In der 2. Runde des DFB-Pokals im vergangenen Jahr protestierte der Regionalligist SV Babelsberg mit Bannern gegen RB Leipzig.Bild: www.imago-images.de / Matthias Koch
Fußball
In seiner wöchentlichen Kolumne schreibt der Fanforscher Harald Lange exklusiv auf watson über die Dinge, die Fußball-Deutschland aktuell bewegen.
26.06.2022, 15:0828.01.2023, 09:35
Der FC Teutonia Ottensen feiert am 30. August gegen RB Leipzig das größte Pflichtspiel seiner traditionsreichen Vereinsgeschichte. Es geht in die erste Runde des DFB-Pokals. Das Spiel findet auf exponierter Bühne statt, denn es wird vom ZDF live übertragen. Der Außenseiter aus Hamburg spielt schließlich gegen den Titelverteidiger der letzten Saison.
Dem zu erwartenden Millionenpublikum wird an diesem Tag aber nicht nur ein Fußballspiel gezeigt. Wir werden mit dieser Übertragung aus dem Paul-Greifzu Stadion in Dessau auch den Versuch erleben, einen Spielverderber im Bundesligafußball als solchen zu stigmatisieren und vorzuführen. Das Besondere: Nicht die Fans, sondern die Kollegen aus dem Management und Vorstand anderer Profiklubs arbeiten engagiert daran, den Fußballern von Rasenballsport Leipzig diesen Stempel aufzudrücken. Auch wenn die Kritik am Konstrukt aus Leipzig und an der österreichischen Getränkefirma nachvollziehbar ist, wirft dieses ausgrenzende Vorgehen Fragen auf.
"Mit dem Konstrukt 'Rasenballsport Leipzig' hat der professionelle Fußball seit einiger Zeit ein handfestes Akzeptanz- und Stimmungsproblem."
Wie steht es um die Wahrung des Fairplay? Ab wann darf Respekt gegenüber anderen Mannschaften zurückgefahren werden? Wie agiert die DFL? Wer kann in diesem Konflikt vermitteln? Welche Lösungen zeichnen sich ab? Oder gehört ein vermeintlicher Spielverderber im Profifußball einfach dazu?
Die Leichtigkeit und Faszination des Fußballs gehen verloren, wenn ein Spielverderber im Spiel ist. Irgendjemand, der sich entweder nicht an die Regeln oder die allgemein hin akzeptierten Gepflogenheiten halten will. Jemand, der nur an seine Interessen denkt oder gar Ziele verfolgt, die gar nichts mit der eigentlichen Spielidee gemein haben.
watson-Kolumnist Harald Langenull / Uni Würzburg
Über den Autor
Harald Lange ist seit 2009 Professor für Sportwissenschaft an der Universität Würzburg. Er leitet den Projektzusammenhang "Fan- und Fußballforschung" und gilt als einer der bekanntesten Sportforscher in Deutschland. Der 53-Jährige schreibt und spricht täglich über Fußball, auch in seinem Seminar "Welchen Fußball wollen wir?"
Der professionelle Fußball und das Problem mit dem Konstrukt RB Leipzig
Wir kennen solche Problemlagen von Kindesbeinen an und haben gelernt, sie aus dem Weg zu räumen, sodass alle Lust am Spielen finden können. Wir wissen natürlich auch, dass die Identifikation des Spielverderbers nicht immer leicht oder gar eindeutig ausfällt. Es gibt auch hier Grauzonen, die wir aushalten können, weil wir darauf hoffen, dass sich alles wieder auf einem für alle akzeptablem Niveau einpendeln wird.
"Der Fall zeigt sehr deutlich, dass der professionelle Fußball in Deutschland klare Regelungen in der Kommerzialisierung braucht."
Mit dem Konstrukt "Rasenballsport Leipzig" hat der professionelle Fußball seit einiger Zeit ein handfestes Akzeptanz- und Stimmungsproblem. Konkret: Einen Spielverderber! Traditionsvereine wie der SC Freiburg oder der FC St. Pauli nennen ihn beim Namen und boykottieren ihn. Nicht wegen des lächerlich anmutenden Namens, sondern wegen der dahinterstehenden Konzeption und Strategie, die selbst für den Kommerzfußball als kommerzieller Regelverstoß aufgefasst wird.
Profi-Klubs wollen Ottensen Stadion nicht zur Verfügung stellen: Wegen RB
Mit denen wollen wir nicht spielen. Wir lehnen das Konstrukt ab und boykottieren sie, wo wir können. Nachdem der SC Freiburg vor dem letzten Pokalfinale die Verwendung seines Vereinslogos für einen gemeinsamen Fanschal verweigert hatte, ist RB Leipzig bereits im nächsten Pokalspiel erneut von einem Boykott betroffen.
Sowohl der HSV Hamburg, wie auch der FC St. Pauli sind nicht bereit ihre Stadien für die erste Runde im DFB-Pokal zur Verfügung zu stellen. Angefragt hatte der Sieger des Länderpokals aus Hamburg, der FC Teutonia Ottensen 05, dessen Kunstrasenplatz für die Partie gegen Leipzig nicht zugelassen ist und der deshalb auf eine andere Spielstätte ausweichen muss.
Die Boykottentscheidungen einzelner Klubs schaffen eine bedrückende Atmosphäre. Selbst wenn es bislang nur um Merchandising oder die Stadionnutzung ging, so entsteht nach und nach eine überaus unglückliche Stigmatisierung.
Die unumwundene Ablehnung, die aktive Fanszenen vom ersten Tag an gegen Rasenballsport vorgebracht hatten, wird nun ganz offiziell in den Sprach- und Verhaltensjargon der Bundesligaklubs übernommen. Früher oder später mag sowas das Klima verschlechtern und möglicherweise sogar zu einer Spaltung führen.
Proteste der aktiven Fanszene gegen RB Leipzig wie hier in Gladbach gibt es fast jedes Wochenende in der Bundesliga.Bild: www.imago-images.de / bTEAM2
Solch eine vergiftete Atmosphäre erwarten wir spätestens dann, wenn die Kreise größer gezogen werden und sich die Boykottabsichten gegen Leipzig noch weiter ausdifferenzieren und auch gegen andere Klubs dieser Kategorie ausweiten.
Ottensen muss nun in Dessau spielen
Ich empfinde es als befremdlich, dass für den Hamburger Traditionsverein Teutonia Ottensen 05 für sein Spiel des Jahres im Norden kein alternativer Spielort gefunden werden kann.
Dass man nun in das 375 Kilometer entfernte Dessau ausweichen will, markiert deshalb ein skurriles Beispiel im System des Kommerzfußballs. Der RB Boykott bedeutet einen Quasi-Verzicht auf das Heimrecht für die Hamburger, denn Dessau liegt mit circa einer Stunde Fahrtzeit vor den Toren Leipzigs.
Der geschilderte Fall zeigt sehr deutlich, dass der professionelle Fußball in Deutschland klare Regelungen in der Kommerzialisierung braucht. Diese Botschaft ist aus der Kurve in die Mitte der Gesellschaft und von dort bis in die Chefetagen der Profiklubs gelangt. Welchen Fußball wollen wir? Welchen Werten und Leitlinien soll er folgen? Wie genau schaut die Ethik des neuen Kommerzfußballs aus? Wer hat Ideen und wo werden sie diskutiert?
106. Minute am 5. Juli in Stuttgart: Jamal Musiala schießt von der Strafraumkante, Spaniens Marc Cucurella bekommt den Ball an die linke Hand. Schiedsrichter Anthony Taylor pfeift nicht. Kurze Zeit später fliegt die DFB-Elf nach einem Tor in der 120. Minute im EM-Viertelfinale gegen Spanien aus dem Turnier.