.

Nach dem hektischen Alltag in Hamburg und Berlin klingt das nach der perfekten Auszeit. Mein Traum aus Kindheitstagen wird wahr. Endlich.

Aber bevor es losgeht, heißt es für uns und unsere acht Mitreiterinnen erst einmal: Satteltaschen packen und warm anziehen. Zwar ist es Sommer, aber hoch oben im Norden Schwedens müsse man auf alles vorbereitet sein, vor allem in den Kebnekaise Bergen, warnt Jenny, eine unserer beiden Guides. Ich packe also einen weiteren Pulli ein – better safe than sorry.

Nach dem Frühstück am nächsten Morgen geht es mit dem Floß über den breiten Fluss Kalix. Auf der anderen Seite warten unsere Pferde auf uns.

Es ist der Anfang vom Ende der Zivilisation.

Von hier an heißt es: Keine Menschen mehr, kein fließend Wasser, kein Kontakt zur Außenwelt.

Um uns herum: Unberührte Natur.

Stille.

Einsamkeit.

Der Isländer Mozart ist für den Wanderritt mein Pferd.
Der Isländer Mozart ist für den Wanderritt mein Pferd.bild: watson / privat

Mein Partner in Crime für diese Woche ist Mozart – und ich bin sofort verliebt.

Kurzer Streifzug durch einen Birkenwald

Striegeln, streicheln, aufsatteln. Endlich ist es soweit: Wir dürfen aufsitzen. Um gleich richtig ins Abenteuer abzutauchen, geht es mit den Pferden durch einen reißenden Strom. Schritt für Schritt balanciert Mozart über den unebenen, nicht einsehbaren Grund. Wasser spritzt.

Aber wir schaffen es sicher auf die andere Seite, befinden uns plötzlich inmitten eines niedrigen Birkenwaldes.

Über einen schmalen Trampelpfad geht es tiefer hinein in den Wald. Äste und Zweige streifen unsanft Arme und Beine, und manchmal, wenn man sich nicht schnell genug duckt, auch das Gesicht. Es sieht aus, als hätten wir einen Abstecher in die Grimm'sche Märchenwelt unternommen, die wir jedoch schnell hinter uns lassen.

Unberührte Natur soweit das Auge reicht.
Unberührte Natur soweit das Auge reicht.bild: watson / josephine andreoli

Vor uns liegt eine karge Berglandschaft. Sanfte Hügel erheben sich, so weit das Auge reicht. Die Sonne ist hinter tief hängenden Wolken verschwunden, der Wind donnert uns um die Ohren. Ich ziehe den Schal über Nase und Ohren, lasse den Blick über die raue Landschaft schweifen.

Ein Gefühl von Demut macht sich in meiner Brust breit.

Hier ist die Natur noch intakt.

Hier, wo der Mensch noch allem seinen Lauf lässt.

Hier, wo man merkt, wie unendlich groß die Welt und wie unfassbar klein und unbedeutend man selbst ist.

Es ist eine Reise, die alle Perspektiven verändern kann.

Loslassen und alles seinem Lauf lassen

Die ersten beiden Nächte verbringen wir in kleinen Blockhütten, das Ganze hat etwas von einer Klassenreise: Waschen im eiskalten Fluss, gemeinsam essen, lachen, reden und abends im Bett quatschen, bis einem die Augen zufallen.

Trotz der weißen Nächte des Nordens.

Dunkler als auf diesem Bild wird es Anfang August im Norden Schwedens nicht.
Dunkler als auf diesem Bild wird es Anfang August im Norden Schwedens nicht. bild: watson / josephine andreoli

Am nächsten Morgen beim Frühstück frage ich unseren Guide Jenny, was der Plan für heute ist, wie weit und vor allem wann wir losreiten. Jenny zuckt nur mit den Schultern: "It depends", sagt sie – es kommt drauf an: Auf das Wetter, auf die Pferde, auf uns. Ihr Motto: In den Tag hineinleben – mit der Natur, nicht gegen sie.

Ich nicke. Das ergibt Sinn. Schwer fällt es mir zunächst trotzdem: Plötzlich sind da keine To-Do-Listen mehr, die abgearbeitet werden müssen. Keine Hetzerei von Termin zu Termin. Keine Nachrichten mehr, die beantwortet werden müssen.

Nur die Natur, die Pferde und wir.

Als wir an diesem Morgen unsere Pferde fertig gesattelt haben und uns in den Sattel schwingen, muss ich schlucken. Acht Stunden Reiten machen sich bemerkbar, mein Po schmerzt. Aber was soll's – Zähne zusammenbeißen und los geht es.

Kaum haben wir das Camp verlassen, beginnt es zu gießen. Aber auch das hält uns nicht auf. Mit der Natur – das Motto zieht sich durch den gesamten Trip. Und trotzdem: Die Unterhaltungen werden weniger, um uns herum wird es stiller. Allen ist kalt, alles ist nass.

Lediglich den Pferden scheint der Regen nichts auszumachen.

Es ist kalt und nass, aber eine Mittagspause muss trotzdem sein.
Es ist kalt und nass, aber eine Mittagspause muss trotzdem sein. bild: watson / josephine andreoli

An diesem Abend bin ich froh, als ich aus dem Sattel rutsche und endlich meine Sachen ausziehen kann. Denn trotz Regenkleidung sind wir bis auf die Knochen durchnässt. Überall in den Hütten hängen wir unsere Kleider auf. Jetzt können wir nur hoffen, dass sie bis zum nächsten Morgen wieder trocken sind.

Sind sie natürlich nicht.

Aber auch das ist schnell vergessen – denn an diesem Tag geht es tiefer in die weite Berglandschaft.

Zwischen Birkenwäldern, Mooren und karger Berglandschaft

Zunächst aber müssen wir ein Moor durchqueren. Zur Sicherheit steigen wir ab und müssen unsere Pferde führen. Bis zu den Knien versinke ich im Schlamm. Das Waten ist anstrengend und ich bin froh, als wir schließlich die andere Seite erreichen und uns wieder in den Sattel schwingen können.

Der Landschaft haftet etwas Mystisches an.
Der Landschaft haftet etwas Mystisches an. bild: watson / josephine andreoli

Dann wieder verändert sich die Landschaft. Es geht bergauf, bergab und wieder bergauf. Hinter jedem Hügel wartet ein weiterer. Dichte Wolken und strahlend blauer Himmel wechseln sich ab, legen der Landschaft einen mystischen Schleier über.

Strahlend blauer Himmel wechselt sich mit dichten, tief hängenden Wolken ab.
Strahlend blauer Himmel wechselt sich mit dichten, tief hängenden Wolken ab.bild: watson / josephine andreoli

Am Abend erreichen wir schließlich unser Lager für die nächsten zwei Nächte: zwei Samizelte, eingebettet in den Hügelketten, direkt an einem kleinen Bach. Die Zelte sind gepolstert mit getrockneten Birkenzweigen. Auch Isomatten gibt es hier nicht, stattdessen schlafen wir auf Rentierfellen.

Am nächsten Vormittag – es geht so langsam zurück in Richtung Reiterhof – tauchen am Horizont schemenhaft die Umrisse von Rentieren auf. Mir stockt der Atem. Die ganze Woche über hatte ich Ausschau nach Rentieren gehalten – und da waren sie plötzlich. Unsere Gruppe hält an, alle starren in die Ferne.

Die Rentiere sind neugierig. Sie laufen ein Stück auf uns zu, drehen um und kommen kurz darauf wieder zurück. Immer und immer wieder: SIe kommen von Mal zu Mal etwas näher.

Auch das – ein unwirklicher Moment.

Direkt neben unserem Samizelt stehen die Pferde auf einer Koppel.
Direkt neben unserem Samizelt stehen die Pferde auf einer Koppel. bild: watson / josephine andreoli

Zurück in die Zivilisation, zurück in die Wirklichkeit

Noch einmal durchqueren wir das kleine Birkenwäldchen. Es fühlt sich an, als würden wir einen Film zurückspulen. Die fünf Tage in der Wildnis waren kurz und lang zugleich.

"Das hier ist der Weg zurück in die Zivilisation."
Reiseführerin Jenny

Kurz, weil die Zeit nur so verflogen ist.

Und lang, weil man einfach mal abschalten und die Landschaft um sich herum aufnehmen konnte.

Vor uns tauchen ein paar der für Schweden so typischen roten Holzhäuser auf. "Das hier ist der Weg zurück in die Zivilisation", sagt unser Guide Jenny und grinst.

Und dieser Weg soll kurz und schmerzlos werden.

Wir treiben unsere Pferde an und im fliegenden Galopp geht es zurück ins Hier und Jetzt.

Thunfisch erlebt Nordsee-Comeback

Derzeit sind einige Fische gefährdet. Da wäre etwa der Wolfsbarsch, der atlantische Lachs, aber auch der europäische Aal. Alles Tiere, die hierzulande nicht selten auf dem Teller landen. Überfischung, Klimaveränderung, aber auch Parasiten und Wasserkraftwerke ließen ihre Bestände jedoch schrumpfen.

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