Warten auf Emre. Seit Wochen rankten sich Gerüchte um eine Rückkehr von Nationalspieler Emre Can in die Bundesliga. Nun ist klar: Der 26-Jährige wird zu Borussia Dortmund wechseln. Der Verein hat den Transfer am Freitagabend bestätigt.
Die Ablösesumme soll bei etwa 25 Millionen Euro liegen. Finanzieller Spielraum ist durch den Verkauf von Paco Alcacer an den FC Villarreal vorhanden. Die "Bild" will Cans künftiges Jahresgehalt wissen: 8,5 Millionen sind es angeblich pro Saison. Beim italienischen Rekordmeister Turin sollen es rund 14 Millionen Euro gewesen sein. Damit verzichtet er fast auf die Hälfte seines aktuellen Jahresgehalts, dennoch dürfte er beim BVB zu den Spitzenverdienern zählen. Finanzielle Sphären, von denen die meisten, die das hier lesen, wahrscheinlich nur träumen können. Wie auch immer...
Emre Can träumt jedenfalls davon, endlich wieder wichtig zu sein, mal wieder mehr Spielzeit zu bekommen, Vertrauen zu spüren. Bei Juventus Turin spielte er zuletzt keine wichtige Rolle. Für die Champions League hatte ihn Juve-Trainer Maurizio Sarri vor der Saison nicht mal nominiert.
Für Can glich das einem Schlag ins Gesicht, er fühlte sich damals belogen, sagte im Sommer: "Ich war in Gesprächen mit anderen Klubs und für meinen Verbleib war es eine Bedingung, dass ich Champions League spiele. Ganz klar: Wenn ich das drei Tage eher erfahren hätte, dann wäre ich nicht bei Juve geblieben."
Dabei ist Can eigentlich ein Spieler, den sich jeder Trainer der Welt wünscht. Vielseitig, physisch stark, international erfahren. "Mr. Versatile" nannte man ihn beim FC Liverpool, für die er zwischen 2014 und 2018 über 100 Pflichtspiele absolvierte. Can kann im Prinzip alles spielen außer Torwart und Stürmer.
All das macht ihn zum perfekten Transfer für Borussia Dortmund und Trainer Lucien Favre.
Am liebsten spielt Emre Can im zentralen defensiven Mittelfeld. Auf dieser Position ist er eine robuste Ergänzung für das Dortmunder Team. Im Mittelfeld fehlte zuletzt ein physisch starker Spieler, für den Fall, dass Axel Witsel mal ausfällt. Denn einzig der großgewachsene Witsel bringt unter den BVB-Mittelfeldspielern aktuell diese physische Qualität mit. Der kampfstarke Thomas Delaney ist zurzeit verletzt. Zuletzt spielte Witsel daher stets mit dem filigranen Julian Brandt im zentralen Mittelfeld zusammen.
Mit Can (1,86 Meter, 82 Kilogramm) hat der BVB nun eine weitere Alternative in der Mittelfeldzentrale: Er kann entweder Witsel ersetzen, sollte dieser mal ausfallen oder eine Pause brauchen. Oder aber Can spielt mit Witsel zusammen in der Zentrale und bildet damit ein Bollwerk vor der Abwehr, das gegen offensivstarke Mannschaften zum Einsatz kommen könnte. Zum Beispiel gegen Paris St.-Germain im Achtelfinale der Champions League.
Can kann aber auch in der Innenverteidigung spielen. Beim EM-Qualifikationsspiel gegen Nordirland, als Bundestrainer Joachim Löw ihn auf dieser Position aufstellte, merkte man Can zwar an, dass Innenverteidiger für ihn etwas ungewohnt ist, aber er steigerte sich im Laufe des Spiels. Er trug den Ball oft nach vorne, trieb das Spiel aus der Tiefe an.
Beim BVB hakt es zurzeit etwas in der Defensive. Gegen den 1. FC Köln sah es schon wieder etwas besser aus, aber bislang hat das Team mit 28 Gegentoren die schlechteste Abwehr der Spitzengruppe in der Bundesliga. Ob Dreier- oder Viererkette: Die BVB-Abwehr wackelt zu oft. Emre Can kann in beiden Systemen spielen. In der Dreier- und Viererkette kann er eine der Innenverteidigerpositionen bekleiden.
Can kann aber auch in der Viererkette auf eine der Außenverteidigerpositionen ausweichen, für den FC Liverpool bestritt er einige Spiele als rechter Verteidiger. Auch unter Joachim Löw war Can schon als Rechtsverteidiger und Linksverteidiger im Einsatz.
Mit 26 Jahren ist Can für einen Fußballprofi noch relativ jung. Kaum vorstellbar, turnt er doch schon seit 2012 im Profizirkus herum. Er spielt seit mehreren Jahren auf höchstem Niveau, hat internationale Erfahrung aus 25 Champions-League- und Nationalelf-Einsätzen, spielte schon in drei europäischen Topligen: In der Bundesliga, Premier League und Serie A.
Kurzum: Er bringt der qualitativ hochwertigen, aber noch jungen und teilweise international noch unerfahrenen Dortmunder Mannschaft genau das, was sie braucht: Einen Spieler, der schon mit vielen Wassern gewaschen ist. Dazu ist Can einer, der auf dem Platz den Mund aufmacht, ein Lautsprecher mit Führungsqualitäten.
Ein Manko von Can: Seine Schnelligkeit. Aber daran sollte man nicht mäkeln. Denn einen deutschsprachigen Allrounder mit diesen Qualitäten bekommt man nicht oft für einen solchen Preis.
BVB-Manager Michael Zorc ist überzeugt: "In Emre Can bekommen wir einen deutschen Nationalspieler, der systemübergreifend auf mehreren Positionen sowohl in der Abwehr als auch im zentralen Mittelfeld einsetzbar ist. Einen Spieler, der neben seiner Technik auch seine Physis einbringt und über einen ausgeprägten Siegeswillen verfügt."
Mit dem Wechsel nach Dortmund kann der Mittelfeldspieler auch seine Chancen auf einen Platz im EM-Kader von Bundestrainer Joachim Löw verbessern. Eine klassische Win-Win-Situation.
Für das Spiel gegen Union Berlin am Samstag (15.30 Uhr/Sky) spielt Can aber wohl noch keine Rolle in den Überlegungen von Trainer Lucien Favre.
(as)