Fast täglich gibt es neue Gerüchte, Spekulationen, Geheimtreffen und mündliche Zusagen zum neuen Klub, wenn es um die Zukunft von Robert Lewandowski und Erling Haaland geht.
Die beiden Stürmer-Stars äußern sich nur selten zu dem Thema. Die Bosse der beiden Vereine wiederholen ihre Aussagen gebetsmühlenartig und weisen auf bestehende Vertragslaufzeiten hin. Mit diesem Spektakel vor dem eigentlichen Wechselfenster ab 1. Juli kennt sich Michael Reschke wohl wie kein Zweiter in Deutschland aus.
Zwischen 2014 und 2017 war er Kaderplaner und Technischer Direktor des FC Bayern und noch bis heute wirkt seine Arbeit beim Rekordmeister nach. So war Reschke unter anderem für die Verpflichtungen von heutigen Stammspielern wie Joshua Kimmich, Serge Gnabry, Niklas Süle und Kingsley Coman verantwortlich.
Mittlerweile arbeitet der 64-Jährige, der über 20 Jahre im Managementbereich für Bayer Leverkusen, den FC Bayern, den VfB Stuttgart und Schalke 04 tätig war, als "Head of European Football" für die Berater-Firma ICM Stellar.
Im Interview mit watson hat er eine klare Meinung, was die Zukunft von Robert Lewandowski beim FC Bayern betrifft, erzählt, wie nervig ständige Spekulationen um Spieler sind, wohin es Erling Haaland im Sommer zieht und warum der FC Bayern seine Transferstrategie gar nicht ändert.
watson: Herr Reschke, wenn Sie in einem Verein noch Sportvorstand oder Sportdirektor wären: Würden Sie Robert Lewandowski oder Erling Haaland verpflichten?
Michael Reschke: Das ist eine sehr komplexe und schwierige Frage. Wenn es das kicker-Managerspiel für die kommende Saison wäre, würde ich mich für Robert Lewandowski entscheiden. Als Verantwortlicher eines Bundesligisten wäre es Erling Haaland, da Alter, Perspektive und Marktwertentwicklung einfach für ihn sprechen.
Also gehen Sie davon aus, dass Robert Lewandowski trotz Diskussionen um seinen bis 2023 laufenden Vertrag beim FC Bayern bleibt.
Ja. Er hat ja einen Vertrag bis 2023. Ihn ansatzweise gleichwertig zu ersetzen, ist sportlich kaum und wirtschaftlich völlig unmöglich für die Bayern. Auch wenn die ganze Mediendebatte die Verantwortlichen beim FCB mächtig nerven wird.
Das müssen Sie uns erklären.
Gerne. Das Lewandowski-Haaland-Transfer-Thema interessiert natürlich alle Fans und darüber lässt sich vortrefflich diskutieren. Dabei sind viele Fakten für Verantwortliche klar, werden aber von den Medien nur bedingt beachtet, egal was man zwischendurch auch eindeutig erklärt. Das haben die Bayern und die Dortmunder jetzt mit voller Wucht erfahren müssen und das nervt dich als Klub-Verantwortlicher. Aber es gehört natürlich zum Geschäft und da muss man durch.
Die Vereinsverantwortlichen des FC Bayern um Vorstandsboss Oliver Kahn und Sportvorstand Hasan Salihamidžić reagierten in der jüngsten Vergangenheit zu Fragen nach Lewandowski etwas dünnhäutig.
Dass man irgendwann auch mal aus der Haut fährt, ist absolut menschlich und nachvollziehbar.
Warum?
Kahn und Salihamidžić haben natürlich einen völlig anderen Wissensstand, können aber vieles nicht preisgeben. Parallel müssen Sie sich aber Halbwissenden – das ist nicht abwertend gemeint – gegenüber ständig rechtfertigen, obwohl diese eben nicht das nötige Hintergrundwissen besitzen, das für eine seriöse Urteilsbildung notwendig ist. Das ist manchmal schon Schmerzensgeld pflichtig. Natürlich sollte man ruhig, professionell und abgeklärt sein und dies als Teil des Spiels betrachten, aber manchmal platzt dann einfach die Hutschnur.
Aber je länger Unklarheit für Medien und Fans herrscht, desto ausführlicher werden die Diskussionen andauern.
Wie gesagt: Eine sehr komplexe Gesamtsituation. In diesem Entscheidungsprozess spielen viele Facetten eine Rolle, die von entscheidender Bedeutung sind, aber den Journalisten und Fans natürlich nicht komplett bekannt sind und auch gar nicht öffentlich gemacht werden dürfen.
Robert Lewandowski hat die Diskussion am vergangenen Wochenende selbst angeheizt, als er bei Sky meinte: "Die Situation ist nicht einfach für mich" und dass er lediglich wisse, dass es demnächst erste Gespräche geben solle.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass man das Gespräch mit Robert noch nicht gesucht hat. Es war klar, dass Robert mit Fragen zu seiner Zukunft extrem konfrontiert wird. Sinnvoll ist es dann sich mit dem Spieler so auszutauschen, dass es ein gemeinsames Wording gibt, um zu vielen Spekulationen entgegenzuwirken.
Wie kann es denn überhaupt dazu kommen, dass Barcelonas Präsident Joan Laporta im spanischen Radio sagt, man habe gute Chancen, Lewandowski zu verpflichten?
Egal, wie die Spekulationen für die kommende Saison aussehen: Der FC Bayern sitzt in dieser Situation am Drivers Seat. Die Äußerungen von Laporta können sich losgelöst von Bayern auf den 1. Juli 2023 beziehen. Aber für die Saison 2022/23 ist die Situation eindeutig: Robert hat einen Vertrag beim FC Bayern und ohne Zustimmung vom FCB ist kein Wechsel möglich.
Es sei denn, er teilt den Verantwortlichen mit, er wolle wechseln.
Wie die Bayern reagieren, wenn er diesen Wunsch äußert, ist relativ klar. Der alleinige Wunsch von Robert wird definitiv nicht entscheidend sein. Es braucht einen interessierten Klub, der eine außergewöhnliche Transferlösung anbietet, die für den FC Bayern extrem lukrativ sein muss.
Glauben Sie, der Verein hat einen Plan B zu Robert Lewandowski?
Natürlich wird sich der FC Bayern mit einem Plan B zu Robert Lewandowski beschäftigen und es gibt sicherlich auch Spieler in der Bundesliga, die interessant werden könnten. Aber man kann nur davor warnen, dass man bei einem möglichen Nachfolger die Messlatte Lewandowski aufgelegt.
Trotz mehrerer Dementis der Bayern-Bosse steht auch der Name Erling Haaland immer wieder als Lewandowski-Ersatz im Raum.
Ich glaube nicht, dass er länger in der Bundesliga bleibt und bin überzeugt, dass ein Bayern-Wechsel aktuell wirtschaftlich nicht realistisch ist. Eher spielt er noch eine Saison in Dortmund, da dies sogar Sinn ergeben könnte.
Warum?
Je nachdem, wie sich die Transfersituation auf dem internationalen Markt entwickelt, könnte es in einem Jahr einige Klubs geben, die ihn sich wirtschaftlich leisten können und sportlich interessant sind.
Das Interesse von Manchester City soll laut verschiedenen Medienberichten relativ konkret sein.
Falls es so ist, wäre dies gewiss eine sehr gute Lösung für Haaland und vermutlich auch für Borussia Dortmund.
Der Norweger soll beim BVB eine festgeschriebene Ausstiegsklausel von 75 Millionen Euro im Vertrag stehen haben. Sind diese Klauseln eine Sache, die man als Sportvorstand hasst?
Ich bin überzeugt, dass Dortmund ihn damals am liebsten ohne Ausstiegsklausel verpflichtet hätte. Aber dann hätte die Haaland-Partei einem BVB-Wechsel vermutlich nicht zugestimmt. Da sind dir als Verein oftmals die Hände gebunden: Machen oder sein lassen.
Und wie sehen Sie diese Klauseln aus heutiger Sicht als Berater?
Logisch, dass die Haaland-Seite bei der weiteren sportlichen Zukunft selbst die entscheidende Rolle spielen will und dank der Ausstiegsklausel besitzt man halt diese Option. Insgesamt muss man Borussia Dortmund zu diesem Transfer herzlichst gratulieren.
Wieso?
Der BVB hat vor zwei Jahren ein 20-25-Millionen-Euro-Transfer-Investment riskiert. Sportlich und wirtschaftlich eine Topentscheidung. Trotz mächtiger Transfer-, Gehalts- und Beraterkosten wird der BVB nach zwei Spielzeiten durch die Transfereinnahmen ein deutliches wirtschaftliches Plus verbuchen. Und der Klub hatte über zwei Jahre einen fantastischen Spieler, der die Fans begeistert und die Bundesliga deutlich bereichert hat. Außergewöhnlich, mehr geht kaum.
Das gelang Dortmund zuvor auch mit Spielern wie Sancho, Pulisic, Aubameyang und Dembelé, die man für viel Geld wieder verkauft hat. Mit Reyna und Bellingham spielen zwei aufstrebende Jungstars im kommenden Jahr definitiv beim Vizemeister.
Dortmund hatte in den vergangenen Jahren eine herausragende Transferpolitik betrieben. Es gibt eine Top-Scouting-Abteilung und eine klare Strategie, wodurch für den Klub ein hoher sportlicher und wirtschaftlicher Mehrwert entstanden ist. Dabei ist natürlich auch klar, dass man bei jungen Spielern nicht nur Volltreffer landet.
Der FC Bayern will laut verschiedenen Berichten in eine ähnliche Richtung gehen und in junge Talente investieren, die sie nach einigen Jahren gewinnbringend weiterverkaufen können.
Diese Transferstrategie gab es beim FC Bayern schon als ich im Klub tätig war. Daher sehe ich auch keine Zeitenwende, die beim Verein plötzlich eingeleitet wird. Schauen Sie sich nur das perspektivische Herzstück der Mannschaft an, mit Joshua Kimmich, Leon Goretzka, Tanguy Nianzou, Kingsley Coman, Serge Gnabry, Jamal Musiala, Alphonso Davies und aus dem Nachwuchs Spieler wie Paul Wanner und Malik Tillman. Das sind alles Spieler, die nicht erst im Alter von 25 Jahren verpflichtet wurden, sondern als sie sehr jung waren. Das ist eine sportlich sinnvolle Lösung und wirtschaftliche Notwendigkeit. Auch hier wurde sehr gut im Scouting-Bereich gearbeitet.
Dabei läuft auch der Vertrag von Serge Gnabry im kommenden Sommer aus. Würde sein Abgang den Klub noch schlimmer treffen als ein Transfer von Lewandowski?
Eine Weiterverpflichtung von Serge wäre sehr wertvoll. In München muss es einen Abwägungsprozess geben, welchen Stellenwert er im Kader hat.
Wie würden Sie ihn einschätzen?
Ich schätze seinen sportlichen Stellenwert sehr hoch und halte es für extrem wertvoll, einen Stamm an leistungsstarken deutschen Spielern zu besitzen. Serge ist außerdem ein sehr empathischer und intelligenter Typ, der sich auch neben dem Sportlichen wichtig einbringt. Eins ist zudem sicher: In einem sinnvollen Preis-Leistungs-Verhältnis, wie bei einer Vertragsverlängerung für Gnabry, eine vergleichbare Alternative zu finden, ist eine mächtige Herausforderung und kaum lösbar.