Er ist zu spät. Über das akademische Viertel hinaus. "Ich hoffe, Sie verzeihen mir", sagt Bob Hanning am Telefon. Seine Stimme ist etwas heiser, von einer Woche Ausnahmezustand. Feiern, Reden, Medienrummel.
Hanning erzählt vom Besuch im Roten Rathaus. Und davon, dass er das alles noch nicht ganz fassen kann: Die Füchse Berlin sind Deutscher Meister. Zum ersten Mal überhaupt.
Und als wäre das nicht genug, steht der Verein auch noch im Final Four der Champions League. Nationalspieler Juri Knorr von den Rhein-Neckar Löwen nennt die Berliner "die beste Mannschaft der Saison. Wahrscheinlich sogar der Welt".
Auch die führenden Sportwettanbieter sehen das so. Mit einer Quote von 2,25 führen die Füchse das Ranking an – vor Titelverteidiger FC Barcelona. Doch wer Hanning zuhört, ahnt: Mit Glücksspiel hat dieser Erfolg nichts zu tun. Eher mit einem langen Plan.
Wenn man ihn fragt, was die wichtigsten Entscheidungen seiner Amtszeit waren, dann hält er kurz inne. Sie liegen "wirklich lange zurück", sagt Hanning, der vor 20 Jahren die Geschäftsführung übernommen hatte. Dann zählt er auf.
Die Geburtsstunde im Jahr 2005. Die Umbenennung von den Reinickendorfer Füchsen zu Füchse Berlin. Ein Gesamtverein, Ost- und Westberlin, unter einem Dach.
Hinzu kommt der Umzug in die Max-Schmeling-Halle. Ein energiegeladener Bauklotz mitten im Mauerpark, am Puls der Stadt, 9000 Zuschauer:innen passen hinein. Ein Ort, an dem verlieren fast unmöglich scheint. Zumindest in der Bundesliga. Da blieben die Füchse ungeschlagen.
Und "drittens", das sagt Hanning mit Nachdruck, "die Gründung der Jugendakademie". Das Herzstück des Vereins, Hannings ganzer Stolz und Teil seines Lebenswerks.
"Jugendarbeit ist bei uns auf Augenhöhe mit dem Profitum", sagt Hanning. Namen wie Nils Lichtlein oder Tim Freihöfer stehen heute dafür. Die Nachfolger von Paul Drux und Fabian Wiede. Eigengewächse der allerersten Generation.
"Nur Weltklasse zu kaufen, hätte uns wirtschaftlich ruiniert", sagt Hanning. "Nur auf Nachwuchs zu setzen, hätte sportlich nicht gereicht." Die Meisterschaft ist ein Ergebnis der "richtigen Mischung". Und ein Ergebnis von Mathias Gidsel, dem besten Handballer der Welt.
Manche nennen ihn "Alien", andere einen "menschlichen Cheat-Code". Er selbst sieht sich als einen Jungen aus Dänemark, der für sein Leben gerne Handball spielt. Und Tore wirft, 275. So viele warf Gidsel in der Bundesligasaison.
"Mathias Gidsel hat uns alle besser gemacht", sagt Hanning. "Ohne ihn wären wir nicht Deutscher Meister."
Aber ohne die Siebenmeter von Tim Freihöfer, die Defensivleistung von Matthes Langhöff, die Regie von Nils Lichtlein und die Leistungen von Routinier Fabian Wiede, wäre der Titel laut Hanning auch nicht möglich gewesen. "Am Ende gewinnt immer das Team."
Dass Mathias Gidsel aber überhaupt nach Berlin kam, gilt als Coup. Ein Verdienst von Stefan Kretzschmar. Der ehemalige Nationalspieler und heutige Sportvorstand bei den Füchsen Berlin ist seit 2020 in die Pläne von Hanning, eine unschlagbare Mannschaft zu formen, eingeweiht.
Als Kretzschmar zum ersten Mal gefragt wurde, ob er an Bord springen möchte, hielt er das "für einen Aprilscherz im Juni". Zumindest schildert er das so in der "Sport Bild". Die beiden, bekannt als Dickköpfe, hatten nicht das "allerbeste Verhältnis".
Doch Hanning gelang es, Kretzschmar zu überzeugen. Und der wusste, was zu tun war. Obwohl viele seiner Kollegen der Überzeugung waren, der Körper von Mathias Gidsel sei zu schmächtig für die Bundesliga, sprach er ihn an. Als Erster, wie Kretzschmar betont.
Nach unzähligen Telefonaten und einem Besuch in der Hauptstadt gab Gidsel ihm eine mündliche Zusage. Er unterschrieb 2021, kurz nach den Olympischen Spielen in Tokio.
Trotz zahlreicher Angebote entschied sich der dänische Weltstar für die Füchse. Berlin bot ihm etwas, das Paris, Kiel oder Barcelona nicht bieten konnten: "Eine talentierte Mannschaft in einer pulsierenden Stadt", sagt Hanning, "die noch nicht das ganz Große gewonnen hatte".
Ein anderer, der Geschichte geschrieben hat, ist Jaron Siewert, 31 Jahre alt, gefeiert als "Trainer der Saison" und "Mastermind" hinter dem Meistertitel.
Er selbst hat in der Füchse-Jugend gespielt, entschied sich aber für einen anderen Karriereweg. Hanning entdeckte früh, was in ihm steckt. "Er war schon als Spieler analytisch, selbstkritisch und teamorientiert", sagt er. Sein Gespür zahlte sich aus.
Dass Siewert als jüngster Coach aller Zeiten Meister wurde, sei kein Zufall, sondern Ergebnis harter Arbeit. Anerkennung von den Medien, das sei ihm nie wichtig gewesen, sagt Hanning.
Bob Hanning blickt gerne nach vorne. Auf das, was kommt. Das Final Four in der Champions, den Saisonabschluss und den Urlaub, den er sich sehnlichst wünscht. Und trotzdem bleibt Zeit für Nostalgie. Für Erinnerungen an das "Wunder von Berlin".
Am 29. April 2012 ereignete sich etwas, das er nie vergessen wird, sagt Bob Hanning. Das Rückspiel im Viertelfinale der Champions League gegen Ademar Leon. Es gilt bis heute als eines der spektakulärsten Spiele in der jüngeren Vereinsgeschichte.
Ein Spiel, das Hanning "aufgrund der Atmosphäre für immer in Erinnerung bleiben wird". Etwas Vergleichbares? Vielleicht, als Deutschland 2016 Europameister wurde.
Die Füchse Berlin gewannen mit 29:18 und machten die elf Tore Rückstand aus dem Hinspiel (23:34) wett. "Ich hätte keinen Pfifferling mehr darauf gesetzt, dass das noch möglich war", erinnert sich Hanning jetzt.
Die Füchse Berlin hatten Geschichte geschrieben. Zum ersten Mal standen sie im Final Four der Champions League. Damals hießen die Spieler Iker Romero, Mark Bult und Torhüter Silvio Heinevetter. Trainiert wurden sie vom ehemaligen Bundestrainer Dagur Sigurdsson.
Heute, 13 Jahre und einen Meistertitel später, fahren sie wieder zum Final Four nach Köln. Diesmal mit Nils Lichtlein, Mathias Gidsel und Tim Freihöfer.
Bob Hannig bleibt gelassen. "Mein Seelenheil hing nie vom Meistertitel ab", sagt er und meint auch den Titel in der Champions League. "Ich gewinne lieber die Euro League mit Eigengewächsen, als die Champions League mit eingekauften Stars."
Die Füchse haben sich klug aufgestellt. "Weltklasse, gepaart mit eigenen Leuten", sagt Hanning.
Nach dem Final Four wolle er sich erstmal Zeit nehmen, um zu realisieren, was ihm mit diesem Team gelungen ist. Bis dahin macht er erstmal weiter wie bisher. "Von Montagmorgen 7 Uhr bis Sonntagabend 23 Uhr."