Kurz vor dem EM-Finale steht in der Bilanz zumindest so viel fest: Deutschland ist eine begeisterungsfähige Sportnation. Ein nahezu perfekter Gastgeber für sportliche Großereignisse!
Die Ursachen für die gelungene EM sind bei den vielen Fans, Partyhelden und Zuschauern zu finden, die sich vom ersten Tag an als gute Gastgeber und faire Sportler präsentiert haben.
Einschließlich einer Polizei, die in allen beteiligten Bundesländern freundliche Präsenz gezeigt und aufkommende Konflikte ohne viel Aufsehen aus dem Weg geräumt hat. Es war eine ebenso sichere wie friedliche Europameisterschaft.
Millionen von Menschen aus ganz Europa waren in den zurückliegenden vier Wochen auf den Fanmeilen, Public Viewings, den Innenstädten und in den Stadien unterwegs, um ihre Teams zu feiern und zu unterstützen. Durchaus ernsthaft und mit viel Emotionalität und Leidenschaft.
Deshalb fallen in der EM-Bilanz die niedrigen Zahlen von Gewalttaten, Prügeleien und anderen Grenzüberschreitungen positiv auf. Es gab allerdings auch unschöne Szenen, Vorfälle und auch geschmacklose Statements einzelner Fans und Fangruppen. Zuweilen auch in Verbindung mit Gesten und Botschaften zwielichtiger Fußballspieler.
Im Spiel gegen Österreich zeigte der türkische Profi Merih Demiral im Torjubel zu seinem zweiten Treffer den sogenannten "Wolfsgruß". Dabei handelt es sich um ein Handzeichen, das als Symbol der rechtsextremen "Grauen Wölfe" aus der Türkei gilt.
Diese Geste sorgte letztlich für einen Skandal, denn die Verbandsfunktionäre, Politiker und Gefolgsleute aus der Türkei waren nicht in der Lage diesen Vorfall intern zu klären und die Luft aus der Debatte zu lassen.
Im Gegenteil, der Torjubel Demirals und die daraus resultierende Uefa-Strafe für zwei Spiele wurden skandalisiert, hochgekocht und für politische Botschaften instrumentalisiert. Sogar der türkische Staatspräsident reiste an, der oberpeinliche Mesut Özil folgte ihm und einige Erdogan-freundliche Ultragruppierungen aus der Türkei forderten die Fans in Deutschland auf, diesen Gruß zu zeigen.
Aber: Ein großes Dankeschön an die Polizei, die diese Inszenierung in die Schranken verwiesen und maßgeblich dazu beigetragen hat, dass die Lage nicht weiter eskalierte. Darüber hinaus gab es noch weitere Geschmacklosigkeiten.
So stimmten beispielsweise Fans aus Ungarn, aber auch die Österreicher die rassistische Version von "L'amour toujours" (Ausländer raus) an und albanische und kroatische Fans forderten im Wechselgesang "Tötet Serben".
Allesamt geschmacklose Beispiele, die zur Bilanz der Fußball-Europameisterschaft dazugehören, aber niemals auffällig genug waren, um der EM ein negatives Label zu verpassen. Es handelt sich um Einzelfälle, die von einer schäbigen Haltung zeugen, aber im positiven Gesamtflair dieser EM nicht weiter ins Gewicht fallen.
Damit sind wir beim Punkt: Das Herz des Fußballs sind die Fans. Sie allein entscheiden in und mit ihrem Verhalten, welche Qualität eine Großveranstaltung bekommt oder nicht bekommt.
Die Fans der Deutschen Fußballnationalmannschaft haben ihren Anspruch auf sportlicher Ebene deutlich zurückgeschraubt. Eine gute Leistung im Viertelfinale ist inzwischen vollends ausreichend. Wir haben hier einen ganz neuen Maßstab entwickelt.
Das ist gut für die Partystimmung, aber sollte aus sportlicher Sicht in einem Fußballland nicht ohne Widerspruch bleiben.
Dafür haben die Fans während der zurückliegenden Wochen neidisch und bewundernd zugleich auf die schottischen und niederländischen Fans geschaut.
Das sind die neuen Vorbilder für den Fanklub Nationalmannschaft, denn diese Art des Feierns, der Selbstinszenierung und des Partyfußballs scheint weitaus attraktiver als jeder Plan eine neue Nationalmannschaft zu formen, die einen ernstgemeinten Anspruch auf den nächsten internationalen Titel vortragen könnte.
Als Sportler sage ich: Schade!