Berlin-Mitte am Mittwochmorgen: In der Torstraße versammeln sich um kurz nach 8 Uhr Aktivist:innen der "Letzten Generation". Sie setzen sich auf die Straße. Mitten in der Rush Hour. Der Verkehr gerät zu dieser Zeit oft ins Stocken. An diesem Morgen ist er ab 8.13 Uhr durch die Klimabewegung komplett blockiert.
Einige Protestierende kleben ihre Hände mit Sekundenkleber auf die Straße. Sie zu verscheuchen, ist für die Polizei dadurch kein leichtes Unterfangen.
Die nahende Klimakatstrophe ist für die Aktivist:innen wichtiger als der Stau, den sie verursachen. Sie wollen Sichtbarkeit schaffen. Denn: Die Klimakatastrophe ist bald unaufhaltsam. Kipppunkte werden angestoßen. Die Zeit, einzuschreiten, wird knapper.
Genügend Sichtbarkeit zu schaffen, geht nur, wenn die Aktionen Aufmerksamkeit erregen. Einer der Menschen, die sich für ein schnelles Handeln einsetzen, ist Niko. Der 23-Jährige aus Dresden ist Vollzeitaktivist. Bei der "Letzten Generation" setzt er sich dafür ein, die schlimmsten Folgen der Klimakrise zu verhindern.
Denn: Er hat Angst. Angst vor der Zukunft.
Als er jünger war, hatte er die Hoffnung eigentlich schon aufgegeben. Auf einige Demonstrationen von "Fridays for Future" geht er trotzdem. "Aber ich hatte keine Hoffnung mehr im Kopf. Wir wussten, was passieren wird. Ich habe mit meinem Vater oft darüber geredet, wie schrecklich alles sein wird, wenn ich so alt bin wie er."
Als er dann in den Medien von Protesten der "Letzten Generation" liest, ändert er seine Meinung, schöpft wieder Hoffnung. Die Bilder davon, wie Leute für den Klimaschutz auf die Straße gehen, wie die Polizei eingreift, wie die Politik darüber diskutiert und das Thema mehr Aufmerksamkeit erhält: Das alles schenkt ihm Hoffnung, etwas tun zu können, nicht machtlos zu sein.
Jetzt steht er da, inmitten des Protestes. Sein Leben hat er dem Klimaschutz verschrieben. Weil er nicht wolle, dass das "Leben die Hölle" wird.
Die Positionen für ihren Sitzstreik suchen sich die Freiwilligen der "Letzten Generation" nach dem größtmöglichen "Impact" aus. Das ist mit ein Grund, warum die Aktivist:innen ihre Aktionen immer öfter von Autobahneinfahrten auf vielbefahrene Straßen in den Städten verlegen. So wie am Mittwoch in der Torstraße oder am Tag davor am Berliner Hauptbahnhof. Es geht um Aufklärungsarbeit. Sie wollen mit Passant:innen ins Gespräch kommen. Das gelingt in der Stadt besser als an Autobahnausfahrten.
Auch am Mittwoch bleiben viele Menschen stehen, schauen, was vor sich geht, sprechen mit den Aktivist:innen. "Genau das wollen wir erreichen", sagt Niko.
Sie kommen mit den Menschen in den Diskurs. Sagen, dass sie sich entscheiden müssen. "Will ich weiterhin meinen Alltag so leben, einfach weiterleben wie bisher und unsere Kinder in die Hölle schicken? Oder bin ich bereit, irgendwas zu tun, dass wir irgendwie da rauskommen?", fragt Niko.
Alles andere sei eine "Verleugnung der Wahrheit und der Wissenschaft. Wenn ich sage, ich kann mein Leben so weiterleben, ist das einfach völlig fern davon, was der wissenschaftliche Konsens ist."
Die schnelle Erhitzung bedroht Lebensräume, Lebensunterhalt, Lebensmodelle und das Leben selbst. Nicht erst in Zukunft, sondern schon heute.
Deswegen muss gehandelt werden. Schnell.
Die Reaktionen sind unterschiedlich. Wenn sich Passant:innen nicht nur mit den Aktivist:innen unterhalten, sondern sich sogar mit ihnen mit auf die Straße setzen, gibt es ihnen ein bestätigendes Gefühl.
Aber ungefährlich ist das nicht. Möglicherweise drohen rechtliche Konsequenzen. Oder es hagelt Geldstrafen, deren Bezahlung aber größtenteils über Crowdfunding finanziert werden. Ob sie von der Polizei festgenommen werden, wissen die "Letzte Generation"-Anhänger:innen vorher aber nie so genau.
Es kam auch schon vor, dass Autofahrer:innen einfach trotzdem Gas gaben oder es zu Handgreiflichkeiten durch Passant:innen kam. Auch an diesem Morgen pöbelten Leute, schrien die Aktivist:innen laut an.
Doch das alles hat für Niko keine Relevanz, trotz der Angst davor. Er selbst hat sich zwar noch nicht auf die Straße geklebt. Er ist aber fest entschlossen, das künftig zu tun. Die Angst vor den Folgen der Klimakrise ist größer als die Angst vor der Polizei, Pöbeleien, einer Geldstrafe.
Zwar schmerzen die Hände der Aktivist:innen nachdem die Polizei sie mithilfe von Lösungsmitteln und einem Band, dass sie zwischen Hand und Straße entlangfahren, befreit haben.
Wichtig ist das für sie aber nicht, wie Niko bestätigt: "Die wirklichen Probleme, die wir jetzt haben, sind nicht unsere Hände, die ein bisschen weh tun oder der Autofahrer, der im Stau steht, sondern die Klimakatastrophe."
Die Forderungen von Klima-Bewegungen wie "Fridays for Future" oder der "Letzten Generation" sind klar – und decken das ab, was wissenschaftlicher Konsens ist.
Auf Bannern fordern die Aktivist:innen etwa von der Bundesregierung das Neun-Euro-Ticket oder die Geschwindigkeitsbegrenzung auf 100 Stundenkilometer auf Autobahnen. Das seien einfach umzusetzende Schritte und ein wichtiger Beitrag. Und aus Sicht von Niko zumindest ein Zeichen. "Auf unseren Bannern stehen simple Forderungen, um greifbarer zu machen: Das können wir jetzt machen."
Laut dem sechsten Bericht des Weltklimarats IPCC ist es nach wie vor möglich, die globale Erwärmung auf 1,5 Grad bis 2100 zu begrenzen. Dafür sind allerdings eine sofortige globale Trendwende sowie tiefgreifende Treibhausgas-Minderungen in allen Weltregionen und allen Sektoren nötig.
Heißt: Der Klimaschutz darf nicht pausieren.
Unabhängig von anderen Krisen.
Damit die Erderwärmung den Planeten nicht komplett ins Chaos unberechenbarer Naturgewalten, extremster Wetterlagen und schwindender Arten stürzt, muss die Menschheit ihren CO2-Ausstoß kappen.
Klar ist: Um das 1,5 Grad-Ziel noch einhalten zu können, müsste die Treibhausgasmenge schon 2030 um 43 Prozent gegenüber 2019 zurückgehen. Und spätestens Anfang der 2050er-Jahre müsste die Welt komplett CO2-neutral wirtschaften, heizen, kühlen, sich fortbewegen und ernähren.
Große Ziele, auf die die Aktivist:innen weiterhin hoffen.
Auf dem Weg dorthin gibt es aber viele Hindernisse.
Es ist 9.06 Uhr als die Polizei die Blockade soweit aufgelöst hat, dass zumindest eine Spur wieder freie Fahrt für die Autofahrer:innen bietet. Eine knappe Stunde haben die Aktivist:innen die Straße blockiert, versucht, ihren Standpunkt klarzumachen. Von der Straße befreit, tragen Polizist:innen die Aktivist:innen auf den Fußweg.
Doch die Aktion der "Letzten Generation" war nicht ihre Letzte. Sie wollen weitermachen – koste es, was es wolle.
Die Zeit, um die Wende einzuleiten, ist knapp. Drei Jahre bleiben uns in etwa – "zwar geht die Welt dann nicht unter, aber es geht immer weiter bergab." Und dann? Niko zuckt mit den Schultern. "Schadensbegrenzung sollten wir immer betreiben, auch wenn wir das 1,5 Grad-Ziel nicht mehr erreichen sollten. Und sagen wir es mal so: Wenn ich keine Hoffnung hätte, wäre ich nicht hier."