Die U19-Spieler des FC Bayern träumen vom Sprung ins Profi-Team. Bild: www.imago-images.de / imago images
Analyse
Roland Virkus machte ganz deutlich, was er von der aktuellen Situation hält. "Solche Deals sind dem deutschen Nachwuchsfußball alles andere als dienlich. Ich finde das geschmacklos", sagte der Sportchef von Borussia Mönchengladbach der "Rheinischen Post".
Grund dafür ist der Wechsel des 13-jährigen Nachwuchstalents Mike Wisdom, der nach Sky-Informationen für 300.000 Euro im Sommer nach München wechseln soll.
"Und wenn alles klappt, dann verdient er in wenigen Jahren so viel Geld, dass er das in einem Leben gar nicht mehr ausgeben kann."
Sportökonom Rainer Frick zum Wechsel des 13-jährigen Mike Wisdom von Gladbach zum FC Bayern
Bereits vor einigen Wochen soll bei den Münchnern intern ein Beschluss gefasst worden sein, vermehrt auf junge Spieler zu setzen, die nach fünf bis sechs Jahren im Verein gewinnbringend weiterverkauft werden können. Eine Strategie, die im Fußballgeschäft bei zahlreichen Bundesligisten angewendet wird.
Dass die Bayern nun aber ausgerechnet für einen 13-Jährigen so viel Geld ausgeben, ist genau deshalb garnicht so überraschend und für die Münchner ein kalkuliertes Risiko, erklärt Sportökonom Peter Frick von der Universität Paderborn im Gespräch mit watson.
Gladbach erhält wohl 20.000 Euro und die Familie des 13-Jährigen den Rest
Aus einer ethisch-moralischen Perspektive sei der Wechsel sicherlich bedenklich, "da es Kinderhandel ist". Doch "aus einer nüchternen ökonomischen Perspektive macht dieser Wechsel sehr viel Sinn", erklärt Frick. Die Transferkosten in Höhe von 300.000 Euro, plus eine Wohnung für die Familie und eventuell einen Job für den Vater seien eine "risikolose Anlage".
"Wenn sich der Junge nicht als der Knaller entpuppt, dann hat der Klub nicht sonderlich viel Geld verloren. Es ist wichtig, diese beiden Ebenen voneinander zu trennen und die Frage mit der nötigen emotionalen Distanz zu betrachten", sagt Frick.
Gladbach wird für den Wechsel wohl eine sogenannte Ausbildungsentschädigung in Höhe von maximal 20.000 Euro erhalten. Der Rest soll wohl an die Familie des Nachwuchsstürmers gehen. Und somit ist für Frick auch nicht verwunderlich, dass die Eltern dem Deal zugestimmt haben.
"Im schlimmsten Fall kriegt er "nur" eine Schulausbildung und vielleicht auch noch eine Lehrstelle. Und wenn alles klappt, dann verdient er in wenigen Jahren so viel Geld, dass er das in einem Leben gar nicht mehr ausgeben kann."
Wisdom-Wechsel ist kein Einzelfall in der Bundesliga
Der Wechsel von Wisdom zu dieser hohen Summe in dem Alter ist bei weitem kein Ausnahmebeispiel. So wechselt zum Beispiel auch im Sommer der 13-jährige Lennart Karl von Aschaffenburg in den Campus des FC Bayern.
Auch Florian Wirtz wechselte im Alter von 16 Jahren von der Jugend des 1. FC Köln in die Jugend von Bayer Leverkusen für eine Ablöse von 200.000 Euro. Und Borussia Dortmund verpflichtete den erst 17-jährigen Jude Bellingham sogar für 25 Millionen Euro aus Birmingham.
Dass sich die Bundesligisten nach jungen Talenten im Ausland umschauen, findet auch Rekordnationalspieler Lothar Matthäus nicht verwerflich, wie er den Sportportalen spox und goal sagte:
"Man braucht Weitsicht. Und wenn man dann ein entsprechendes Scouting hat – und das haben heute die großen Vereine – finde ich es nicht verkehrt, in Absprache mit den Eltern einen 14- oder 15-Jährigen von etwas weiter her beispielsweise nach München zu holen"
Restriktionen des DFB sind kaum möglich
Wie sinnvoll Wechsel von jungen Spielern in einem jungen Alter aber tatsächlich sind, ist äußert fraglich. Denn die Bilanz der Nachwuchsleistungszentren (NLZ) ist oft sehr überschaubar. "Von allen NLZ-Spielern wird etwa jeder Tausendste ein Erstliga-Profi. Ein Nachwuchsleistungszentrum produziert also viel mehr Misserfolge als Erfolge", sagte Arne Güllich von der TU Kaiserslautern bereits Anfang des Jahres im Gespräch mit watson.
"Sie verlieren ihre Identität, ihr ganzes bisheriges Leben gibt es nicht mehr, und das Leben, das sie sich erträumt haben, zerplatzt."
Sportwissenschaftler Arne Güllich über die Auswirkungen, wenn Jugendspieler ein Nachwuchsleistungszentrum verlassen müssen
Dabei sei es besonders für die Kinder schlimm, aussortiert zu werden. "Sie verlieren ihre Identität, ihr ganzes bisheriges Leben gibt es nicht mehr, und das Leben, das sie sich erträumt haben, zerplatzt. Sie fühlen sich alleingelassen, hilflos und als Versager. Es geht sogar so weit, dass 55 Prozent der Ausselektierten klinisch relevante Stressniveaus haben – bis hin zu Depressionen."
Wirkliche Restriktionen seien eine "naheliegende Forderung", könnten aber nicht kontrolliert werden. "Die Klubs wissen genau, wie sie bestimmte Regeln umgehen können. Und die Strafen sind am Ende meist symbolischer Natur", sagt Frick.
Zumal es häufig gar nicht den direkten Weg über die Vereine gibt. Wenn ein größerer Klub einen Jugendspieler mit großem Potenzial vermutet, kann dieser auch mal Kontakt über die Eltern aufnehmen. Ihnen wird ein Job im Verein oder im Umfeld es Klubs besorgt, die Familie kann umziehen und das Kind für einen neuen Verein spielen.
Langfristig wird Strategie des FC Bayern ohne Erfolg bleiben
Die Corona-Pandemie und damit verbundenen finanziellen Einbußen hätten laut Frick für merkliche Veränderungen bei den Bundesligisten gesorgt.
"Die Klubs sind auf der einen Seite risikoscheuer, auf der anderen Seite aber gleichzeitig risikofreudiger geworden, indem sie jungen Spielern früher den Sprung zutrauen, als sie das vorher getan haben."
Schon jetzt ist die Bundesliga mit einem Altersschnitt der Teams von 25,7 Jahren eine der jüngsten Ligen in Europa. Lediglich die Mannschaften der französischen Ligue 1 sind mit im Schnitt 25,6 Jahren noch jünger.
Von Dauer wird die Strategie des FC Bayern laut dem Sportökonomen aber nicht sein. "Diese Dellen in den Einnahmen der Klubs hat es immer mal wieder gegeben. Ich glaube nicht, dass das langfristige Konsequenzen haben wird."
Denn auch wenn die Münchner nun einen anderen Weg auf dem Transfermarkt einschlagen wollen, wird diese schnell Nachahmer finden, wenn sie in mehr als nur Einzelfällen erfolgreich ist. "Und dann wird sich das ganz schnell wieder wechselseitig neutralisieren", sagt Frick.
Und so werde wohl bald nicht mehr für einen 300.000-Euro-Wechsel eines 13-Jährigen spekuliert, sondern über Transfers weit über 50 Millionen Euro.
Noch in der vergangenen Saison hatte der FC Bayern zahlreiche Probleme. Es fehlte oftmals an defensiver Stabilität, offensiv war die Mannschaft zu abhängig von Einzelaktionen. Der Kader wies in der Breite zudem enorme Schwächen auf.