Bei Borussia Dortmund hat eine neue Zeitrechnung begonnen. Lucien Favre ist seit Sonntag nicht mehr Trainer. Bis mindestens zum Saisonende soll nun der bisherige Co-Trainer Edin Terzic die Mannschaft führen.
Zur Feuertaufe stehen für den 38 Jahre alten Terzic gleich zwei Auswärtsspiele nacheinander bei Werder Bremen (Dienstag) und Union Berlin (Freitag) an. Das macht den Einstand für ihn sicher nicht einfacher. Nach zuletzt drei Ligapartien ohne Sieg darf sich der BVB keinen weiteren Rückschlag erlauben.
Auf seiner ersten Pressekonferenz als neuer Chefcoach von Borussia Dortmund stellte sich Terzic am Montagmittag den Fragen der anwesenden Journalisten.
Der im Sauerland (Menden) geborene Kroate räumte ein, dass es für ihn eine "unglaubliche Situation" sei. "Ich bin 30 Kilometer von hier geboren und war als Neunjähriger das erste Mal im Stadion." Es sei etwas "ganz Besonderes, morgens aufzustehen und über schwarzgelben Fußball nachzudenken", sagte er: "Ich bin geprägt von dem, was hier in der Vergangenheit stattgefunden hat."
Von seinen Profis forderte Terzic, der sich auf der Pressekonferenz selbst als BVB-"Fan" bezeichnete, vor dem Bremen-Spiel den Willen, sich zu wehren, wenn es einmal nicht so läuft: "Wir haben so viele gute Dinge gezeigt in der Vergangenheit, an viele Dinge müssen wir uns zurückerinnern, die müssen wir konservieren", sagte er. Er unterstrich allerdings, dass auch er sich den Schuh für die 1:5-Niederlage gegen Stuttgart anziehen müsse ("Das war nicht Borussia Dortmund").
Er sprach von "Glaube", "Mut", Willen", "sich gemeinsam wehren". Das sind Tugenden und Worte, die die Dortmunder Fans zuletzt vermisst haben, fremdelten die meisten doch in den vergangenen zwei Favre-Jahren stets mit dem Schweizer Übungsleiter. Favres zurückhaltende, ja fast fromme Art und der entsprechende Fußballstil passten aus Sicht vieler BVB-Anhänger einfach nicht zu den Schwarz-Gelben. Das soll sich nun mit Terzic als Cheftrainer wieder ändern.
Ein bisschen überrascht sei er schon gewesen, dass er quasi über Nacht Nachfolger von Favre geworden ist. Er hätte bis vor ein paar Jahren "nicht ansatzweise gewagt zu träumen, dass ich hier in so einer Funktion sein kann." Doch von Nervosität sei keine Spur. Für die fehle vor seinem Einstand aber ohnehin die Zeit, wie Terzic anmerkte.
Denn er soll im Eiltempo beim BVB die Schieflage beheben. Unterstützt wird er dabei vom bisherigen U17-Trainer Sebastian Geppert und Talente-Coach Otto Addo. Vor Weihnachten sitzt Terzic, der von 2010 bis 2013 bereits im Nachwuchsbereich der Borussia tätig war, innerhalb von acht Tagen noch dreimal als Chef auf der Bank. Borussia Dortmunds Sportdirektor Michael Zorc nannte ihn am Montag einen "ausgewiesenen Fachmann", einen "guten Typen" mit "Gespür und Emotionalität".
Mit Terzic hatte man sich im Klub bereits frühzeitig intern für den Fall abgesichert, dass es die sportliche Situation verlangt, Favre zu entlassen. Wie Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke gegenüber "Bild" sagte, habe die Borussia Terzic 2018 zurückgeholt, damit in einer solchen Situation wie jetzt "kein Vakuum entsteht". Schon damals hätten sie gewusst, dass Terzic "unser Mann ist, wenn es brennt".
Das Ganze erinnert ein wenig an den Wechsel beim FC Bayern München von Niko Kovac zu Hansi Flick vor fast genau einem Jahr. Auch Flick war Co-Trainer und nach einer 1:5-Klatsche, damals gegen Eintracht Frankfurt, als Interimslösung vorgesehen.
Plötzlich eilte der Rekordmeister unter Flick wieder von Sieg zu Sieg. Am Ende der Saison stand das Triple, der einstige Assistent von Bundestrainer Joachim Löw ist vom FC Bayern inzwischen nicht mehr wegzudenken.
Das Beispiel Hansi Flick, der bei Bayern München in einer ähnlichen Situation gewissermaßen der Jackpot war, spielte bei der BVB-Entscheidung zu Terzic laut Watzke aber "keine Rolle". Von ihm werden auch keine Wunderdinge wie ein Triple-Sieg erwartet. Der neue Chefcoach soll aber zumindest helfen, die Saisonziele – vor allem einen Champions-League-Platz – zu sichern.
Der Flick-Vergleich hinkt an einer Stelle auch etwas. Denn im Gegensatz zum ehemaligen Jogi-Assistenten und DFB-Sportdirektor Flick hat Terzic noch keinen großen Namen in Fußballdeutschland.
Beim BVB war der einstige Regionalliga-Spieler jahrelang im Nachwuchsbereich tätig, ehe er im Profibereich als Co-Trainer unter Slaven Bilic bei Besiktas Istanbul (Süper Lig) und West Ham United (Premier League) arbeitete. In England erwarb Terzic auch die Uefa-Pro-Trainerlizenz. Zuvor half er bei der Europameisterschaft 2012 Kroatiens damaligem Nationaltrainer Bilic als Assistent bei der Gegneranalyse. Seit 2010 hatte Terzic zuvor als Scout für die Borussia gearbeitet, er war bei der U17, U19 und der zweiten Mannschaft unter Hannes Wolf Assistenztrainer.
Als aktiver Fußballer schaffte es der Angreifer bis in die Regionalliga West, erzielte dort 2008/09 als Teamkollege von André Breitenreiter für den BV Cloppenburg sieben Tore in 31 Einsätzen. Zuvor spielte er für den FC Iserlohn, Westfalia Herne, Wattenscheid 09 und Borussia Dröschede. Terzic kennt sich also aus mit Fußball im Ruhrpott. Während seiner Laufbahn studierte er an der Ruhr-Universität Bochum Sportwissenschaften.
Dem Vernehmen nach soll er sich deutlich von seinem einstigen Chef Favre abheben, näher an den Profis sein. In seiner Art ist Terzic wohl eher bei Jürgen Klopp als Favre. Er gilt als emotional, direkt und bei den Spielern um Stürmerstar Erling Haaland als durchaus beliebt.
Das Fachmagazin "Kicker" berichtet, Terzic habe sich im Training und in Besprechungen aus Respekt vor seinem ehemaligen Chef Favre öfter bremsen müssen. Dabei beruft sich das Magazin auf Insider-Informationen. Terzic stehe grundsätzlich für andere fußballerische Ideen als der geduldige Monsieur Favre. Terzic will eher aggressiven Fußball sehen sowie koordiniertes, aggressives Pressing und ein grundsätzlich schnelleres Spiel.
Vom "Ideengeber, der im Konjunktiv redet", wie er seine bisherige Rolle umriss, wird er jetzt selbst zum Chef. Der auf seiner ersten Pressekonferenz aufgeräumt, nahbar und hemdsärmelig wirkende 38-Jährige will "das Mindset" seiner Profis "justieren", wie er sagte. Bei denen komme er mit seiner Art und seinen Ideen, die er nun nicht mehr nur im Konjunktiv formulieren muss, jedenfalls gut an, wie es im "Kicker"-Bericht weiter heißt.
Ob und wie die BVB-Profis seine Idee von Fußball schon am Dienstag gegen Werder Bremen (20.30 Uhr/Sky) umsetzen werden, wird spannend. Ebenso, ob Terzic über den Sommer 2021 hinaus als Cheftrainer weitermachen darf.
Michael Zorc wollte darauf auf der Pressekonferenz am Montag noch nicht weiter eingehen. Es seien noch mindestens 26 Pflichtspiele bis dahin. Der Hauptfokus sei, wieder in die Erfolgsspur zurückzukehren. "Was danach kommt, ist weit weg", sagte er.
Nach übereinstimmenden Medienberichten könnte dann nämlich auch Marco Rose von Borussia Mönchengladbach ein Thema werden. Der 44-Jährige besitzt nach Informationen der "Bild"-Zeitung nach der Saison eine Ausstiegsklausel bei den Fohlen. Rose ist schon seit langer Zeit Teil der Trainergerüchte bei Borussia Dortmund.
Schon Ende Oktober hatte Mönchengladbachs Sportchef Max Eberl Spekulationen um einen möglichen Wechsel von Rose nach Dortmund als respektlos bezeichnet. Rose sagte damals, er kommentiere solche Dinge grundsätzlich nicht. Vielleicht ist gar nichts dran.
Und vielleicht macht Terzic seine Sache ja auch so gut, dass die ganz große Beförderung mit einem langfristigen Vertrag folgt – dann droht kein Trainerstreit zwischen den beiden Borussias. Und für den BVB gäbe es sicherlich auch Schlimmeres als einen westfälischen Flick-Effekt namens Edin Terzic.
(as/mit Material von dpa und sid)