Es ist Länderspielwoche. Möglicherweise die schwierigste, die der DFB in den letzten Jahren hatte. Das Team um Hansi Flick will die Fans zurückgewinnen und setzt alle Hoffnungen auf einen mitreißenden und erfolgreichen Fußball. Es gibt zwar keinen Plan zur Wiederentdeckung der Fannähe, aber mit Rudi Völler einen Sportdirektor im Kult-Status, dem die Massen nach wie vor zujubeln.
Völler genießt Vertrauensvorschuss. Wir glauben ihm, wenn er meint, dass die Nationalmannschaft genauso gut ist wie die anderen Top-Teams der Welt, wie zum Beispiel Weltmeister Argentinien. Wir folgen ihm auch, wenn er feststellt, dass es in Katar in vielerlei Hinsicht sportlich gar nicht so schlecht lief und dass wirklich alles besser werden wird, wenn sich alle nur noch auf den Fußball konzentrieren.
Dass diese leere Floskel nichts wert ist, wissen wir. Aber sie klingt trotzdem irgendwie gut. "Nur Fußball" heißt natürlich immer noch, dass das Geldverdienen nach wie vor an erster Stelle steht. Aber von allen anderen Erwartungen und Belastungen will man sich in der Chefetage des DFB nun frei machen.
Das Spiel läuft künftig ohne gesellschaftspolitische Nuancen, frei von "OneLove"- oder Regenbogen-Kapitänsbinden und vollends losgelöst von ethischen, ideellen oder kommunikativen Erwartungen, die Fans im Verlauf der letzten hundert Jahre gegenüber dem Fußball und dessen Aushängeschildern in Deutschland aufgebaut haben.
Der Haken an der gerade beginnenden Ära schlichter Fußballphilosophie ist die Pflicht, dass die Mannschaft nun auch liefern und gewinnen muss.
Der "Völler-Bonus" bleibt nur so lange bestehen, wie die Deutsche Nationalmannschaft am Samstag gegen Peru (Mainz) und am Dienstag gegen Belgien (Köln) den Gegner an die Wand spielt und damit den Teams aus Frankreich, Brasilien oder England das Fürchten lehrt. Nachlässige Auftritte oder Niederlagen wären tatsächlich die einzigen, aber ernstzunehmenden Knackpunkte der neuen DFB-Strategie.
Für den Fall, dass die anstehende Länderspielwoche nicht so läuft wie geplant, schlage ich sieben Punkte vor, über die man in Hinblick auf das Herstellen von Fan- und Basisnähe im DFB nachdenken sollte:
1. Durchlässigkeit & Konkurrenzkampf
Wir brauchen Konkurrenz und einen echten Wettbewerb um die Plätze im DFB-Kader. Niemand darf glauben, dass das Ticket für die EM bereits sicher sei und der Trainer muss alles tun, um echten Konkurrenzkampf auszulösen. Auch wenn es dann künftig nicht mehr so kuschelig wird.
2. Expertenforum für die schonungslose Analyse
Die Konkurrenz betrifft auch das Trainerteam und die favorisierte Strategie. Die Entscheidungen und Ziele der Trainer müssen offengelegt und mit den vielen Fußballexperten im Land diskutiert werden. Wenn dieser Prozess gut vorbereitet ist, kann sich Hansi Flick unmittelbar nach dem Spiel mit seiner Analyse an die Öffentlichkeit wenden und sich von guten Argumenten beeindrucken lassen.
3. Wir brauchen keine Coca-Cola-Fanclub Nationalmannschaft
Wer Fan der Nationalmannschaft sein will, muss keineswegs in einem Kommerzfanclub organisiert werden. Dieses Konstrukt gehört schleunigst aufgelöst. Wir sollten die Haltung und Meinung der Fans in einem oder vielen unabhängigen Klubs oder anderen Formaten organisieren und als kritisches Korrektiv zum DFB schätzen und nutzen lernen.
4. Wir brauchen einen durchlässigen, ehrenamtlichen Fußballverband
Der DFB muss sich strukturell neu aufstellen und auch in seinen Spitzenpositionen durchlässiger für Ideen und Köpfe von der Basis werden. Die Ochsentour der Funktionärskarrieren gehört abgeschafft
5. Equal Pay und Diversität
Der Verband muss diverser und gerechter werden. Dann wird es auch möglich sein, dass die Männer-Nationalmannschaft nachhaltig von den Erfolgen der Frauen-Teams lernt (und umgekehrt). Equal Pay auf der Ebene der Prämiensysteme wäre ein dankbarer Einstieg in eine neue Ära
6. Talente brauchen Perspektive
Der Deutsche Fußball bringt in jedem Jahrgang hunderte vielversprechende Talente hervor, die auch nach dem Verlassen der DFB-U-Mannschaften gefördert und auf höchstem Niveau entwickelt werden müssen. Außerdem entwickeln sich zahllose Talente jenseits der DFB-Förderlinien. Um diesen vielen Fußballerinnen und Fußballern Perspektiven und Zeit für Entwicklung geben zu können, sollte Geld aus dem Profifußball eingesetzt werden.
7. Werte
Wir müssen eine breit angelegte Wertedebatte um den Fußball in Deutschland führen. Welchen Fußball wollen wir? Und welche Werte sind in der Idee des Fußballs der Zukunft zentral? Solange die Debatte auch dauern mag: Am Ende braucht es ein klares, wertebasiertes Profil des Deutschen Fußballs, das nicht nur als Leitlinie, sondern auch in der Praxis aller Beteiligten bestehen und mitreißen kann