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Schwule Bundesliga-Spieler: Experte sagt, warum er Fußballern zu Coming-Out rät

Doncaster Rovers Keepmoat Stadium with rainbow flags in support for Doncaster Pride during the Sky Bet League 1 match between Doncaster Rovers and Fleetwood Town at the Keepmoat Stadium, Doncaster, En ...
Homosexualität ist im Profifußball noch immer ein Tabu. Wir sprachen mit Christian Rudolph, Vorstandsmitglied des Schwulen- und Lesbenverbandes in Deutschland, darüber. Bild: Porträt: privat // Stadion: imago images / PRiME Media Images (montage watson)
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"Kommt raus!" – Experte rät homosexuellen Fußballprofis zu einem Coming-out

25.10.2019, 16:1207.02.2021, 11:27
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Anmerkung: Dieser Text stammt aus dem Oktober 2019. Aufgrund der aktuellen Debatte rund um das Coming-out von prominenten Schauspielerinnen und Schauspielern platzieren wir ihn nun erneut auf der watson-Startseite. Denn daran, dass Homosexualität im Fußball noch immer ein Tabuthema ist, hat sich in der Zwischenzeit nichts geändert.

Über 13.000 Menschen folgen ihm schon. Der Twitter-Account "gay_Bundesligaspieler" ging vor über einer Woche online und die Aufregung ist nach wie vor groß. "Ich bin ein schwuler Spieler der 2. Bundesliga", schrieb der Account und erklärte: "Ich möchte mich bald outen, um das Versteckspiel zu beenden. Ich teste hier ob ich den Druck aushalten kann."

Dieser Druck ist im Fußball riesig. Homosexualität ist ein absolutes Tabuthema. Noch immer hat sich in Deutschlands Profifußball kein aktiver Spieler jemals als homosexuell geoutet. Thomas Hitzlsperger ist der einzige bekannte deutsche Profifußballer, der sich nach seinem Karriere-Ende zu einem Coming-out entschloss. Nun blicken die Fans auf den Twitter-Account, obwohl niemand weiß, ob dieser überhaupt echt ist.

"Wir waren sehr überrascht über den Account", sagt Christian Rudolph im Gespräch mit watson. Der Mitbegründer von "Fußballfans gegen Homophobie" setzt sich seit Jahren mit dem Thema Homosexualität im Fußball auseinander und sitzt im Vorstand des Schwulen- und Lesbenverbandes in Deutschland (LSVD). Rudolph betont: "Aber es geht um viel mehr als dieses eine Coming-out im Profifußball."

Im Interview mit watson erklärt Rudolph, wieso Homosexualität im Fußball noch immer ein Tabuthema ist und warum er jedem schwulen Profifußballer erstmal zu einem Coming-out raten würde.

Watson: Die Aufregung über diesen vermeintlich echten Twitter-Account ist groß – ist das genau das Problem, wieso sich homosexuelle Fußballprofis noch immer vor einem Coming-out fürchten?

Christian Rudolph: Der Druck in den Spielern entsteht ja dadurch, dass sie die ersten sind und alle offenbar darauf warten. Wir waren alle von dem Twitter-Account überrascht und beobachten das erstmal. Wir sind natürlich gespannt, ob wirklich ein homosexueller Profi-Fußballer dahinter steckt.

Die Reaktionen auf die Tweets waren sehr positiv...

Es ist schön, dass die Reaktionen im Großen und Ganzen positiv waren und auch Vereine wie Borussia Dortmund beispielsweise eine Regenbogen-Fahne darunter gepostet haben. Aber, dass das Thema Coming-out immer noch das vorrangige Thema ist, ist natürlich ein wenig traurig. Da sieht man, wie die Öffentlichkeit tickt.

Wie meinst du das?

Natürlich wünschen wir uns, dass es möglich ist, dass sich ein Profispieler für ein Coming-out entscheidet, aber wir wollen weg von dem bloßen Thema Coming-out. Dass der DFB im Sommer vor der eigenen Zentrale die Regenbogenfahne gehisst hat, haben kaum Menschen mitbekommen, obwohl das ein Meilenstein war. Das wäre vor einigen Jahren noch undenkbar gewesen. Leider steht immer wieder nur dieses Coming-out eines Profis im Vordergrund. Andererseits zeigt das, wie selbstverständlich Homosexualität ist und wie weit wir im Fußball mittlerweile sind.

Christian Rudolph ist unter anderem Leiter des Projektes "Soccer Sound", das die Aufgabe hat, im Bereich Fußball für das Thema Vielfalt zu sensibilisieren und gegen Vorurteile und Homophobie anzugehen ...
Christian Rudolph ist unter anderem Leiter des Projektes "Soccer Sound", das die Aufgabe hat, im Bereich Fußball für das Thema Vielfalt zu sensibilisieren und gegen Vorurteile und Homophobie anzugehen. Bild: privat

Ist der Fußball denn wirklich so weit?

Die positiven Reaktionen auf den Twitter-Account zeigen unter anderem, dass sich viel getan hat. Vor zehn Jahren haben wir darum gekämpft, dass Homosexualität im Fußball überhaupt wahrgenommen wird. Viele Menschen haben nicht mal in Erwägung gezogen, dass es schwul-lesbische Fans überhaupt geben könnte. In den vergangenen fünf Jahren gibt es ein ganz anderes Bewusstsein bei Vereinen und Verbänden. Selbst in der Kreisklasse gibt es ein Umdenken. Beim Berliner Fußballverband gibt es sehr viele Amateurvereine, die beispielsweise Regenbogen-Armbinden bei uns anfragen, um sich zu positionieren. Im Fußball gibt es mittlerweile eine breitere Akzeptanz – aber es wird natürlich nie ein Klima geben, wo Homosexualität total unproblematisch ist.

Weil am Ende der Fußball immer ein Abbild der Gesellschaft ist…

Genau. Homosexualität ist in unserer Gesellschaft nach wie vor keine Selbstverständlichkeit. Selbst in Bereichen, in denen wir annehmen, dass Homosexualität kein Problem mehr ist, ist es eins. In der Politik, Wirtschaft oder auch in der Kunst gibt es noch immer Menschen, die Angst vor einem Coming-out haben, weil sie Konsequenzen fürchten.

Was unterscheidet "Coming-out" von "Outing"?
Die beiden Begriffe werden immer wieder gleichgestellt, doch sie haben eine andere Bedeutung.

Coming-out wird vom Duden als "absichtliches, bewusstes Öffentlichmachen von etwas, insbesondere der eigenen Homosexualität" definiert – das Wort leitet sich vom Englischen "to come out" (herauskommen) ab.

Outing hat im Gegensatz zu "Coming-out" einen Aspekt von Unfreiwilligkeit und bedeutet "jemandes Homosexualität ohne dessen Zustimmung öffentlich bekanntmachen."

Im Fußball war das jahrelang noch schlimmer: Der Sport galt als Bereich, in dem es Homosexualität gar nicht gibt. Warum?

Der Fußball hat sich Jahrzehnte überhaupt nicht mit sozialen Themen auseinandergesetzt und erst in den 90er-Jahren hat so langsam eine Annäherung stattgefunden. Da ging es dann um Themen wie Rassismus oder Antisemitismus, weil es nach diversen Vorfällen öffentliche Kritik gab. Doch nach wie vor verhindert eine patriarchale Struktur noch mehr Veränderungen zu mehr Vielfalt.

Zuvor undenkbar, aber 2017 liefen Dänemarks Kapitän Thomas Delaney und der deutsche Spielführer Julian Draxler beim Länderspiel mit Regenbogen-Binde auf.
Zuvor undenkbar, aber 2017 liefen Dänemarks Kapitän Thomas Delaney und der deutsche Spielführer Julian Draxler beim Länderspiel mit Regenbogen-Binde auf.Bild: imago/Matthias Koch

In den Institutionen?

Ja, es werden nach wie vor die gleichen Typen ge- und befördert, und es existiert noch immer ein Denken wie vor 20 Jahren. Das Thema Weiblichkeit – also weibliche Sichtbarkeit – wird nicht zugelassen. Der Fußball hat eine starke Basis aus People of Color, verschiedenen Religionen, Geschlechtern und Sexualitäten. Doch, wenn man schon einen Schritt weiter geht, dann ist davon nichts mehr zu sehen. Über der eigentlichen Mannschaft – also der Posten des Trainers, Betreuers, Abteilungsleiters oder Vereinspräsidenten – sind die Träger in der Regel alle männlich und weiß.

Wie kam in den vergangenen fünf Jahren überhaupt Bewegung in die Entwicklung?

Der Hauptpunkt, wieso sich der Fußball in Richtung Vielfalt verändert hat, sind meiner Meinung nach die Fans: Die "Hertha Junxx" waren beispielsweise der erste schwul-lesbische Fanclub, den gibt es seit 2001. Seitdem sind homosexuelle Fans sichtbarer in den Stadien. Anschließend haben sich zahlreiche Initiativen gegründet, die viel getan haben und auch zu Vereinen und Verbänden Kontakt gesucht haben. Ohne die Fans wären wir noch lange nicht so weit im Fußball.

Die "Hertha Junxx" zeigen im Jahr 2007 Flagge im Olympiastadion.
Die "Hertha Junxx" zeigen im Jahr 2007 Flagge im Olympiastadion.Bild: imago images / photoarena/Eisenhuth

Nun warten die Menschen aber nach wie vor auf das erste Coming-Out in der Bundesliga. Immer wieder ist dabei die Rede vom "Gruppen-Coming-out". Wäre das einfacher, weil dann die ganze Öffentlichkeit auf verschiedene Schultern verteilt wird?

Grundsätzlich begrüßen wir jedes einzelne Coming-out. Dass sich mehrere Menschen zusammen tun, stelle ich mir aber immer schwierig vor, weil ein Coming-out an sich für jeden einzelnen Menschen schon sehr emotional ist und eine Kommunikation zwischen mehreren Leuten schwierig ist. Dafür ist aber dieser Twitter-Account natürlich ganz gut, weil er die Menschen lehrt, dass es Homosexualität auch im Fußball gibt und zu einem Coming-out ein größerer Prozess gehört als nur der Gang an die Öffentlichkeit.

GER, 1.FBL, Werder Bremen vs 1. FSV Mainz 05 / 30.03.2019, Weserstadion, Bremen, GER, 1.FBL, Werder Bremen vs 1. FSV Mainz 05 DFL REGULATIONS PROHIBIT ANY USE OF PHOTOGRAPHS AS IMAGE SEQUENCES AND/OR  ...
Die Profi-Klubs näherten sich dem Thema in den vergangenen Jahren vorsichtig an: Wie hier mit Regenbogen-Eckfahnen bei einem Spiel von Werder Bremen. Bild: imago images / Nordphoto

Social Media hilft also in diesem Fall?

Es wäre natürlich schwierig, falls der Twitter-Account ein Fake sein sollte. Aber trotz der ganzen Aufregung offenbart der Account uns gerade, dass die Reaktionen positiv sind. Die Ängste vor einem Coming-out sind immer nur fiktiv und man weiß ja gar nicht, wie die Menschen um einen herum reagieren. Der Twitter-Account aber macht die Reaktion etwas greifbarer. Man fürchtet sich ja vor allem vor der subtilen Homophobie, wenn jemand "Du Schwuchtel" oder zu einem ungenauen Pass "schwuler Ball" sagt. Bei einem Fußballprofi kommt natürlich die Angst dazu, dass er nur noch als "schwul" wahrgenommen wird, obwohl das ja nicht den ganzen Menschen ausmacht.

Welchen Rat hast du an schwule Fußballprofis?

Das ist eine sehr persönliche Entscheidung, jeder muss das für sich selbst abwägen. Aber ansonsten würde ich sagen: Kommt raus! Das klingt jetzt so einfach, aber die Erfahrung zeigt, dass es den Menschen dann eher besser als schlechter geht. Es ist heilsamer, als jahrelang eine falsche Identität zu haben. Zudem ist es wichtig, dass alle anderen durch ein Coming-out ermutigt werden. Die Erfahrung aus anderen Sportarten wie im Rugby oder American Football haben uns gezeigt, dass die Leute positiv darauf reagieren. Die Aufregung wird sich dann legen, und wir schaffen hoffentlich ein Selbstverständnis, sodass wir nicht mehr über die Sexualität reden müssen. Das braucht aber Zeit.

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