Nachdem Jürgen Klinsmann bei Hertha BSC den Trainerposten von Ante Covic übernommen hatte, fielen rund ums Olympiastadion plötzlich die Namen prominenter Spieler: Granit Xhaka, Julian Draxler, Mario Götze. Keiner dieser drei Spieler ist zur Alten Dame gewechselt. Aber die Strahlkraft von Startrainer Klinsmann und die Millionen von Investor Lars Windhorst machen es möglich, dass diese Namen auf einmal in einem Atemzug mit der Alten Dame genannt werden. Hertha will das Graue-Maus-Image loswerden. Windhorsts Geld, dass er in den designierten "Big City Club" pumpt, und Klinsis Fußballsachverstand sollen dabei helfen.
Der Unternehmer hatte sich im Sommer über seine Beteiligungsgesellschaft "Tennor", ehemals "Sapinda", bei dem Berliner Bundesligisten eingekauft. Windhorst besitzt mittlerweile 49,9 Prozent der Anteile an Hertha, hat laut einem Bericht der "Sport Bild" dem Verein bisher 225 Millionen Euro zur Verfügung gestellt.
Hertha BSC rüstet mit einem Teil dieses Geldes aktuell schon kräftig auf. Die Berliner gaben am Donnerstagabend bekannt, dass sie Krzysztof Piatek vom italienischen Klub AC Mailand unter Vertrag genommen haben. Wie Sky Sport und die "Bild"-Zeitung zuvor berichteten soll die Ablösesumme zwischen 22 und 27 Millionen Euro liegen. Piatek absolvierte am Donnerstagvormittag seinen Medizincheck bei den Berlinern.
Piatek ist sicherlich ein talentierter Stürmer. Doch was die eigene Außendarstellung angeht, scheint er eher weniger begabt. Im November tönte er in einem Interview mit einem polnischen TV-Sender, dass er alles daran setzen wolle, bei seinem nächsten Vereinswechsel "60 bis 70 Millionen Euro Ablöse" zu kosten.
Was er damit meinte: Man muss sich konstant neue Ziele setzen, Ambitionen haben. Was bei den Mailänder Fans aber offenbar ankam: Geld steht bei ihm über allem, Vereinstreue eher weniger. Die Anhänger waren enttäuscht, interpretierten es so, als beschäftigte er sich schon mit seinem nächsten Transfer. Piatek spielte nämlich erst seit Januar 2019 für die Rossoneri, war nach einem halben Jahr und 19 Toren in 21 Spielen beim Ligarivalen FC Genau nach Mailand gewechselt.
Aber wie heißt es so schön: Geld schießt keine Tore – mehr Geld erst recht nicht. In der aktuellen Saison bestritt er 18 Einsätze in der Serie A (vier Tore), nur sieben Mal über 90 Minuten, seit drei Partien stand er schon nicht mehr im Kader. Altstar Zlatan Ibrahimovic, Rückkehrer aus der US-Liga MLS, verdrängte ihn auf die Bank, auch der Ex-Frankfurter Ante Rebic machte ihm Konkurrenz.
Mit dem Transfer von Piatek steigen die Gesamtausgaben der Berliner in diesem Winter auf knapp 60 Millionen Euro. Bislang hat Hertha in diesem Transferfenster den defensiven Mittelfeldspieler Santiago Ascacibar (11 Millionen) vom Zweitligisten VfB Stuttgart und Rekordtransfer Lucas Tousart (25 Mio.) von Olympique Lyon unter Vertrag genommen. Tousart wurde allerdings umgehend bis zum Ende dieser Saison wieder an seinen Verein aus der französischen Ligue 1 ausgeliehen, kommt erst im Sommer an die Spree.
Sechzig. Millionen. Euro. Solche Summen geben in der Regel nur Spitzenklubs aus, die in der Champions League bestehen wollen. Und nun auch Hertha BSC?
Viele Fans sind skeptisch seit Windhorst eingestiegen ist, wegen des "Big City Club"-Geredes und des vielen Geldes. Ohnehin nehmen deutsche Fußballfans beim Einstieg eines Investors in der Regel erst mal eine Abwehrhaltung ein. Zu viele Negativbeispiele von Tennis Borussia Berlin (Göttinger Gruppe) bis 1860 München (Hasan Ismaik) gab und gibt es. Wenn man sich von externen Geldgebern abhängig macht, besteht immer auch die Gefahr, dass der Mäzen wieder abspringt und verbrannte Erde hinterlässt.
Von verbrannter Erde kann bei Hertha BSC im Januar 2020 freilich noch keine Rede sein. Allerdings scheint langsam das Feuer eines Eigengewächses erloschen zu sein: Arne Maier, 21, seit 13 Jahren bei Hertha und eines der größten Mittelfeldtalente Deutschlands schiebt Frust. Mit Tousart und Ascacibar hat man ihm zwei Spieler vor die Nase gesetzt. Beide sind im zentralen Mittelfeld beheimatet, da spielt auch Maier am liebsten.
Er forderte zuletzt aufgrund fehlender Perspektive öffentlich, dass er noch in diesem Winter wechseln wolle. "Als Fußballer willst du spielen, gebraucht werden und dem Team auf dem Platz helfen. Den Glauben daran, dass ich diese Rolle in nächster Zeit bei Hertha einnehmen kann, habe ich nicht mehr", sagt Maier. Kein Wunder, wenn der Verein, dessen Gesicht er werden sollte, über 30 Millionen für Konkurrenten ausgibt.
Ex-Hertha-Kapitän Axel Kruse befand im rbb-Podcast "Hauptstadtderby": "Das geht gar nicht." Die Nachwuchsarbeit ist eigentlich eines der Aushängeschilder bei Hertha BSC.
Einem Abgang von Maier, um den dieser gebeten hatte, erteilte Geschäftsführer Michael Preetz zuletzt eine klare Absage. Preetz will dem Eigengewächs die Angst vor der wachsenden Konkurrenz nehmen: "Arne war vor seiner Verletzung Stammspieler bei Hertha BSC in ganz jungen Jahren. Und das ist auch die Rolle, die wir ihm in Zukunft zutrauen."
Auch Nationalspieler Niklas Stark hatte die Möglichkeit eines Wechsels ausgelotet. "Er hat ganz klar gesagt, wir geben dich nicht weg", berichtete Stark in der "Berliner Morgenpost" über ein Gespräch mit Coach Klinsmann. Salomon Kalou ist ebenfalls unzufrieden mit seiner aktuellen Situation. Zwar ist der schon 34 Jahre alt, hat seine besten Tage hinter sich, aber er ist seit sechs Jahren im Verein. Nun soll er lieber heute als morgen gehen und beklagt daher mangelnden Respekt.
Hertha BSC will keine graue Maus mehr sein, wer will das schon. Man muss sich konstant neue Ziele setzen, Ambitionen haben. Die Frage ist nur, um welchen Preis, und wie das bei den Fans ankommt. Im Heimspiel gegen Schalke am Freitag (20.30 Uhr/DAZN) heißt die Realität erstmal: Abstiegskampf.
(as/mit Material von dpa)