Der 1. FSV Mainz 05 hat in den vergangenen Wochen eine Aufholjagd gestartet und den Rückstand aufs rettende Ufer von zehn auf drei Zähler verkürzt.
Möglich wurde dieser Aufschwung auch dank Nadiem Amiri. Der fünffache deutsche Nationalspieler ist im Winter von Bayer Leverkusen gekommen und zieht seither die Fäden im Mainzer Mittelfeld. Mit watson hat er über den Wechsel vom Titelkampf in den Tabellenkeller, Xabi Alonso sowie neuerworbene Vaterfreuden gesprochen.
watson: Nadiem, dein Trainer hat kürzlich gescherzt, dass er im Falle des Klassenerhalts zehn Flaschen Wein trinken werde. Dabei könnte er sicherlich Hilfe gebrauchen.
Nadiem Amiri: Ich trinke keinen Alkohol. Ich wünsche ihm viel Spaß dabei, aber dabei kann ich ihm nicht helfen. (lacht)
Aktuell steht ihr auf dem Relegationsplatz. Wärst du mit dem 16. Rang am Saisonende zufrieden?
Wenn du in der Tabelle einen Platz nach oben kletterst, ist das immer ein Erfolg, entsprechend nehmen wir natürlich auch gerne alles direkt über dem Strich. Wir haben unser Ziel, den Klassenerhalt, dafür müssen wir weiter Gas geben, denn da unten ist alles richtig eng.
Wie in der 2. Bundesliga. Schaust du Spiele aus dem Unterhaus?
Selten.
Dabei ist die Liga mit interessanten Vereinen, etwa deinem Jugendklub Kaiserslautern, gespickt. Am Saisonende könnte die 2. Liga zudem noch einen Gegner für euch stellen.
Ich beschäftige mich damit nicht, weil wir noch alle Chancen auf einen direkten Klassenverbleib haben und noch nicht klar ist, ob wir überhaupt Relegation spielen. Und wenn es doch so kommen sollte, bekommen wir vor dem Spiel ausreichend Videos, die uns der Trainer in der Analyse zeigt.
An Cheftrainern hattest du diese Saison gleich drei. Wie schwierig ist es, sich immer wieder umzustellen?
Manche brauchen länger, um neue Dinge zu adaptieren. Bei mir geht das relativ schnell, weil ich auf meiner Position meine Aufgaben kenne.
Haben es zentrale Mittelfeldspieler unter neuen Trainern generell leichter?
Ich denke schon. In der Mitte sind die Aufgaben immer relativ ähnlich, da gibt es höchstens kleinere Umstellungen. Von daher ist es dort einfacher, sich reinzufinden, als auf anderen Positionen.
Welche Veränderungen hat Bo Henriksen vorgenommen?
Die vielen Misserfolge haben zu mentalen Blockaden geführt. Das ist der wichtigste Punkt, den Bo verändert hat: Die Köpfe freizubekommen und den Jungs Selbstvertrauen zu geben. Wenn du mit dem Kopf nicht voll dabei bist, bringen auch taktische Änderungen nichts.
Wie ist er so schnell in eure Köpfe gekommen?
Mit seiner offenen, ehrlichen, lauten und sehr positiven Art. Er hat es mit der ersten Ansprache geschafft, uns zu packen. Das sieht man in den Spielen, da sind viel mehr Leben, Willen und Vertrauen drin.
Selbst das 1:8 in München hat dieses Vertrauen nicht nachhaltig erschüttert.
In dem Moment war es natürlich ein Scheiß-Gefühl. Wir als Mannschaft haben uns da mehr mit dem Ball beschäftigt, dafür die Defensive vernachlässigt. Das wurde knallhart bestraft.
Den Turnaround hat Xabi Alonso einst auch in Leverkusen geschafft, er führte das Team aus dem Tabellenkeller bis an die Spitze. Wie kann ein junger, vermeintlich unerfahrener Trainer das binnen so kurzer Zeit schaffen?
Leverkusen hat brutale Qualität im Kader. Und wenn Xabi Alonso in die Kabine kommt, ist das einfach Xabi Alonso. Da denkst du direkt an die ganzen Titel, Erfolge und Mannschaften, bei denen er gespielt hat. Er hat es geschafft, das Sieger-Gen reinzubringen.
Und was hat er taktisch verändert?
Die Positionierung mit und gegen den Ball ist viel besser geworden. Sie erobern jetzt viel schneller den Ball. Wenn du offensiv gut stehst, stehst du auch defensiv automatisch besser, weil die Wege zur Balleroberung kurz sind.
Für diesen Sommer hat Xabi Alonso allen Interessenten abgesagt, perspektivisch bleibt er dennoch für diverse Topklubs interessant. Wo siehst du ihn in Zukunft am ehesten: Madrid, München oder Liverpool?
Erstmal in Leverkusen.
Wenn Bayer durchzieht, dürftest du dich am Ende der Saison auch als Doublesieger bezeichnen. Würde sich das für dich als persönlicher Erfolg anfühlen?
Ich hätte dann vielleicht in meiner Vita Meister und Pokalsieger stehen, und darüber würde ich mich auch freuen. Auch ich habe sicher meinen Anteil geleistet, jeden Tag im Training und mit Kurzeinsätzen. Aber eben nicht in dem Ausmaß, wie ich es gerne gemacht hätte. Ich wünsche Leverkusen aber von ganzem Herzen, dass sie alles gewinnen.
Also hast du deinen Ex-Klub weiterhin im Blick?
Ja klar, ich schaue so viele Spiele wie möglich und bin auch mit vielen noch in Kontakt. Hoffentlich schaffen wir den direkten Klassenerhalt, dann könnte ich mich auch noch mehr über eine mögliche Meisterschaft oder einen Pokalsieg freuen.
Warum bist du überhaupt den Schritt raus aus dem Titelkampf und rein in den Tabellenkeller gegangen?
Ich bin Fußballer geworden, um zu spielen. Wenn ich alle drei Tage auf der Bank sitze, dann bin ich nicht glücklich. Ich wollte wieder Spaß haben an dem, was ich liebe. Auch aus privater Sicht hat es gepasst, da meine Familie hier in der Region lebt.
Als Charakteristika für dich selbst hast du einst die Worte "Grinsebacke" und "lustig" benutzt. Wie viel davon war in der Hinrunde noch übrig?
Ich bin jeden Tag zur Arbeit gefahren, habe gelacht und Vollgas gegeben. Aber wenn ich dann wieder im Auto saß, war ich schon traurig, da sind auch mal Tränen geflossen. Dass ich dauerhaft so gut wie nicht gespielt habe, tat weh. Das ist einfach ein Scheiß-Gefühl. Irgendwann zweifelt man an sich selbst.
In Mainz hingegen bist du seit der ersten Minute wichtig. Ist dir die Umstellung auf den Kampf um den Klassenerhalt schwergefallen?
Ich habe mich mental voll darauf vorbereitet, bin mit voller Überzeugung hergekommen. Das ist der richtige Schritt gewesen, das hat sich in den letzten Wochen bestätigt.
Gerade bei Standards ist dein Einfluss zu sehen. Sind deine Flanken so gut oder sind die Laufwege der Kollegen jetzt einfach besser?
Der Ball muss erstmal mit einer gewissen Schärfe in die richtigen Räume kommen. Dann müssen dort aber auch die Spieler stehen, die die Hereingaben verwerten können. Gerade im Abstiegskampf kann das ein wichtiger Faktor sein.
Gegen Bayern hast du einen indirekten Freistoß versenkt, in der Sommervorbereitung sogar mal eine Ecke. Nur aus elf Metern hat es diese Saison nicht geklappt.
Wenn der nächste Elfmeter kommt und ich ein gutes Gefühl habe, würde ich wieder schießen. Wenn Jonny sich gut fühlt, schießt er. Das ist ganz entspannt.
Auch abseits des Rasens hast du in den letzten Monaten viel erlebt, bist im November erstmals Vater geworden. Wie viel Erholung ist da aktuell möglich?
Weniger als zuvor, aber meine Frau macht das top. Sie ist die perfekte Mutter und nimmt mir sehr viel Last ab. Natürlich gibt es weniger Schlaf, aber für sein Lächeln am Morgen stehe ich nachts auch zehnmal auf. Der Kleine gibt mir unglaublich viel Kraft, ist auch im Stadion dabei. Ich spiele jetzt auch für ihn. Und der nächste ist auch schon unterwegs, da haben wir Gas gegeben. (lacht)
Welchen Einfluss hatte die Geburt auf deinen Winterwechsel?
Es war für meine Frau und mich ein bisschen wie nach Hause kommen. Unser Kleiner kann so auch mit Oma und Opa aufwachsen. In Düsseldorf, wo wir vorher gewohnt haben, hatten wir viele Tage und Nächte, die wir alleine verbracht haben. Jetzt wieder regelmäßig etwas mit Freunden und Familie unternehmen zu können, schätzen wir sehr.
Abschließend ein Blick nach vorne: Warum hält Mainz am Ende die Klasse?
Weil wir viel mehr Qualität haben, als es der Tabellenplatz sagt. Das sehe ich jeden Tag im Training.