Eigentlich wollte Imke Wübbenhort einen ähnlichen Weg einschlagen wie Julian Nagelsmann: Der 32-Jährige war mit 28 Jahren Cheftrainer bei der TSG Hoffenheim, vier Jahre später neuer Coach bei RB Leipzig. Geht es darum, wer neuer Trainer bei Borussia Dortmund, Bayern München, Real Madrid oder einem anderen europäischen Top-Club werden könnte, fällt immer ein Name: Julian Nagelsmann. Während der Bayer bereits jetzt zur europäischen Trainer-Elite gehört, ist Imke Wübbenhorst aktuell ohne Verein – obwohl ihre Karriere ähnlich gestartet ist. Mit 29 Jahren wurde sie Cheftrainerin beim BV Cloppenburg in der 2. Frauen-Bundesliga. Nach einem halben Jahr folgte der Wechsel auf die Trainerbank der Herrenmannschaft in die Oberliga Niedersachsen. Und mit 32 Jahren wurde sie im Sommer 2020 Cheftrainerin bei den Sportfreunden Lotte in der Regionalliga West.
"Als Frau kannst du so einen tollen Werdegang aber nicht einschlagen, ohne dich von unten nach oben hocharbeiten zu müssen", ist sich Wübbenhorst sicher. "Selten hat man eine Karriere wie Julian Nagelsmann. Häufig muss man sich als Trainer hochdienen", sagt die 32-Jährige gegenüber watson.
Sie wurde am 15. Dezember beim Viertligisten Sportfreunde Lotte als Trainerin entlassen. Seit dem Rücktritt von Inka Grings im Sommer 2020 war Wübbenhorst die einzige Frau, die ein Männerteam in den ersten vier Ligen der Männer coachte.
Oft wird sie auf das "Mann-Frau-Trainerding", wie sie es selbst nennt, angesprochen. Doch wirklich gern redet sie darüber nicht. "Immer, wenn etwas zum ersten Mal passiert, interessiert es die Gesellschaft. Aber es ist nervig, weil du einfach als Trainerin wahrgenommen werden willst. Es war nie mein Anspruch, ein Exempel zu statuieren."
Sprüche bekam sie in der Männerdomäne Fußball immer wieder zu hören. Sie konterte diese mit schlagfertigen Antworten. Imke Wübbenhorst wollte sich voll auf den Fußball konzentrieren, in Cloppenburg und Lotte war das alles andere als einfach. Sie musste den Mannschaftsbus fahren, vor dem Spiel Hütchen aufstellen, damit die Spielfeldbegrenzung zu erkennen war, war beim Scouting der gegnerischen Mannschaft auf die Hinweise von anderen Trainern angewiesen und hatte nur bedingt konkurrenzfähige Mannschaften.
Eine Frau als Coach einer Männermannschaft ist in Deutschland immer noch eine absolute Rarität. Dabei ist es ganz egal, wie groß die Expertise ist. "Fußball ist der Sport Nummer 1 für Männer. Und Männer aus dem Fußball sind auf eine bestimmte Weise sozialisiert und haben ein bestimmtes Rollenbild von Frauen im Kopf, das macht es besonders schwer."
Doch beim finanziell eher schlecht aufgestellten Regionalligisten in Lotte entschieden sie sich für die 32-Jährige als Cheftrainerin. Dabei musste schnell eine Sache lernen: "Du wirst nicht anhand deiner Leistung bewertet, sondern anhand der Ergebnisse. Damit konnte ich schlecht umgehen."
Leistung erbrachte die gebürtige Ostfriesländerin. Die Spieler haben sich individuell schnell weiterentwickelt, doch für viele Akteure der jungen Mannschaft kam der Schritt in die Regionalliga West zu früh. Die West-Staffel gilt unter den fünf Regionalligen als stärkste. Auf Platz 19 nach 19 Spielen und mit fünf Punkten Rückstand zum rettenden Ufer, traute ihr der Verein nicht mehr zu, den Klassenerhalt zu schaffen. Es folgte die Entlassung Mitte Dezember.
Eine Rückkehr in den Frauen-Bereich kommt für sie jedoch keinesfalls infrage. Entgegen aller Hindernisse wollte die U-19-Europameisterin von 2006 und 2007 schon immer Trainerin im Männerbereich werden. "Es ist einfach lukrativer und die Wertschätzung ist eine ganz andere." Um perfekt auf den Moment vorbereitet zu sein, wählte sie auch während ihres Studiums als Gymnasiallehrerin die Fächer Sport, Biologie und Pädagogik. "Ich wusste immer, wenn ich es schaffen sollte, will ich maximal gut ausgebildet sein und dann die höchste Lizenz erwerben."
Die höchste Lizenz im deutschen Fußball ist die einjährige Ausbildung zum Fußballlehrer an der DFB-Akademie in Hennef. Neben einem mehrstufigen Bewerbungsverfahren belaufen sich die Kosten dafür auf 15.000 Euro.
Um diesen Traum zu verwirklichen, gab sie alles auf. Sie kündigte ihre Wohnung, verkaufte alle Möbel, gab ihren Hund zu ihren Eltern und widmete sich ganz dem Fußball. Sie schlief bei Freunden oder ihren Eltern, die sie finanziell unterstützten. Ein Stipendium der Europäischen Fußball-Union (UEFA) über 12.000 Euro machte die Teilnahme an der Ausbildung überhaupt erst möglich. Seit dem April 2020 ist Imke Wübbenhorst nicht nur Lehrerin für die Fächer Biologie und Sport, sondern auch Fußballlehrerin. Nur mit diesem Abschluss ist es in Deutschland erlaubt, ein Männerteam in den ersten drei Ligen zu coachen.
Frauen sind in diesen Ausbildungsjahrgängen nur selten anzutreffen. Aktuell ist es lediglich Ex-Nationalspielerin Kim Kulig. Für Imke Wübbenhorst fängt das Problem dabei schon bei der unterschiedlichen Bezahlung im aktiven Bereich an. "Männer können nur durch Fußball ihr Leben bestreiten. Frauen müssen sich durch Ausbildung und Studium noch ein zweites Standbein aufbauen und haben nach der Karriere ganz andere Perspektiven. Für Männer bleibt oft nur die Option, im Fußball zu bleiben."
Den Schritt zum Regionalligisten nach Lotte hat sie aber nicht bereut. "Ich habe super viele Erfahrungen gemacht. Man lernt aus Niederlagen und ich glaube, ich habe das ganz gut reflektiert." Ihr Aus in Lotte hatte laut Wübbenhorst auch mit ihrer Persönlichkeit zu tun. "Ich habe ihnen auch ihre Unzulänglichkeiten in der Führungsetage aufgezeigt und ich glaube, es war auch eine meiner Lehren in dieser Zeit, an der ein oder anderen Stelle etwas diplomatischer sein zu müssen."
Denn Wübbenhorst trägt das Herz auf der Zunge und ihre Emotionalität kann ihr dabei schon mal zum Verhängnis werden. "Ich bin immer sehr direkt und manchmal reißt mir auch mal die Hutschnur. Mir kann man mir nichts Schlimmeres antun, als nicht alles für die Mannschaft zu geben."
Doch aktuell gibt auch Imke Wübbenhorst mal nicht 100 Prozent Leistung. Die vergangenen Jahre waren für sie von einer stetigen Doppelbelastung geprägt. Zunächst Lehrerin und Trainerin in Cloppenburg, dann die Beurlaubung an der Schule, um den Fußballlehrer zu machen und anschließend der Job in Lotte. "Zum ersten Mal kann ich mein Leben genießen. Ich kann nun Dinge viel entspannter tun, bei denen ich sonst immer enormen Zeitdruck hatte." Nebenbei heißt es aber dennoch: viel Fußball schauen und networken.
Ob sie nochmal auf die Trainerbank zurückkehrt, lässt sie offen. Ihr langfristiges Ziel ist vor allem "glücklich sein". Mittlerweile kann sie sich auch vorstellen, als Co-Trainerin oder Analystin zu arbeiten. Aber so ganz ohne Fußball funktioniert es definitiv nicht. "Mir fehlt das Mannschaftliche und etwas gemeinsam zu erreichen. Fußball ist ein emotionaler Sport und ich bin – wie ein Junkie – süchtig nach Emotionen."