Deutschland und die Formel 1, diese Verbindung hat ein wenig gelitten in den vergangenen Jahren. Aber an diesem Sonntag schließt sich in der Wüste von Bahrain ein ziemlich großer Kreis. "30 Jahre ist es her", hatte Mick Schumacher vor seinem großen Debüt gesagt, "dass mein Vater sein erstes Rennen gefahren ist. Und jetzt starte ich meins. Das fühlt sich unglaublich an."
Die Augen der ganzen Motorsport-Welt sind auf das Haas-Auto des 22-Jährigen gerichtet. Der Name Schumacher steht im deutschen Motorsport schließlich für Erfolg und Weltmeistertitel. Allerdings startete der Schumacher-Sohn von weit hinten in sein erstes Rennen. Am Ende landete er auf dem 16. Platz. Letzter. Jedoch erlaubte er sich neben einem Dreher keine Fehler. So gesehen ein guter Start in der berühmten Formel 1.
Im Gespräch mit watson erklärt Motorsportexperte Andreas Richter, was von Mick Schumacher sportlich grundsätzlich zu erwarten ist, welche Wirkungen er auf den Motorsport in Deutschland haben und welche besondere Rolle Sebastian Vettel bei der Entwicklung der deutschen Nachwuchshoffnung spielen kann.
Andreas Richter arbeitete 42 Jahre intensiv in verschiedenen Bereichen in und mit der Formel 1. 1997 und 1998 war er zudem Mediensprecher und Marketingberater für den damaligen Formel 1 Vize-Weltmeister Heinz-Harald Frentzen.
watson: Herr Richter, nach elf Jahren sieht man als Kürzel in der Formel 1 wieder ein "MSC". Ausgerechnet 30 Jahre nach seinem Vater wird Mick Schumacher am Sonntagabend in Bahrain sein Formel-1-Debütrennen fahren. Kann ein gerade mal 22-Jähriger so viel Druck überhaupt aushalten?
Andreas Richter: Es ist schon Wahnsinn. Der junge Mann steht unter ungeheurem Druck. Schon seit seinem Einstieg in den Motorsport war sein Vater Michael "der Rekordweltmeister". Ich glaube, kein Außenstehender kann sich vorstellen, was das für einen Druck bedeutet.
Den merkt man ihm bisher aber nicht an.
Er hat mit Sabine Kehm eine ausgezeichnete Managerin. Sie hat ihn hervorragend in die Formel 1 gebracht. Daher glaube ich, dass er trotz seiner jungen Jahre und des enormen Drucks sehr gut in die Formel 1 einsteigt.
Mick ist gerade erst 22 Jahre alt geworden. Sorgt er dadurch auch für einen gewissen frischen Wind in der Wahrnehmung der Formel 1?
Auf alle Fälle. Menschen fühlen sich eher von Sportlern angesprochen, die ihrer eigenen Generation entstammen. Zudem hat die Formel 1 seit dem Abtreten vom langjährigen Geschäftsführer Bernie Ecclestone sehr große Schritte in den sozialen Netzwerken gemacht und versucht, den Kontakt zu den jungen Menschen zu halten.
Sponsoring-Experte Sebastian Kurczynski sagte gegenüber der Deutschen Presse-Agentur, dass die jüngere Generation von ihren Idolen erwarte, dass diese sich "meinungsstark für Themen wie soziale Gerechtigkeit" einsetzen würden. Kann das in Kombination mit dem Sport vielleicht ein bisschen viel für Mick werden?
Das könnte ein bisschen viel und ein bisschen schwierig werden, weil Mick Schumacher in der Formel 1 fährt. Dort ist seit vielen Jahren ein hoher Grad an politischer Neutralität vorhanden. Daher wird er sich schwertun, die Erwartungen der jungen Generation zu erfüllen, weil er nicht alles sagen kann, was er gern würde und was angemessen wäre.
Was können wir denn sportlich überhaupt von Mick Schumacher erwarten?
Dass er bei Haas fährt, hat einen großen Nachteil. Bei den Zuschauern wird er nicht viele Punkte durch hervorragende Ergebnisse auf den vorderen Plätzen sammeln. Dafür reicht die Qualität des Haas-Wagens nicht.
Gibt es auch Vorteile?
Natürlich. Er steht nicht so stark im Blickpunkt, da er nicht vorne um Siege mitfahren wird. Das nimmt ihn ein bisschen aus der medialen Schusslinie und lässt ihn ruhiger und besser arbeiten. Er wird das Maximale aus dem Haas-Wagen herausholen.
Zumal das Publikum in Deutschland auch kleiner wird. Es wird kein Rennen in Deutschland geben und RTL hat sich lediglich die Übertragungsrechte für vier Rennen gesichert, alle anderen laufen im Pay-TV auf Sky.
Das ist von der Wahrnehmung ein kleiner Nachteil für ihn. Denn die Anzahl an theoretischen Zuschauern ist nun einfach nicht mehr so hoch. Wie groß dieser Effekt für die nächsten Jahre sein könnte, kann ich noch nicht einschätzen.
Apropos Nachteil … Haas-Chef Günther Steiner sagte im Interview mit der "Süddeutschen Zeitung", dass Mick und sein Teamkollege Nikita Masepin "nicht die besten Freunde sind". Macht das seine Debütsaison schwerer?
Es ist eine Typ-Sache, ob jemand sensibler ist oder nicht. Ob jemand sein Potenzial besser entfalten kann, wenn er eine Nestwärme spürt oder eine gewisse Härte braucht. Grundsätzlich gilt und da ist es egal, wie das Verhältnis zwischen den Fahrern ist: Der wichtigste und größte Konkurrent ist immer der eigene Teamkollege.
Könnte der interne Konkurrenzkampf auch für eine gewisse Ablenkung bei Mick sorgen?
Das glaube ich nicht. Zwar genießen Formel 3 und Formel 2 nicht die mediale Aufmerksamkeit, aber auch da ist er bei harten Konkurrenzkämpfen durch die gestiegene Aufmerksamkeit geführt worden und auch Sticheleien seiner Konkurrenten haben ihn nicht beeinflusst. Da sehe ich keine Probleme in seinem ersten Jahr.
Inwieweit hilft auch Sebastian Vettel als Mentor, der bereits seine Hilfe angekündigt hat?
Dass es eine Hilfe für Mick ist, steht für mich außer Frage. Aber es ist ein zweischneidiges Schwert. Natürlich glaube ich Sebastian Vettel, wenn er sagt, dass er Mick hilft, wo er nur kann. Auf der anderen Seite ist er aber auch ein Konkurrent. Beide wollen möglichst gut abschneiden.
Den Druck eines Debüts bei einem neuen Team hat auch Vettel in seinem ersten Rennen für Aston Martin. Wird man nach der erfolglosen Zeit bei Ferrari einen anderen Vettel in dieser Saison sehen?
Ich glaube schon. Bei Ferrari war sehr viel Spannung und Konkurrenzkampf auch nach außen zu spüren. Bei Aston Martin ist er gewollt und er soll das Team nach vorn bringen. Ich glaube, dass er aufblühen wird. Auch wenn noch ein großes Fragezeichen hinter den technischen Potenzialen steht, denn die Testfahrten in Bahrain vor zwei Wochen liefen sehr holprig.
Auch beim amtierenden Weltmeister Lewis Hamilton und Mercedes wurden die Testfahrten von vielen technischen Problemen überschattet. Ist er trotzdem der absolute Favorit auf den Titel?
Diese Panne war wirklich überraschend, aber für mich bleibt er der große Favorit. Er ist einer der besten Fahrer aller Zeiten und er ist trotz seines siebten Titels hoch motiviert. Außerdem: Es war vor zwei Jahren auch schon mal so, dass Mercedes enorme Probleme bei den Tests hatte und anschließend haben sie die Gegner in Grund und Boden gefahren.
In der Saison gibt es bereits eine Budgetobergrenze von 120 Millionen Euro für die Teams. Weitere tiefgreifende technische Veränderungen kommen dann zur Saison 2022. Könnten viele Teams daher die aktuelle Saison herschenken?
Sie werden nicht das Potenzial ausschöpfen, was sie hätten – mit der Ausnahme von Mercedes und Ferrari. Die vorentscheidenden technischen Weichenstellungen erfolgen alle in diesem Jahr, deswegen werden wir bei den Teams nicht die volle Entwicklung sehen.