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Coronavirus: Experte erklärt, wie Bundesligaklubs mit Innovation überleben können

11.03.2020, Fussball GER, Saison 2019 2020, 1. Bundesliga, 21. Spieltag, Nachholspiel, Borussia Moenchengladbach - 1. FC Koeln, Borussia Park, Innenansicht mit der Nordkurve Moenchengladbach Nordrhein ...
Keine Spiele und keine Zuschauer: Felix Benckendorff von der Online-Agentur "Web-Netz Sports" spricht über die neuen digitalen Möglichkeiten der Bundesliga-Klubs.Bild: imago images / Team 2 / webnetz gmbh (montage watson)
Interview

Experte erklärt, wie Bundesligaklubs mit Innovation überleben können

24.03.2020, 08:2324.03.2020, 10:58
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Das Coronavirus hat den deutschen Profifußball komplett lahmgelegt. Die Saison ist bis auf Weiteres gestoppt, Stadien bleiben leer und ganze Profi-Teams befinden sich in Quarantäne. Die Klubs müssen womöglich auf Millionen Euro aus TV-Einnahmen, Ticket-Verkauf und Transfererlösen verzichten und bangen um ihre Existenz.

Wie bei anderen Unternehmen zwingt das Coronavirus die Klubbosse dazu, kreativ werden zu müssen. Immer mit der Frage: Wie können wir überleben?

Felix Benckendorff von der Online-Agentur "Web-Netz Sports", die sich mit der digitalen Reichweiten-Steigerung von Vereinen, Verbänden und Unternehmen der Sport-Branche befasst, sieht in der Krise auch Innovationsmöglichkeiten. Der Online-Marketing-Experte sagt: "Da digitale Kanäle keine Grenzen kennen, werden den Klubs hier ganz neue Chancen geboten."

watson sprach mit ihm über digitale Fanpartys und die wohl bekannteste Retter-Kampagne des deutschen Fußballs aus dem Jahr 2003, die nun als Vorbild dienen könnte.

watson: Wie gefährlich ist die Corona-Pandemie für den Profifußball?

Felix Benckendorff: Die Klubs stehen vor einer existenziellen Gefährdung. Der Bundesliga könnte im Fall eines Saisonabbruchs sogar ein Schaden von bis zu etwa 700 Millionen Euro entstehen, so die Hochrechnungen der renommierten Unternehmensberatungsgesellschaft KPMG. Das Ausmaß der Gefährdung wird auch anhand dieser Zahlen greifbar: 56.000 Arbeitsplätze hat die Bundesliga in etwa geschaffen, hinzu kommen einige Tausend Jobs aus angeschlossenen Betrieben wie Gastronomie, Hotelgewerbe...

Welche Einnahmen fehlen den Klubs nun?

Das ist natürlich von Klub zu Klub unterschiedlich. DFL-Boss Christian Seifert warnte zuletzt, dass zahlreichen Klubs ab einem gewissen Zeitpunkt ohne Zuschauer-, TV- und Sponsoring-Einnahmen die Pleite droht. Bezeichnend für die Spieltage ist die Hochrechnung von Michael Preetz, der das abgesagte Heimspiel von Hertha BSC gegen Union Berlin auf einen Verlust im siebenstelligen Bereich taxierte. Hinzu kommen bei einem frühzeitigem Saison-Aus die TV-Gelder und auch Sponsoring-Ausfälle.

Alleine die fehlenden TV-Einnahmen haben es in sich…

Bleiben nur die Zahlungen der TV-Broadcaster aus, fehlen den Klubs aus der ersten und zweiten Bundesliga insgesamt dreistellige Millionenbeträge. Insgesamt werden die Klubs durch die zehrende Krisenzeit auch weniger Geld in der Transferkasse haben, wodurch sich die wichtigen Transfereinnahmen, insbesondere kleinerer Klubs, verringern.

Es ist zudem noch unklar, bis wann sich die Spielpause zieht.

Verhindert die Corona-Krise auch den Start der Saison 2020/21, fallen die Transfereinnahmen vielleicht sogar noch geringer aus. Es ist schwer vorzustellen, dass Klubs Spieler für vergleichsweise hohe Summen verpflichten, wenn den laufenden Kosten keine Spiele, Einsätze und somit laufende Einnahmen gegenüber stehen.

Felix Benckendorff von der Online-Agentur "Web-Netz Sports".
Felix Benckendorff von der Online-Agentur "Web-Netz Sports". Bild: web-netz gmbh

Laut des Bundesligareports von 2016 kommen 29 Prozent der Umsätze aus der medialen Verwertung, 24 Prozent aus Sponsoring und 16 Prozent über die Spieltagseinnahmen. Wie können die Klubs die fehlenden Umsätze und vor allem Einnahmen nun auffangen?

Da mit den TV- und den Spieltagseinnahmen 45 Prozent der Einnahmen durch Corona wegfallen beziehungsweise stark gefährdet sind, müssen sie das auf anderen Wegen ausgleichen. Es wäre zum Beispiel denkbar, mit den Spielern neue Formate zu kreieren, um sie stärker als Influencer des Arbeitgebers zu vermarkten und neuen Sponsoren einen Mehrwert zu bieten.

Wie könnte das zum Beispiel aussehen?

Der 1. FC Köln hat zum Beispiel seine Spieler mit Home-Fitness-Geräten eines Sponsors ausgestattet. Die Spieler nehmen sich zu Hause auf, während sie in die Pedalen treten, verbreiten es über Social-Media-Kanäle und machen den Fan sowie den Sponsor froh.

In Krisenzeiten wünscht sich der Fan Beständigkeit und Nähe zu seinem Verein. Dies sollte ihm der Klub bieten

Die spanische Liga organisiert derzeit mit einem Youtuber ein großes FIFA-Turnier bei dem jeder Klub einen Spieler an der Konsole stellt.

Da die digitalen Kanäle die einzige Chance darstellen, dem Klub und seinen Spielern nahe zu sein, liegen in virtuellen Aktionen und Produkten - wie zum Beispiel eSports - weitere Potenziale. Hier zahlt es sich aus, wenn ein Klub rechtzeitig in zeitgemäße digitale Wertschöpfungsmöglichkeiten investiert hat und über die dazugehörigen Daten den Fans, aber auch den Sponsoren das bieten, was diese nun verlangen. In Krisenzeiten wünscht sich der Fan Beständigkeit und Nähe zu seinem Verein. Dies sollte ihm der Klub bieten. Da die digitalen Kanäle keine Grenzen kennen, werden den Klubs hier ganz neue Chancen geboten.

Gibt es da schon kreative Beispiele?

Union Berlin hat die Aktion "Wurst Case" (statt "Worst case") ins Leben gerufen: Ein digitaler Imbiss, mit dem der Klub Geld einnehmen konnte. Zweitligist VfL Bochum hat dank seiner treuen Fans finanziellen Support erhalten durch Geisterspieltickets, Drittligist Waldhof Mannheim hat eine coole Kooperation im eSports initiiert, indem im virtuellen Stadion die Punktspiele der Waldhofer in der 3. Liga nachgespielt werden und demzufolge virtuelle Tickets für Einnahmen sorgen. Ein internationaler Wurf gelang dem BVB mit seiner China-Fanparty.

Was hat der BVB da gemacht?

Borussia Dortmund ist eine Aktivierung gelungen mit Vorreitereffekt: Etwa 2,9 Millionen Zuschauer folgten per Live-Stream einer "digitalen Fanparty", im Kontext des ausgefallenen Derbys gegen den FC Schalke 04. Ausgerechnet die Derby-Delle konnte damit eindrucksvoll "repariert" werden. In der Spitze waren es 110.000 Zuschauer des Livestreams. Die Show beinhaltete unter anderem einen Jonglier-Wettbewerb, den Fan-Reporter-Vlog und eine Dokumentation des Dortmunder China-Büros. Der Verein konnte auch seine offiziellen kommerziellen Partner in China einbinden. Der Kreativität sollten keine Grenzen gesetzt sein. Die Maxime muss lauten: Jeder sollte aus seinem Fundus das Bestmögliche in die Waagschale werfen!

Aber kaufen die Fans jetzt überhaupt noch Produkte wie zum Beispiel Fanartikel?

Ja, ein ganz naheliegendes Potenzial liegt in der verstärkten Online-Vermarktung von Merchandising-Produkten - und zwar auch Produkten jenseits des Trikots. In Zeiten, in denen die stationären Fanshops schließen müssen, ist der Online-Shop die einzige Bezugsquelle für Fanartikel. Fans haben allerdings aufgrund von Quarantäne, Langzeit-Homeoffice und geschlossener Schulen und Kitas einen ganz anderen Bedarf an Produkten als noch vor vier Wochen. Nun sind Merchandising-Artikel gefragt, die sich der veränderten Nachfrage anpassen wie zum Beispiel Gesellschaftsspiele oder Homeoffice-Ausstattungen.

Emotionalität war, ist und bleibt das verbindende Element. Jetzt in der Krise umso mehr

Schon in der Vergangenheit gab es Klubs, die unbedingt Geld brauchten. Benefiz-Kicks sind derzeit nicht möglich. Kommen jetzt Ideen wie das Retter-Shirt des FC St. Pauli zurück?

Da bereits 2003 sensationelle 140.000 Retter-T-Shirts durch die kreative Idee der Marketingabteilung des FC St. Pauli einen Profifußballklub retten konnten, was ist da erst möglich mit der digitalen Power, die der E-Commerce heute zu bieten hat? Wenn die Klubs im digitalen Marketing in der Vergangenheit einen guten Job gemacht haben, erreichen sie ihre Fans auch in Corona-Zeiten unabhängig vom Stadion und Spielen, zum Beispiel per Social Media.

Wie wichtig ist die Emotionalität, die die Klubs derzeit nutzen, um die eigenen Fans zu erreichen?

Emotionalität war, ist und bleibt das verbindende Element. Jetzt in der Krise umso mehr. Jetzt profitieren vor allem die Klubs mit extrem nachhaltig fundierter Fannähe und Fanliebe wie zum Beispiel der 1. FC Köln, Eintracht Frankfurt, aber auch Zweitligisten wie der VfL Bochum oder ein Traditionsklub wie der Hamburger SV mit einer enorm großen und leidgeprüften Fanschar. Und entscheidend wird sein, dass das Emotionale begleitet wird durch rational-kompetente Onlinemarketing-Matchpläne.

Viele Vereine sprechen mit ihren Stars derzeit über einen Gehaltsverzicht. Kann das neben den Gründen der Einsparungen auch ein guter Marketing-Trick sein, weil die Klubs dadurch bei Fans und Gesellschaft das gegenteilige Bild der oft von Fans propagierten “geldgierigen Millionäre” geben?

Es ist viel mehr als ein Trick. Weil es nur die Profis machen, die eine entsprechende Haltung haben. Im Profifußball gibt es nicht mehr oder weniger geldgierige Menschen als in der gesamten Gesellschaft. Besonders erfreulich ist die Spendeninitiative von Joshua Kimmich und Leon Goretzka, da scheint auch der Spirit von Uli Hoeneß nachhaltig zu wirken.

Es gibt zwar Spendenaktionen, Durchhalteparolen, die Klopapier-Challenge und ganze Teams wie Borussia Mönchengladbach, die auf Gehalt verzichten. War der Fußball trotzdem zu zaghaft in seiner Krisenkommunikation?

Das ist ja fürs Erste schon einiges, was aus dem Fußball heraus getan wurde. Man sollte nicht vergessen, dass es sich um Fußballklubs in existenzieller Notlage und um junge Leistungssportler handelt. Oft wird in der öffentlichen Erwartungshaltung etwas geschürt, was die Möglichkeiten und Kompetenzen weit übersteigt. Warum soll beispielsweise ein 21-jähriger Topfußballer mit lukrativem Jahresgehalt bereits Fähigkeiten und Tugenden wie ein lebenserfahrener Krisenmanager an den Tag legen? Wir sollten alle vor unseren Spiegel treten und uns fragen, wozu wir bereit sind.

Wie wird sich der Fußball langfristig nach Corona ändern?

Was das Ideelle anbelangt wird er in jedem Fall zu einer neuen Bodenständigkeit zurückkehren. Und mehr denn je rücken die Fans in den Mittel- und Brennpunkt. Die Retter-Kampagne des FC St. Pauli von 2003 hat es vorgemacht, wie auch jetzt Fans ihre Leidenschaft und Liebe für den Fortbestand ihres Herzensvereins einsetzen können. Was der Fußball derzeit wohl aber auch lernt: Die Digitalisierung besitzt große Schubkraft für die Klubs.

(bn)

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