Um in der Formel 1 ein schnelles Auto an den Start zu bringen, muss eine Menge zusammen kommen. Neben fähigen Ingenieur:innen, viel Geld und einem guten Konzept werden die Rennwagen vor allem durch unzählige Testfahrten besser.
Bei Sebastian Vettels Ex-Team Aston Martin ist das der Job von Jessica Hawkins. Damit Vettel und sein Teamkollege Lance Stroll auf der Strecke glänzen konnten, hat sie stundenlang im Simulator gesessen und den Ingenieur:innen Daten geliefert, die helfen sollen, das Auto schneller zu machen.
Doch das ist nicht ihre einzige Aufgabe, erzählt die 27-Jährige im Gespäch mit watson. Neben Medienarbeit und Sponsorenaufträgen ist sie bei Aston Martin auch "Hot-Lap-Beauftragte". Was das ist? "Mit Gästen des Teams in einem Aston Martin um die Strecke jagen. Es ist im Grunde mein Job, ihnen Angst einzujagen", sagt sie und lacht.
Die junge Britin ist in vielerlei Hinsicht das genau Gegenteil des typischen Rennfahrers. Sie ist eine Frau, die eine Frau liebt und die früh lernen musste, dass ihr in der Männerdomäne Motorsport nichts geschenkt wird.
"Mir hat in jungen Jahren die Finanzierung für meine Entwicklung gefehlt", berichtet sie und teilt damit das Schicksal vieler junger Rennfahrerinnen. Finanzielle Unterstützung wird im Kartsport nämlich vor allem Jungs zuteil.
Mit Beharrlichkeit und konstant starken Leistungen hat sie es dennoch geschafft, sich im Kartsport einen Namen zu machen. Über unter anderem die Formel Ford und die britische Formel 4 führte sie ihr Weg bis in die W-Series – dem weiblichen Äquivalent zur Formel 1.
Dass sie trotz allem auf einen Nebenverdienst angewiesen ist, spricht Bände über das starke Finanzierungsgefälle im Motorsport. Die junge Britin hat sich, und nur so hat sie es so weit geschafft, ein zweites Standbein als Stuntfahrerin aufgebaut.
"Ich habe damit angefangen, weil mir das Budget fürs Rennfahren ausgegangen ist", erzählt sie. Neben Auftritten in Autowerbungen und PR-Terminen für Aston Martin stechen dabei ihre Teilnahme an der "Fast & Furious"-Liveshow und ihr Mitwirken am aktuellen James-Bond "Keine Zeit zu sterben" heraus.
Damit es künftige Rennfahrerinnen nicht so schwer haben wie sie, fordert Jessica Hawkins: "Wir müssen weiter in die Entwicklung junger Fahrerinnen investieren. Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass man sich ohne finanzielle Unterstützung kaum entwickeln kann."
Zwar bewege sich der Motorsport in einigen Punkten in die richtige Richtung – die Einführung der W-Series vor drei Jahren sei zum Beispiel ein wichtiger Schritt gewesen – allerdings müsse noch viel mehr geschehen. Zwischenzeitlich stand die W-Series auf der Kippe, die Saison 2022 musste wegen finanzieller Schwierigkeiten zwei Rennen vor Schluss beendet werden. Trotzdem soll sie 2023 wieder starten.
Um Frauen im Formelsport präsenter zu machen, müssen sich die richtigen Leute dafür einsetzen, glaubt Jessica Hawkins. "Sebastian [Vettel, Anm. d. Red] war so jemand, er ist ein großartiger Botschafter. Das gilt auch für Lewis Hamilton." Ohnehin sei das Fahrerlager der Formel 1 für sie und andere Frauen ein "safe space", sagt die 27-Jährige – wenn nur der Weg dorthin nicht so schwierig wäre.
Über Sebastian Vettel, der seine Formel-1-Karriere nach 15 Jahren und 299 Rennen im November beendet hat, findet Jessica Hawkins ausschließlich lobende Worte.
Wann die erste Frau Formel 1 fahren wird, kann auch Jessica Hawkins nicht genau sagen. "Ich wünschte, ich würde die Antwort kennen. Aber ich werde noch jung genug sein. Es wird in der absehbaren Zukunft passieren."
Bleibt nur noch eine Frage zu klären: Was macht mehr Bock, Stunts oder Rennen fahren? "Wenn man seine Arbeit auf der Leinwand sieht, ist das ein ähnliches Glücksgefühl wie ein Rennen zu gewinnen", sagt Jessica Hawkins. Nach langem Überlegen sagt sie schließlich: "Ich glaube, ein Rennen gewinnen, ist noch besser. Es gibt nichts Vergleichbares."