Der deutsche Basketball sei "mad sexy" sagte Moritz Wagner bei der WM im vergangenen Jahr. Pointierter hätte man es nicht zusammenfassen können.
Die 3x3-Basketballerinnen holten bei den Spielen in Paris das erste olympische Gold für den Sport überhaupt, die Frauen zogen bei der ersten Olympia-Qualifikation direkt ins Viertelfinale ein und die Männer können als amtierende Weltmeister Bronze holen. Am Samstagmorgen treffen sie auf Serbien. Und die Jungen-U18 ist vor wenigen Tagen Europameister geworden.
Im Interview mit watson erklärt Stephan Herwig, seit 15 Jahren Präsident des Berliner Basketball-Verbands, wie sich dieser übergreifende Erfolg erklären lässt, wie sich die Trendsportart entwickelt und warum der Frauen-Basketball noch nicht so weit ist.
Watson: Herr Herwig, 2021 landete der Deutsche Basketball-Bund (DBB) in der PotAS-Analyse zur Feststellung der Förderungswürdigkeit auf dem letzten Platz. Angesichts der jüngsten Erfolge: Wie groß ist die Genugtuung?
Stephan Herwig: Genugtuung ist vielleicht das falsche Wort. Wir haben damals schon argumentiert, dass wir alles richtig gemacht haben und dass die Einschätzung – vorsichtig ausgedrückt – völliger Quatsch ist. Ich glaube, dass die sich mittlerweile am meisten ärgern. Aber was in den drei Jahren passiert ist, ist schon unglaublich.
Warum ist Deutschland auf einmal so gut?
Zum einen haben wir einen tollen Jahrgang. Gordon Herbert hat um Franz Wagner und Dennis Schröder auch gegen Widerstände ein Team aufgebaut, das nicht immer nur aus den Besten besteht, sondern aus denen, die gut zusammen passen.
Auch die Frauen-Nationalmannschaft und die 3x3-Basketballerinnen haben überragende Erfolge erzielt.
Vor zwei Jahren hätte noch keiner gedacht, dass die Damen so gut spielen und um die zwei Sabally-Schwestern noch drei bis vier Frauen extrem gut performen. Und dass die 3x3-Damen Olympia aus dem Nichts gewinnen, ist unfassbar. Das kann man so auch gar nicht planen. 3x3 wurde immer etwas stiefmütterlich behandelt, da gibt es keine großen Ligen, das wird meistens über Turniere veranstaltet.
Haben Sie eine Erklärung für den Höhenflug?
Die Basisarbeit fängt im Verband an. Man hat sich irgendwann geeinigt, an den Standorten, an denen es einen Bundesliga-Klub gibt, die Förderung über den DBB zu erhöhen. Das hat sich extrem bewährt. Außerdem gibt es eine Jugend- und eine Nachwuchs-Bundesliga. Die Damen-Mannschaft von Alba spielt nicht mehr vor 20, sondern vor 2000 Fans. Das boomt an allen Ecken und Enden. Wir wissen aktuell gar nicht, wohin mit den ganzen Leuten, die bei uns Basketball spielen wollen.
Lässt sich das an Zahlen festmachen?
Wir haben im nächsten Jahr 40 Mannschaften mehr im Spielbetrieb und insgesamt 7000 Spiele. Nur in Berlin. In der U8 und der U12 haben wir 40 Prozent mehr Kinder als vor fünf Jahren. Das fing an mit dem dritten Platz bei der EM, danach sind wir schon umgelaufen worden. Wir sind alle enger zusammengerückt, weil wir einfach nicht mehr Hallen haben – und um die konkurrieren auch die anderen Sportarten. Statt 15 müssen dann eher 20 bis 25 Kinder am Training teilnehmen.
Mit Blick auf die aktuellen Erfolge wird es sicherlich noch mehr Zuwachs geben. Wie lässt sich das auffangen?
Das wird nicht möglich sein. Die Realität sieht seit zwei Jahren so aus, dass sich Kinder nicht mehr in Vereinen anmelden können. Wir kriegen Beschwerden von Müttern, die sagen, wir haben es jetzt dreimal versucht, unser Kind kann nicht 20 Kilometer irgendwo hinfahren. Wir haben überall Wartelisten, in allen Bereichen. Das hat natürlich auch seine negativen Seiten. Es ist schwer, unserer sozialen Verantwortung nachzukommen, weil wir nicht alles so befriedigen können, wie wir eigentlich wollen.
Liegt das nur an dem sportlichen Erfolg?
Ja, das muss man einfach so anerkennen. Das hat etwas damit zu tun, dass die Kinder Vorbilder haben. Und das hat sich potenziert, seitdem sie so erfolgreich sind. Erfolg macht sexy. Aber es ist auch ein toller Sport: Es gibt nicht so viele Verletzungen und es ist ein bisschen weniger aggressiv als beim Handball.
Die deutschen Fußballer sind wieder populär, weil sie sympathisch und nahbar wirken, obwohl sie bei der EM "nur" ins Viertelfinale gekommen sind. Ist das womöglich sogar wichtiger als der Erfolg?
Natürlich gehört das dazu. Die Wagners sind so kompatibel, an denen ist nichts Show. Franz gönnt man auch die 200 Millionen (Fünfjahresvertrag bei den Orlando Magic, d. Red.) und das liegt daran, dass er ein sympathischer Typ ist. Ich weiß noch, dass Julian Nagelsmann meinte, sie orientieren sich an den Basketballern: Sie nehmen nicht nur die Besten, sondern versuchen, eine Einheit zu formen.
In der medialen Berichterstattung war zwischen der WM im vergangenen Jahr und Olympia nicht viel vom Basketball zu hören. Wie nachhaltig ist der Hype jetzt?
Der Basketball ist mittlerweile sehr breit gestreut: Es gibt eine Fangemeinde für die Damen, für 3x3. Dass die Leute empört sind, wenn im Halbfinale zu den Nachrichten umgeschaltet wird, zeigt es ja schon. Ich glaube, dass es jetzt nicht wegzudenken ist. Klar, am Ende leiden wir alle unter Fußball. Aber dadurch, dass die Spiele bei Olympia so extrem von den Zuschauern angenommen wurden, ist schon etwas passiert.
Vor allem der junge Sport 3x3 hat einen rasanten Aufstieg hingelegt. Wie konnte sich das so schnell entwickeln?
Es gab im Sommer schon immer Drei gegen Drei oder Fünf gegen Fünf draußen. Daraus hat sich 3x3 entwickelt. Das ist stylischer. So wie Leute sagen, Golf mit 18 Löchern ist zu lang, jetzt probieren wir es mal mit neun, war es beim Basketball auch. Beim Endspiel lief die ganze Zeit Paul Kalkbrenner. Das wäre ja bei anderen Sportarten kaum vorstellbar. Der Sport ist cool geworden.
In den USA haben die College-Basketballspiele der Frauen teilweise bessere TV-Quoten als die der NBA. Wieso ist Deutschland noch nicht so weit?
Die Basketball-Bundesliga der Frauen ist um Quantensprünge schlechter organisiert als die der Herren. Die Damen-Bundesliga fängt jetzt gerade an, sich neu aufzustellen, sich neu zu organisieren und dem Wachstum Rechnung zu tragen. Ein Beispiel: Die Damen-Mannschaft von Alba hat sich 2019 professionalisiert und ist jetzt Meister geworden. Das ist im Sport eigentlich nicht möglich, daran sieht man, dass das Konstrukt noch fragil ist.
Inwiefern ist das schlecht organisiert? Es gibt ja offenbar ein Bedürfnis danach.
Es gibt mittlerweile mehrere Vereine, die anfangen, Frauenteams aufzubauen. Aber das hat mit der Entwicklung im Herren-Basketball leider noch gar nichts zu tun. Haben Sie schon mal irgendwo ein Ergebnis der Damen-Basketball-Bundesliga gesehen? Es gibt auch keinen Fernsehvertrag. Die sind noch komplett am Anfang. Das wurde über Jahre verschlafen. Aber wenn man jetzt anpackt, wird die Verteilung irgendwann ausgeglichen sein. Es gibt extrem viele Mädchen, die Basketball spielen wollen.
Wie sieht das im Verhältnis zu den Jungs aus?
Der Boom bei den Mädchen ist viel größer. Wir haben 40 Prozent mehr Anmeldungen bei den Mädchen und 13 bis 15 bei den Jungs. Seitdem Alba hier in der Stadt ist, ist es unglaublich, wie viele Mädchen Basketball spielen wollen. Und die Damen-WM ist 2026 in Berlin. Da sind jetzt schon alle euphorischer als bei der Herren-EM 2022.