Wenn Patrick Mahomes in Interviews vor die Fernsehkameras tritt, deutet nichts darauf hin, dass er derzeit das wohl bekannteste Gesicht der NFL und einer der bestbezahlten Profisportler der Welt ist. Er wirkt zuweilen schüchtern, mitunter sogar unsicher. Statt über sich selbst redet er lieber über seine Mitspieler, seine Förderer, die Fans. Eine Rarität im sonst so auf Selbstdarstellung ausgelegten Profisportler-Dasein.
Im Gespräch mit watson erklärt Football-Experte und Sport-Redakteur Alex von Kuczkowski, wie der MVP der aktuellen Saison zu dem Spieler und vor allem zu der Person wurde, die er heute ist. Gemeinsam mit Daniel Jensen veröffentlichte er im vergangenen Jahr die Mahomes-Biografie "Patrick Mahomes. Die unglaubliche Geschichte des NFL-Superstars".
Der beste Footballspieler aller Zeiten, Tom Brady, verkündete am 1. Februar, exakt ein Jahr nach seinem ersten Rücktritt vom Profisport, sein Karriereende "for good" – für immer. Nun soll es endgültig sein. Seine Fußstapfen wird so schnell keiner ausfüllen können, mit Patrick Mahomes sei allerdings die Nachfolge des Aushängeschilds der NFL bereits geklärt.
"Wenn man von der gegenwärtigen NFL spricht, ist jetzt Patrick Mahomes der standesgemäße Erbe", befindet Alex von Kuczkowski. Der siebenfache Gewinn des Super Bowl bleibt bis auf Weiteres unerreicht – Mahomes könnte ihn Sonntagnacht zum vorerst zweiten Mal gewinnen. "Da muss Patrick noch ein bisschen nachlegen. Aber jetzt, nach dem Rücktritt, ist er das Gesicht und wahrscheinlich das Aushängeschild der Liga."
Ohnehin trennt Brady und Mahomes doch einiges. Tom Brady war jahrelang mit dem internationalen Supermodel Gisele Bündchen verheiratet, was maßgeblich zum Ausbau der Marke Brady – auch über den Football hinaus – beigetragen hat. Mahomes hält sich privat hingegen bedeckt. Bereits seit der Highschool ist er mit seiner ersten Liebe Brittany Matthews zusammen, mit ihr hat er zwei Kinder. Im vergangenen Jahr heirateten die beiden auf Hawaii.
Der 27-Jährige gilt als introvertiert, nimmt die Rolle des NFL-Superstars zwar an, er suche aber nicht "mit großem Tatendrang das Rampenlicht. Er definiert sich dann eher über seine sportlichen Leistungen als über die Frau an der Seite", erklärt von Kuczkowski. Das mag auch mit der Kindheit des Quarterbacks zusammenhängen.
Patrick Mahomes ist in Tyler geboren, einem Vorort von Dallas im US-amerikanischen Bundesstaat Texas. Sein Vater spielte elf Jahre lang als Profi in der Major League Baseball. Schon früh kam Mahomes mit dem Leistungssport in Kontakt, spielte bereits als Kind mit den Baseball-Legenden Alex Rodríguez und Derek Jeter.
Im Alter von acht Jahren habe er bereits einen Fitnesstrainer, Bobby Stroupe, gehabt, erzählt von Kuczkowski. Und auch heute, 19 Jahre später, ist Stroupe immer noch an Mahomes' Seite. Eine Konstante, die exemplarisch für die Loyalität und Bodenständigkeit von Mahomes ist und sich durch seine gesamte Karriere zieht.
Die frühkindliche sportliche Ausbildung ist auch das, was Mahomes von anderen Quarterbacks unterscheidet. Pat Mahomes, der Vater des NFL-Stars, war aufgrund seiner eigenen Karriere zwar häufig nicht zu Hause. Die Zeit, in der er da war, verbrachte er allerdings damit, auch seinen Sohn auf eine professionelle Baseball-Karriere vorzubereiten. "Sein ganzes Leben war ein Wettkampf", meint von Kuczkowski. Letztlich wurde der 27-Jährige sogar für die MLB gedraftet, entschied sich dann aber doch gegen Baseball und für Football.
Aus der frühen Ausbildung ergebe sich auch die einzigartige Agilität und Beweglichkeit von Mahomes. "Dieses Glück, dass einem das in die Wiege gelegt wird, das kann nicht jeder Quarterback haben", resümiert von Kuczkowski. Wohl kein Quarterback ist so schwierig zu Boden zu bringen wie er. Immer wieder schafft es der 27-Jährige durch seine herausragende Mobilität, aus Drucksituationen zu entkommen und Spielzüge zu verlängern.
Auf diese Fähigkeiten wird es Sonntagnacht ankommen, wenn Patrick Mahomes mit den Kansas City Chiefs um 0.30 Uhr deutscher Zeit auf die Philadelphia Eagles im Super Bowl trifft. Nur ist Mahomes aus sportlicher Sicht aktuell nicht bei 100 Prozent. In den Playoffs verletzte er sich am rechten Sprunggelenk.
Auch sein Gegenstück bei den Eagles, Quarterback Jalen Hurts, dürfte nach überstandener Schulterverletzung noch nicht komplett fit sein. Ein Einsatz der beiden Ausnahmespieler steht jedoch außer Frage. Schließlich schreiben die beiden Geschichte.
Mit Jalen Hurts und Patrick Mahomes stehen zum ersten Mal zwei schwarze Quarterbacks im Finale der NFL. Ein Ereignis, dessen Signalwirkung kaum zu überschätzen ist. Lange Zeit durften Schwarze nicht als Quarterback spielen, ihnen wurde mangelnde Intelligenz für die Position unterstellt. Schwarze Trainer sind in der NFL immer noch die Ausnahme.
Gerade deshalb sei der diesjährige Super Bowl so besonders, sind sich Hurts und Mahomes einig. Der Eagles-Quarteback sprach von "ganz großer Geschichte" und einem "historischen Augenblick". Mahomes pflichtete ihm bei und bedankte sich bei Spielern wie dem früheren Baseball-Profi Jackie Robinson, die die Farbbarriere im Sport durchbrochen haben, und ohne die er heute nicht hier stünde.
In Tyler ist Mahomes in einer vornehmlich weißen Stadt aufgewachsen und hat dort schon früh mit Diskriminierung und Rassismus zu kämpfen gehabt, erklärt von Kuczkowski. "Daher ist es jetzt natürlich die größtmögliche Bühne, um noch einmal darauf hinzuweisen, dass die Hautfarbe eines Menschen überhaupt keine Rolle spielen sollte", erläutert der Experte weiter.
In der Vergangenheit hat Mahomes bereits häufiger zu gesellschaftspolitischen Themen Stellung bezogen. Nach dem Mord an George Floyd veröffentlichte er gemeinsam mit anderen NFL-Stars einen Videoclip, in dem die NFL aufgefordert wurde, sich zu der Rassismus-Debatte in den USA zu positionieren.
Trotz der besonderen Stellung des Quarterbacks im Football, ist der Sport bekanntermaßen nur im Team erfolgreich zu bestreiten. Aufseiten der Chiefs ist dabei insbesondere Tight End Travis Kelce von herausragender Bedeutung – nicht nur für die Mannschaft, sondern auch für Mahomes persönlich. "Die beiden verstehen sich blind. Auf dem Spielfeld und privat sind es ja auch Buddys. Die haben schon eine besondere Verbindung", beschreibt von Kuczkowski die Beziehung.
Apropos: Auch bei den Eagles nimmt ein Kelce eine tragende Rolle ein. Jason Kelce ist der ältere Bruder von Travis und spielt als Center in Philadelphia. Es ist das erste Mal, dass zwei Brüder im Super Bowl aufeinander treffen. Beide sind aktuell in herausragender Form und werden bereits jetzt als zukünftige Hall of Famer gehandelt. In den USA wird ob dieses Umstands sogar vom "Kelce Bowl" gesprochen.
Wer als Sieger aus dem Super Bowl hervorgehen wird, ist indes völlig offen. Traut man den Buchmachern, haben die Eagles die Nase beziehungsweise den Schnabel leicht vorn, insgesamt ist es aber sehr ausgeglichen – im wahrsten Sinne des Wortes: Beide Teams kommen auf die exakt gleiche Zahl von 546 erzielten Punkten in dieser Saison. Alex von Kuczkowski hält dagegen und prognostiziert einen Sieg von Kansas City "aufgrund von Mahomes" – wie könnte es anders sein.
Mit den Eagles steht das Team mit der statistisch besten Defense im Finale, die Chiefs haben nach Zahlen die beste Offense. Es ist überhaupt das erste Mal, dass die beste Offensive im Super Bowl auf die beste Defensive trifft. Aus sportlicher Sicht kann das Aufeinandertreffen der beiden besten Teams der Liga an Spannung also kaum überboten werden.