Julian Brandt war nie der Lauteste auf dem Platz. Er wirbelt, wenn er darf, und hält seinen Mund, wenn es nicht läuft. Genau das hat ihn zum idealen Ziel gemacht – für all jene, die in Dortmunds schwieriger Saison einen Schuldigen suchten.
Brandt wurde zum Sündenbock stilisiert, zur Projektionsfläche einer schwarz-gelben Enttäuschung.
Er ist einer dieser Spieler, bei denen man den Eindruck gewinnt, dass sie es der Öffentlichkeit nie recht machen können. Bei denen jeder Pass ins Aus ein Beweis für eine angeblich mangelhafte Mentalität ist. Dabei war er selten schlechter als der Rest.
Nun, zum vielleicht wichtigsten Saisonmoment, erhebt er selbst die Stimme.
In einem 15-minütigen Interview auf dem Youtube-Kanal von Borussia Dortmund rechnet Brandt offen mit den Mechanismen der Kritik ab: "Irgendwann war es ja wirklich Woche für Woche. Auch wenn wir seit vier Tagen kein Spiel mehr hatten, gab es immer was zu bequatschen", sagt er.
Er habe verstanden, dass schlechte Leistungen die Kritik befeuern. Doch dass viele einfach den Medien "nachgeplappert" hätten, stößt ihm auf. Dieses "Kneipengelaber" nervt ihn, "viel quatschen, viel sabbeln". Und trotzdem sei er lang genug Teil des Fußballgeschäfts, um zu wissen: "Das gehört auch ein Stück weit dazu."
Aber warum hat es ausgerechnet ihn so heftig getroffen? Die Gründe dafür sind vielfältig.
Da ist zunächst sein Potenzial. Brandt gehört zu den technisch besten Spielern im Dortmunder Kader. Wenn es läuft, glänzt er mit Spielwitz, Kreativität, klugen Pässen.
Doch es gibt auch die anderen Spiele – jene, in denen er kaum einen Ball verarbeitet bekommt. In denen er wirkt, als würde er sich selbst im Weg stehen. Diese Diskrepanz treibt Fans und Medien zur Weißglut – weil man weiß, was möglich wäre.
Dann ist da seine Art: Brandt ist keiner, der sich in jeden Zweikampf wirft. Dass das oft als fehlender Einsatz interpretiert wird, liegt auch an einer medialen Brille, die Spielertypen wie ihn selten gut aussehen lässt. "Ein Zehnjähriger ärgert sich mehr als ein Julian Brandt", ätzte Lothar Matthäus einst bei Sky90.
Und schließlich: die Häufung der Kritik. Nach dem 2:2 in München attestierten ihm die "Ruhr Nachrichten" ein "sportliches Tief mit dramatischen Ausmaßen". Der "Kicker" vergab eine glatte Sechs mit dem Zusatz: "Der Auftritt war erschreckend. Das Vertrauen in den eigentlich so feinen Fußballer ist aufgebraucht."
Didi Hamann sprach ihm öffentlich den Teamgeist ab und polterte: "Er hat kein Interesse, der Mannschaft zu helfen". Und Stefan Effenberg attestierte ihm bei Sport1 "ein Zweikampfverhalten wie in einem Vorbereitungsspiel".
Dass all das nicht spurlos an ihm vorbeigegangen ist, machte Brandt kürzlich bei Sky deutlich. "Klar, kriegt man das mit. Man hat auch gar keine Chance, sich davon abzuschotten." Besonders getroffen habe ihn aber, dass er bemitleidet wurde. Das sei "das Schlimmste" gewesen, so Brandt nüchtern.
Doch wie so oft gibt es eine Ironie in der Geschichte. Gerade jetzt, da der BVB sich mit einer Siegesserie in die Champions-League-Ränge zurückspielt, gehört Brandt zu den treibenden Kräften.
Seine Ausbeute: Zwei Tore und drei Assists in den letzten drei Spielen. In der Bundesliga zählt er mit insgesamt neun Torvorlagen sogar zu den besten fünf Spielern in dieser Kategorie.
Wenn die Borussia am Samstag gegen Holstein Kiel spielt, kann es Brandt seinen Kritikern also noch einmal beweisen. Und die Saison mit einem Sieg krönen. Es wäre ein bemerkenswertes Ende für den Verein. Und ein gerechtes für Julian Brandt.