
Ronaldo Názario lässt die schwerste Phase seiner Karriere in einer Dazn-Dokumentation Revue passieren.Bild: AP / Manu Fernandez
Analyse
Es ist nur ein kleines Dreieck am Haaransatz und doch versetzte es die Sportwelt 2002 in Aufruhr. Zu keiner Frisur gibt es wohl so kontroverse Meinungen. Die einen urteilten "hässlich", "schlimm" oder "lächerlich" oder waren sogar sauer, während hunderttausende Kinder weltweit genau mit diesem Wunsch zum Friseur rannten.
Abgesehen von diesem kuriosen Haarschnitt zeigt es jedoch eine Sache ganz deutlich: Ronaldo Názario war um die Jahrtausendwende der absolute Fußball-Weltstar.
"Er war ein Popstar", fasst sein ehemaliger Mitspieler und guter Freund Roberto Carlos die Zeit ab 1994 in der Dazn-Dokumentation "The Phenomenon: Der Aufstieg, Fall und die Wiedergeburt" zusammen, die ab Samstag, 22. Oktober auf der Streamingplattform abrufbar ist.
Nike-Sponsorenvertrag, eigener Schuh beim Sportartikelhersteller, Werbedeals, Magazincover auf der ganzen Welt und kreischende Fans, wo auch immer er auftaucht. Was Cristiano Ronaldo und Lionel Messi heute sind, war der brasilianische Angreifer schon vor über 20 Jahren: ein globaler Fußballstar, für den die Superlative fehlen.
"Noch heute habe ich ein Flughafen-Trauma und das liegt vermutlich an diesen Trips", erinnert sich der heute 46-Jährige mit seinem ikonischen Grinsen an die Menschenmassen an den Flughäfen zurück.
In der neuen, eineinhalbstündigen Doku beleuchten Ronaldo, Familienangehörige und ehemalige Mit- und Gegenspieler alle Facetten von Ronaldos Leben rund um die Nullerjahre als er der größte Star im Fußball war und die brasilianische Nationalmannschaft zum WM-Sieg 2002 führte.
Dass er es aber überhaupt bis dahin schaffte und beim 2:0-Finalerfolg über Deutschland beide Tore erzielte, grenzt bis heute an ein Wunder. Denn mit 24 Jahren sagten Ärzte dem Stürmer, dass er nie wieder Fußball spielen kann.
"Er war nicht nur ein herausragender Fußballer, sondern auch mental stark, das alles durchzustehen. Unglaublich."
Ex-Mitspieler Zinedine Zidane über Ronaldo
Hoher Druck führt bei Ronaldo zu Krampfanfall
Bereits mit 21 Jahren war er der Hoffnungsträger für das fußballverrückte Brasilien und auch der Schuldige für die Finalniederlage 1998. Es wurden in Brasilien sogar zwei Sonderkommissionen eingerichtet, um zu untersuchen, warum Ronaldo im Finale zunächst in der kommunizierten Startelf fehlte, dann doch von Beginn an spielte und Brasilien 0:3 verlor.
In der Zeit, in der das Internet gerade seinen Siegeszug begann, gab es zahlreiche Verschwörungstheorien, warum der Brasilianer wirklich zunächst nicht dabei war.
Während die Fifa ein Statement rausgab, dass er zuvor wegen einer Knöchelverletzung im Krankenhaus war, war der eigentliche Grund weitaus schlimmer.
Nach dem Mittagessen brach er im Badezimmer zusammen und erlitt einen Krampfanfall. "Es war schrecklich", kommentiert Zimmerkollege Roberto Carlos, der den Vorfall erlebte. Erst vier Stunden vor Spielbeginn kam Ronaldo in ein Krankenhaus, um zu checken, ob er wirklich spielen kann.
"Es lag am emotionalen Stress", schlussfolgert Ronaldo heute in der Dokumentation. "Mentale Gesundheit war damals noch kein Thema. Wir mussten Gladiatoren sein."
Ronaldo jüngster Weltfußballer aller Zeiten
Doch wie sehr ihn der Rummel um seine Person nervte, merkte man schnell. "Ich bin eine normale Person, die ein normales Leben will und zum Haus seiner Mutter fahren will, ohne verfolgt zu werden", sagte er als 20-Jähriger und bekam schon früh die Schattenseiten des Ruhms zu spüren. Täglich verfolgten ihn zehn bis 15 Journalisten auf Schritt und Tritt.
Die Doku mischt immer wieder private Aufnahmen mit Bildern aus Zeitungen und TV-Sendungen aus der ganzen Welt. Der gefühlt stets gut gelaunte Star-Angreifer konnte keinen Meter unbeobachtet machen.

Trotz zahlreicher Verletzungen erzielte Ronaldo für Inter Mailand in 68 Spielen 49 Tore.null / imago images
"Es gab Ronaldo als Fußballer und Ronaldo Názario den Menschen, der mit viel Druck klarkommen musste. Und dann kam ein Punkt, an dem alles rausmusste", sagt auch Roberto Carlos mit Blick auf seinen Krampfanfall.
Denn sportlich wurden von Ronaldo immer Wunderdinge erwartet. Er war trickreich, hatte eine unglaubliche Ballbehandlung und einen unnachahmlichen Abschluss. Mit gerade einmal 20 Jahren wurde er 1996 und 1997 Weltfußballer des Jahres und 1997 Europas Fußballer des Jahres – er ist bis heute der jüngste Spieler aller Zeiten, der diese Auszeichnungen gewann. Allein in seinen ersten vier Jahren in Europa zwischen 1994 und 1997 traf er in 83 Spielen 83 Mal.
Aufgrund seiner zahlreichen Tore bekam er von der italienischen Presse daher auch den Spitznamen "Il Fenomeno".
"Ich habe nie einen Spieler mit diesem Speed und dieser Power gesehen", erinnert sich auch der ehemalige Weltklasse-Verteidiger und Gegenspieler Paolo Maldini. Und der ehemalige Sturmkollege Christian Vieri fügt hinzu: "Die Welt war für so ein Talent einfach nicht bereit."
WM 2002: Ronaldo-Nominierung lange fraglich
Doch dann erlebte seine Karriere einen heftigen Knick. Das Ausnahmetalent hatte erstmals mit schweren Verletzungen zu kämpfen.
Erst ein Anriss der Patellasehne und dann der komplette Riss der Sehne bei seinem Comeback zwangen ihn zu fast zwei Jahren Pause.
Die Reha lief zunächst nicht wie erhofft und ein Kniespezialist in den USA sagte ihm sogar, dass er mit einer weiteren OP zwar wieder ein normales Leben führen könnte, aber Fußball spielen nicht mehr möglich sei.
Selbst Brasiliens Nationaltrainer Felipe Scolari glaubte nicht, dass er Ronaldo mit zur Weltmeisterschaft nach Japan und Südkorea nehmen könne, da er nicht fit sei. Doch Ronaldo bewies ihm das Gegenteil.

Ronaldo wird nach dem WM-Sieg von seinen Teamkollegen auf Schultern getragen. Bild: imago images / imago images
Ex-Mitspieler Zidane lobt Ronaldos mentale Stärke
Während der WM-Endrunde erzielte er acht Tore in sieben Spielen und war der überragende Spieler des Turniers. Und das nicht nur wegen seiner Frisur, die er sich vor dem Halbfinale gegen die Türkei rasierte, damit in der Öffentlichkeit nicht mehr über seine Verletzung gesprochen wird.
Heute, 20 Jahre später, blickt der zweifache Finaltorschütze aber etwas anders auf seinen größten Triumph als Fußballer.
"Ich hatte meine Weltmeisterschaft schon zuvor gewonnen", gibt er sich in der Dazn-Dokumentation nachdenklich mit Blick auf seine fast zweijährige Verletzungspause. "Das hat mich zu einem besseren Freund, Sohn, Vater und Person gemacht."
Auch sein ehemaliger Teamkollege von Real Madrid Zinedine Zidane lobt Ronaldos Umgang mit dem Ruhm, Druck und der Rückkehr nach seiner Verletzung.
"Er war nicht nur ein herausragender Fußballer, sondern auch mental stark, das alles durchzustehen. Unglaublich."