
Laura Freigang und Sydney Lohmann verstehen sich nicht nur auf dem Platz.Bild: IMAGO/Jan Huebner
Analyse
Bei der Frauen-EM peilen Deutschlands Fußballerinnen den Titel an. Ihr Schlüssel zum Erfolg? Ein bisschen mehr Mausigkeit.
04.07.2025, 07:5904.07.2025, 07:59
"Wir sind bereit", sagte Sara Däbritz wenige Tage vor Beginn der Europameisterschaft in der Schweiz. Bereit für ein Fußballmärchen mit Zuschauer:innenrekord, bereit Menschen zu begeistern und bereit den Titel zu gewinnen.
Die Vorbereitung darauf verlief eher ungewöhnlich. Deutschlands Fußballerinnen und Bundestrainer Christian Wück verzichteten auf letzte Härtetests. Stattdessen wurde im Trainingslager in Herzogenaurach auf Teambuilding gesetzt. Mit Hits von Wolfgang Petry und einer rührenden Zwillings-Geschichte.
DFB-Frauen schauen im Trainingslager "Kaulitz & Kaulitz"
In Herzo Base, dem Vorbereitungsquartier der deutschen Frauen-Nationalmannschaft, lief auf einer Leinwand die Netflix-Reality-Show von Bill und Tom Kaulitz.
Sydney Lohmann war von der Serie unerwartet angetan. Früher, sagt sie, habe sie Tokio Hotel regelrecht gehasst. Im Englischunterricht habe sie die Band sogar als "least favorite" genannt – was ungefähr dem damaligen Gruppenkonsens auf deutschen Schulhöfen entsprach.
"Ich würde das heute zu hundert Prozent zurücknehmen", sagt sie bei einem Medientermin. "Die beiden kann man nur mögen."
Da ist Bill, der sich ungestüm und gedankenlos auf die Suche nach der wahren Liebe macht. Er gehe kompromisslos seinen Weg, sagt Lohmann. Und da ist Tom, der große Bruder. Er will ihn vor Liebeskummer bewahren und rät ihm regelmäßig zur Vernunft: "Maus, pass ein bisschen auf dich auf." Diese Fürsorge findet Lohmann bewundernswert.
"Die beiden sind ein Vorbild", sagt sie. "Da sehe ich sogar eine kleine Parallele zu uns." Das war aber nicht immer so.
WM 2023: Als der Teamspirit verloren ging
August 2023: Für Deutschlands Fußballerinnen war die WM in Australien und Neuseeland schneller vorbei, als sie begonnen hatte. Dritter in der Vorrunde, hinter Kolumbien und Marokko. Das war's also. Das ausgerufene Ziel, den Titel zu gewinnen, schien vor Turnierstart und nach Platz zwei bei der EM 2022 nicht unrealistisch, im Moment des Ausscheidens umso illusorischer.
Gegen Kolumbien wirkte das favorisierte Team von Martina Voss-Tecklenburg verunsichert, gegen Südkorea fast wie gelähmt. Im Falle eines Rückstands gab es keinen Plan B. Kein Aufbäumen gegen Widerstände, keine "Jetzt-erst-recht-Mentalität".
"Ich war bei der letzten WM nicht dabei, hatte aber von außen das Gefühl, dass hier die letzten und vielleicht entscheidenden Prozentpunkte nicht erreicht werden konnten, um ein erfolgreiches Turnier zu spielen", sagte Giulia Gwinn rückblickend im Interview mit "Sports Illustrated".
"Es herrschte ein Gefühl in der Mannschaft, dass es viele erfahrene Spielerinnen gibt, die schon lange dabei sind, lautstark auftreten und die Richtung vorgeben." Dadurch hätten jüngere Spielerinnen sich nicht getraut, den Mund aufzumachen.
Giulia Gwinn schwärmt von Teamspirit
Heute, nach den Rücktritten von Melanie Leupolz, Svenja Huth, Marina Hegering, Merle Frohms und Alexandra Popp und einem Trainerwechsel, sei das anders. "Man hat das Gefühl, es ist ein eingeschweißter Haufen", sagt Gwinn.
Die Mannschaft inszeniert sich weniger diszipliniert-professionell, sondern persönlicher – und, wie Lohmann es nennt, "so wie wir eben sind". Unter Bundestrainer Christian Wück ist mehr Raum für Individualität. Weniger Hierarchien, dafür mehr Platz für Eigenheiten und unterschiedliche Temperamente.
"Klar, wir sind nicht ganz so freaky wie Bill", sagt Lohmann. Aber: "Auch bei uns wird gefeiert, wenn man sich zeigt, wie man ist."
(Mit Material von dpa)
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