Kaum einer wird sich noch an die Besetzung der vordersten sechs Bundesligaplätze der vergangenen Saison erinnern, dafür aber einhellig an die für Florian Wirtz' Dafürhalten beste Darbietungsform einer Kartoffel. Und damit wäre eigentlich alles gesagt über die Funktionslogik des Marketings im modernen Fußball.
Erfolg und Popularität von Bundesligavereinen haben sich längst vom rein sportlichen Erfolgen entkoppelt. Die Währung dieser Zeit sind Memes, die Metrik Likes. Höchste Zeit also, sich die Social-Media-Auftritte der Bundesligisten anzuschauen.
Eine enttäuschende Beobachtung vorab: Über alle Bundesligisten hinweg wird Instagram leider so gnadenlos unambitioniert gepflegt, dass beim dumpfem Doomscrollen kein einziger Account verfangen konnte. Instagram ist konventionell kuratiert, dienstbeflissen und nostalgisch, mal wird mit Grafiken gearbeitet oder auf Youtube-Videos verwiesen, im Allgemeinen: gähnende Langeweile.
X ist zum Güllebad der schlechten Laune verkommen und Linkedin ein Selbstbeweihräuchungswettbewerb profilierungsfreudiger Hobby-Silberrücken. Wir wollten eigentlich noch Facebook mit in die Bewertung nehmen, das wäre aber unfair, RB Leipzig war zu dem Zeitpunkt als es Mark Zuckerberg vom pickeligen Harvard-Studenten in die Forbes-Liste geschafft hat, lediglich ein von Dietrich Mateschitz auf Cocktailpartys tollkühn vorgetragenes Milliardärs-Gedankenspiel.
Drum also: Tiktok. Wir haben die fünf besten Accounts zusammengetragen. Die zugrundeliegenden Kriterien sind Unterhaltung, Kreativität, Abwechslungsreichtum, Ästhetik und Protagonisten.
Der VfB Stuttgart überzeugt auf Tiktok vor allem mit einem abwechslungsreichen Programm. "Dann schteige ma halt nächschte Jahr ab", sagt ein zweckpessimistischer VfB-Fan nach überstandener Relegation, worauf ein schelmisch schmunzelnder Jamie Leweling gegen geschnitten wird, Stuttgart hat sich schließlich für die Champions League qualifiziert.
Kein Post ähnelt dem davor, es finden sich ästhetische Spieler- und Trikotpräsentationen, liebevolle Videomontagen und pointierte Memes in Häppchenform. Vor dem Auswärtsspiel Stuttgarts im knapp 630 Kilometer entfernten Bremen singen die Flippers unter die Spielanzeige geschnitten: "Bist du in Afrika oder in Kanada, für mich ist kein Weg zu weit."
Kleines Manko: Aus einem Spieler wie Deniz Undav, dessen Interviews unterhaltsamer sind als der Großteil der deutschen Comedylandschaft, muss man einfach mehr rausholen.
Die erste Überraschung: Wolfsburg triumphiert mit entwaffnender Selbstironie. "Sie glauben nicht, dass da jetzt jemand über die Stränge schlägt?", wird Trainer Ralph Hasenhüttl auf einer Pressekonferenz gefragt: Hasenhüttl: "Wir sind in Wolfsburg."
Das Highlight sind die im Stil von Peter Rütten gesprochenen Wochenrückschauen, bei denen die zurückliegenden Tage mit einem Meme-Potpourri untermalt werden.
Der große Vorteil: Der VfL Wolfsburg schöpft hier aus der deutlich populäreren Frauenmannschaft, die im Vergleich zu vielen anderen Accounts auch einen erheblich größeren Platz einnimmt. Und Fußballerinnen sind bekanntermaßen auch tendenziell witziger als ihre männlichen Branchenkollegen.
Union Berlin hat in der vergangenen Saison von allen Bundesligisten das mit Abstand größte Wachstum auf Tiktok verzeichnen können, was aber vor allem daran liegt, dass der Account erst 2023 ins Leben gerufen wurde. Es mag aber auch an der eigenbrötlerischen Originalität liegen.
Die Videos von Union sind aufwendig produziert und hochwertig geschnitten, gleichzeitig schafft man es, seinen eigenen Sound zu transportieren. Auch hier gibt es Spielvorschauen, bei denen aber deutlich mehr Arbeit in Skript und Ausgestaltung gesteckt wurde. Man lernt von einem gemütlich vor sich hin berlinernden Erzähler etwa, dass in Leipzig die Bundesagentur für Sprunginnovation sitzt.
Der FSV Mainz 05 hat den unfairen Vorteil, nicht nur die unterhaltsamsten Trainer (ob gewollt oder nicht) hervorzubringen, sondern auch eines der ikonischsten Fußballvideos überhaupt.
"Nach welchen Ideen spielst du hier Fußball?", möchte Thomas Tuchel von Shawn Parker wissen. "Du kommst ins Training und machst nur, was du willst. Es ist kein einziger Ball für unser Spiel. Hier noch ein Trick, da noch ein Trick und hier noch eine Idee. Und keine einzige klappt." Mit dem kanonischen Werk gratuliert Mainz seinem ehemaligen Trainer zum Geburtstag.
Und so schöpft der Verein aus einem umfangreichen Fundus aus Anekdoten von Jürgen Klopp und Schäkereien von Brajan Gruda, flankiert von gut gesetzten Amuse-Gueule, die selbstironisch auf das eigene Spielgeschehen reagieren.
Würden sich alle Tiktok-Follower des 1. FC Heidenheim zusammentun, würden sie nicht einmal das Berliner Olympiastadion ausfüllen, und das ist doch ziemlich schade. Mit knapp 70.000 Fans sind es aber immerhin mehr als die Stadt Einwohner hat (50.000).
"Liebe Kritiker, ich muss Sie leider enttäuschen, wir machen genauso weiter wie bisher", sagt Heidi Klum, während im Vordergrund in Kommentaren die Qualifikation Heidenheims für die Conference League angezweifelt wird.
Cut. Heidenheim hat sich qualifiziert und Robert Geiss erklärt, mit Sonnenbrille im Pool sitzend: "Also wenn ich überlege, wem ich so zu danken hab in meinem Leben, dann würde ich jetzt mal sagen, in erster Linie: danke ich mir mal selber."
Heidenheim hat zwar nicht die aufwendigsten Videos und ganz sicher nicht die hochwertigsten. Aber die mit Abstand witzigsten.
Kein anderer Account beweist ein so großes Feingefühl für die gegenwärtigen Trends und die passende Untermalung, wir sehen Fotomontagen von Heidenheim-Profis als Olympioniken, Claudia Obert oder den ReeperbahnPenny Markt-Kapitän zur See Harald Krull. Auch hier finden sich die genretypischen "Fragen der Woche", aber anstatt sich einfallslos nach dem Lieblingsessen zu erkundigen, wird dem Mysterium nachgegangen, was das österreichische Wort "Schlompadatsch" wohl bedeutet.
Ganz grundsätzlich lässt sich sagen: Die großen Vereine enttäuschen auf ganzer Linie. Der FC Bayern ist einfallslos und macht zu viel aus Thomas Müller, Bayer Leverkusen ist abgeschmackt und macht zu wenig aus Florian Wirtz. Borussia Dortmund wird offenbar von demselben Admin betreut wie extra3 und RB Leipzig hat ein Video veröffentlicht, in dem Loïs Openda mit Supercup bestückt in einer Materialkiste sitzt und paradiert wird. Darunter steht: "Das muss der lustigste Jubel jemals sein!!!".
Es gibt aber auch Vereine, die eine tolle Arbeit leisten, und nur knapp außerhalb dieser Liste gefallen sind. Borussia Mönchengladbach hat mit dem Abschiedsvideo von Christoph Kramer das berührendste Video des Jahres im Portfolio, der VfL Bochum ist am avantgardistischsten unterwegs, postet dafür aber auch einfach drei Monate gar nichts. Und die Saisonvorschau des FC Augsburg ist das vermutlich beste Video, das ein Bundesligist je produziert hat.