Im letzten Gruppenspiel der EM 2024 wurde Deutschland von der Schweiz vor große Herausforderungen gestellt. Über lange Zeit hinweg sah alles nach der ersten Turnierniederlage für Deutschland aus.
Ein später 1:1-Ausgleich durch Füllkrug sorgte jedoch dafür, dass die DFB-Elf die Gruppenphase unbesiegt und als Gruppensieger beenden konnte. Wie die Schweizer jedoch die Schwächen der DFB-Elf aufzeigten und was Deutschland für das Achtelfinale Mut machen kann, erfährst du in der folgenden Taktikanalyse.
Mit unveränderter Startelf begegnete den Deutschen ein mutig pressendes Team aus der Schweiz. Diese spielten auch, wie zuletzt Ungarn, in einem 5-2-3-System gegen den Ball. Entgegengesetzt zu Ungarn hingegen, rückten die Schweizer immer wieder aggressiv vor und pressten die DFB-Elf sehr mannorientiert. Dies bedeutete eine klare Mann-gegen-Mann-Zuordnung bei der die Schweizer den Spielaufbau der Deutschen früh stören wollten.
Dabei nahmen die drei Angreifer den Dreieraufbau der Deutschen auf. Andrich wurde von der Doppelsechs aufgenommen, während Xhaka als defensiver Sechser den Spieler der Deutschen aufnahm, der sich im Mittelfeld fallen ließ. Gegen Ungarn schafften es Musiala und Wirtz immer wieder durch diagonales Lösen von der gegnerischen Abwehrkette an den Ball zu gelangen und das Spiel weiter nach vorne zu gestalten.
Die Schweizer Halbverteidiger folgten den beiden deutschen Spielmachern jedoch deutlich aggressiver und hinderten diese am Aufdrehen. Alternativ war es einer der Schweizer Doppelsechs, der diese aufnahm. Da Deutschland trotz enger Deckung beim Spielaufbau mit Pässen das Herzstück, nämlich ihr Mittelfeldzentrum suchte, konnte Schweiz dort immer wieder ihr Pressing auslösen. So verlor Musiala vor dem 0:1-Gegentreffer den Ball gegen Xhaka (siehe Abb. 1).
Eine Lösung, welche gegen die ungarische Defensive häufig erfolgreich war, nämlich das Überspielen der Abwehr mit tiefen Bällen auf Havertz, nutzte die Nagelsmann-Elf seltener. Lediglich ein paar Mal konnte Rüdiger den tiefsten deutschen Punkt in Stürmer Havertz finden. Situationen, in denen Innenverteidiger Akanji den deutschen Stürmer jedoch daran hindern konnte, weiter Richtung Tor zu spielen.
Dennoch sind das Situationen, die besonders für kommende Spiele mit ähnlichen Gegnern noch optimiert werden sollten. Denn in diesen Angriffen war es Deutschland zumindest möglich, ins letzte Drittel zu gelangen.
Die Schwachstelle in der deutschen Defensive, die Ungarn schon im Ansatz aufdeckte, zeigte sich auch in der Partie gegen die Schweiz wieder. Infolge der Ballverluste hatte die deutsche Defensive auch mehr Verteidigungsmomente als noch in den ersten beiden Gruppenspielen. Und die Schweizer schafften es gelegentlich die Problemzone der DFB-Abwehr zu bespielen – den Rücken der Außenverteidiger.
Hatte die Schweiz den Ball in einer geordneten Phase, konnte Deutschland die eigene Problemzone noch gut kaschieren. Andrich fiel zwischen Rüdiger und Tah in die Abwehrkette zurück, wodurch die beiden Innenverteidiger mit der nötigen Sicherung bis zum Flügel durchschieben konnten. Zudem war Andrich dadurch in der Lage gegen den Schweizer Angreifer Embolo zu verteidigen.
Etwas weniger klar war das Kettenverhalten jedoch nach Ballverlusten. War Andrich noch nicht in der Abwehrkette, dann verpasste es Rüdiger zum Beispiel beim Gegentreffer rechtzeitig den Rücken von Kimmich zu verteidigen (siehe Abb.3). Von dort aus bereiteten die Schweizer ihr Tor vor. Auch weil Tah es nicht schaffte, den Laufweg von Torschütze Ndoye zu blocken oder rechtzeitig aufzunehmen.
Mit dem Rückstand war Deutschland gezwungen, sich Chancen herauszuspielen und hatte auch wesentlich mehr Ballbesitz. Die einfach besetzten Flügel in den deutschen Ballbesitzphasen sorgten dafür, dass die Schweizer im Zentrum kompakt blieben, wenn sie tiefer in der eigenen Hälfte verteidigten.
Räume zum Bespielen boten sich in der Folge eher auf den Flügeln. So war es kein Zufall, dass der aberkannte deutsche Führungstreffer über einen Doppelpass von Mittelstädt und Wirtz auf der linken Außenbahn eingeleitet wurde.
Zeitweise bewegte sich sogar Stürmer Havertz auf den Flügel, allerdings fehlte dann die Präsenz im deutschen Sturm. Mittelstädts Hereingaben fanden oftmals keinen Abnehmer. Denn auch wenn sich Havertz und Gündoğan im Strafraum befanden, konnten diese oftmals erfolgreich von der schweizer Defensive am Abschluss gehindert werden.
Besonders gegen Fünferketten-Teams kann es eine Lösung für Deutschland werden, auch immer wieder mit Hereingaben von außen zu arbeiten. Weil viele Gegner voraussichtlich aufgrund der Qualitäten der deutschen Zwischenraumspieler das Zentrum möglichst kompakt halten werden, bietet sich der DFB-Elf immer wieder die Möglichkeit Mittelstädt und Kimmich ins Spiel zu bringen.
Gerade die Präsenz im Strafraum stieg mit der Einwechslung von zwei weiteren Stürmern mit Maximilian Beier und Niclas Füllkrug. Und so konnte Deutschland schließlich in der Schlussphase doch noch den Ausgleich per Kopfballtreffer von Füllkrug erzielen.
Ein Element, dass bisher noch wenig zum Einsatz kam, im Laufe des Turniers jedoch noch von wichtiger Bedeutung im deutschen Angriffsspiel werden könnte. Denn auch wenn bei den Siegen über Ungarn und Schottland noch die Qualitäten im Zwischenraumspiel ausreichten, so werden sich auch kommende stärkere Gegner auf die deutsche Spielweise einstellen.
Alles in allem offenbarte das deutsche Team Probleme im Bespielen des Mann-gegen-Mann-Pressings der Schweizer und konnte ihre offensiven Schlüsselfiguren nur selten in Szene setzen. Zudem provozierte das Schweizer Pressing im Zentrum Ballverluste, die Deutschland in den kommenden Partien abstellen muss, um wieder weniger Umschalt- und Verteidigungsmomente zuzulassen.
Die Möglichkeit auch durch die Einwechslung anderer Spielertypen die Dynamik des Spiels zu verändern, kann der DFB-Elf dennoch Mut für das Achtelfinale machen.