Chloe Kelly ist keine Fußballerin wie jede andere. Die englische Offensivspielerin zeichnet sich nicht nur durch ihre Fertigkeiten am Ball aus, sondern auch durch ihre mentale Stärke. Dazu fehlt es ihr offensichtlich nicht an Selbstbewusstsein.
Das dürften spätestens seit dem Halbfinale alle gesehen haben, die bei der Frauen-EM nicht nur die deutschen Spiele verfolgt haben. Gegen Italien scheiterte Kelly per Elfmeter zunächst an der gegnerischen Torfrau, drückte den Nachschuss dann aber über die Linie. Ihr anschließender Jubel: eine Mixtur aus Cristiano Ronaldo und Thierry Henry.
Sie strotzte nur so vor Selbstverständnis, wie es nur eine Frau entwickeln kann, die schon einmal ein Finale entschieden hat. 2022 hatte Kelly England in der 110. Minute gegen Deutschland zum ersten EM-Titel geschossen. Am Sonntagabend gab es eine Wiederholung.
Im dramatischen Endspiel gegen Spanien, in dem es nach 90 sowie nach 120 Minuten 1:1 gestanden hatte, musste das Elfmeterschießen her. In dem vergaben die favorisierten Spanierinnen gleich drei Strafstöße. Kelly hingegen blieb ganz cool. Völlig egal, dass sie gegen Italien im ersten Anlauf doch eigentlich verschossen hatte.
"Ich wusste, dass ich das Ding ins Netz hauen würde. Ich verschieße keine Elfmeter zweimal", sagte sie nach dem Spiel. Wie es eine Spielerin wie Kelly eben sagt. In ihrem typischen, galoppierenden Stil nahm sie Anlauf und drosch die Kugel unhaltbar ins Tor.
Dieser Anlauf, in Puncto Denkwürdigkeit in einer Reihe mit dem tippelnden Simone Zaza oder dem hüpfenden Jorginho, sei einfach die "Routine, die für mich funktioniert", erklärte die Engländerin. "Einen Elfmeter ganz normal zu schießen, würde sich wahrscheinlich ein wenig komisch anfühlen." Das Gewöhnliche ist für die Außergewöhnliche eben falsch.
Ob das womöglich auch wieder für den Jubellauf galt? War da nach dem Siegtreffer gegen Spanien wieder eine kleine Einlage? Wie im Halbfinale gegen Italien. Wie im Finale von 2022, als sie sich das Trikot vom Leib riss.
So deuten es zumindest einige spanische Medien. Denn Kelly schien unmittelbar nach ihrem verwandelten Elfmeter in Richtung der gegnerischen Torhüterin Cata Coll zu laufen, leicht grinsend und einen Zeigefinger leicht ausgestreckt. "Das ist zu viel, Freundin", schreibt die "AS".
Auch "Cadena Ser" thematisiert die Szene. "Umstrittener Jubel: Cata Coll erleidet ein 'In your Face' von Kelly nach dem entscheidenden Elfmeter."
Tatsächlich dürfte es sich bei dem Jubellauf aber um keine bewusste Provokation von Kelly gehandelt haben – sofern sie überhaupt Blickkontakt mit der spanischen Torfrau aufgenommen hat. Viel wahrscheinlicher ist, dass die Kameraperspektive täuscht und die Engländerin in die Fankurve geschaut hat. Der Block hinter dem Tor war nämlich voll mit englischen Fahnen.
Wenn man an Kelly Kritik äußern möchte, dann doch bitte an ihren Gesangskünsten.
Denn kurz nach dem Spielende schnappte sich die 27-Jährige an der Seitenlinie ein Mikrofon und grölte etwas hinein. Die richtigen Töne traf sie nicht, ihre Worte waren kaum bis gar nicht zu verstehen.
Aber das war an dem Punkt eigentlich auch egal. Denn Kelly hatte vor ihren schwer verständlichen Worten güldene Taten sprechen lassen.