Wenn Tobias Haupt spricht, dann stets ruhig, aber bestimmt und mit viel Bedacht. Der 37-Jährige ist auch kein Mann der lauten Worte, der ständig die Öffentlichkeit sucht. Vielmehr wird man über Tobias Haupt erst sprechen, wenn seine Mission glückt oder eventuell scheitert. Denn er hat die wohl schwerste Aufgabe vor sich, die man sich im deutschen Fußball aktuell vorstellen kann.
Als Leiter der 2018 gegründeten DFB-Akademie soll er den deutschen Fußball zurück in die Weltspitze führen. Daran arbeitet er seit drei Jahren Seite an Seite mit Oliver Bierhoff, um verschlafene Entwicklungen beim Verband aufzuholen. Und davon gibt es einige.
Im Interview mit watson spricht Haupt über die zu bewältigenden Probleme, darüber, wie andere Top-Nationen wie Frankreich und England überholt werden sollen – und über seine Erwartungen an die Heim-EM 2024.
watson: Herr Haupt, in der Fifa-Weltrangliste steht die deutsche Nationalmannschaft nur noch auf Platz 12, hinter Nationen wie den USA oder Dänemark. Hat sich der deutsche Fußball zu sehr auf dem Gewinn der Weltmeisterschaft 2014 ausgeruht?
Tobias Haupt: Im Erfolg lauert die größte Gefahr, nicht nur im Fußball, sondern auch in der klassischen Wirtschaft, weil man sich schwertut, Dinge zu verändern. Aber nur durch ständige Veränderung entwickelt man sich weiter. Dazu kommt, dass die Länder und Nationen um uns herum nicht schlafen und sich auch weiterentwickeln.
Hat sich der deutsche Fußball nicht weiterentwickelt?
Die Ausgangslage und Voraussetzungen sind eigentlich sehr gut, aber einige Länder liegen in bestimmten Bereichen noch vor uns. Da wollen wir den berühmten Schritt nach vorne gehen und nachziehen, um jetzt zurück an die Weltspitze zu kommen.
Welche Bereiche meinen Sie konkret?
Besonders in den Bereichen der talentorientierten Förder- und Ligenstrukturen, der individuellen Förderung von Top-Talenten im Übergangsbereich sowie beim Thema Datenanalyse und neue Technologien sehe ich andere Nationen vor uns.
Wie soll dieser Schritt nach vorne konkret aussehen?
Andere Länder sind uns ein kleines Stück voraus, wenn es um die individuelle und vor allem langfristige Förderung von Talenten geht. Wir müssen daher das Talent ins Zentrum aller unserer Projekte stellen und um es herum Strukturen entwickeln, die es zu einer bestmöglichen, individuellen Entwicklung befähigen.
Können Sie uns ein konkretes Beispiel geben?
Wenn ein Analyst statt vier Stunden nur noch zehn Minuten braucht, um ein Spiel zu analysieren und dem Trainer sofort Verbesserungsvorschläge an die Hand geben kann, dann ist das ein echter Wettbewerbsvorteil. In solchen Nischen haben einige Nationen Wege gefunden, uns auf der linken und rechten Seite zu überholen.
Zu dieser Weiterentwicklung gehört auch die DFB-Akademie in Frankfurt/Main, die Sie im neuen Jahr beziehen werden. Sie erinnert an den bekannten Trainingskomplex des französischen Verbands in Clairefontaine. Dort werden Spieler ausgebildet, es zählt als Zentrum des Erfolgs des französischen Fußballs. Wird die Akademie also das Clairefontaine von Deutschland?
Ich denke, dass wir inhaltlich und konzeptionell viel weiter sind als Clairefontaine. Wir haben den Ansatz, dass wir auf der Plattform der Akademie den Frauen- und Männerfußball bündeln und alle Experten zusammenbringen. Wir sind ein riesiges Kompetenzzentrum des deutschen Fußballs – auch jetzt schon. Wir sind der inhaltliche Maschinenraum für unsere Nationalmannschaften und gleichzeitig Umsetzungsmotor für die Zukunft des deutschen Fußballs. Das gibt es im internationalen Wettbewerb so noch nicht.
Welche Rolle spielt für die Zukunft die Zusammenarbeit mit den Vereinen?
Eins ist klar: Wir können die Dinge nur gemeinsam verändern. Da sind wir als DFB gefordert, indem wir beispielsweise die Trainer und die Leistungszentrums-Leiter bestmöglich ausbilden und weiterentwickeln. Wir verstehen uns hier auch als Impulsgeber. Unsere Konzepte und neuen Inhalte in der Talententwicklung oder im Weiterbildungsbereich, erarbeiten wir immer gemeinsam mit der DFL, den Klubs und den Leistungszentren.
Die Konzepte müssen dann aber von den Vereinen umgesetzt werden.
Das ist richtig. Und die Wahrscheinlichkeit, dass sie umgesetzt werden, ist umso höher, je intensiver man die Konzepte bereits im Vorfeld gemeinsam erarbeitet hat – insbesondere auch in der Ausbildung und im Nachwuchs. Durch die Corona-Pandemie haben einige junge Spieler ihre Chancen bekommen, weil sich die Vereine in einer finanziell unsicheren Lage befinden und dadurch weniger auf dem internationalen Transfermarkt aktiv sind. Wir schaffen es nur gemeinsam zurück an die Weltspitze.
Wie können Sie den Vereinen klarmachen, auf junge, deutsche Spieler zu setzen?
Durch Kommunikation. Die meisten Vereine würden natürlich gerne junge deutsche Spieler einsetzen. Unser gemeinsames Ziel ist es daher, unseren Talentpool zukünftig wieder effektiver auszuschöpfen als bislang. Wenn wir die Qualität unserer deutschen Talente nachhaltig erhöhen, werden sie auch wieder mehr Einsatzzeiten erhalten. Auf der anderen Seite sind aber natürlich auch die Vereine gefordert, unseren jungen Talenten auch entsprechende Spielpraxis zu ermöglichen.
Man bekommt bei der Nationalmannschaft mit Bundestrainer Hansi Flick – aber auch im Gespräch mit Ihnen – das Gefühl, dass es dem DFB enorm wichtig ist, im Austausch mit den Vereinen zu sein. Ist es das, was in den letzten Jahren ein bisschen gefehlt hat?
Als ich als Akademie-Leiter begonnen habe, war mir klar, dass wir einen Kulturwandel im deutschen Fußball brauchen und notwendige Veränderungen nur gemeinsam und in einem großen Schulterschluss umgesetzt werden können. Die Spieler und Spielerinnern verbringen nur ungefähr 15 Prozent der Zeit bei den Nationalmannschaften. Die restlichen 85 Prozent sind sie in den Vereinen und Leistungszentren.
Der DFB hat also selbst nur eine geringe Zeit mit den Spielern und Spielerinnen.
Richtig. Wenn wir nur intern Dinge entwickeln und versuchen, diese dann den Vereinen aufzuzwingen, wird das nicht funktionieren. Deshalb setzen wir uns permanent mit allen Schlüsselpositionen im Fußball, wie zum Beispiel den Trainern aus den Leistungszentren, Sportdirektoren und Bundesligatrainern, zusammen und arbeiten an gemeinsamen Lösungen.
Um ein Meinungsbild zu bekommen?
Es ist für mich entscheidend zu wissen, was die Vereine von der DFB-Akademie erwarten, welche Herausforderungen sie haben und wie wir sie dabei konkret unterstützen können. Diese Kultur der Offenheit und Gemeinsamkeit lebt auch Hansi Flick mit seinem Team perfekt vor.
Wie kommt es in der Liga an?
Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Wir waren im November im Rahmen unserer Leadership Days drei Tage in Kitzbühel mit 23 Sportdirektoren und Sportvorständen aus der 1. und 2. Bundesliga, dem Bundestrainer und der DFL. Daran sieht man, dass untereinander eine große Vertrauensbasis und Offenheit für gemeinsame Lösungen besteht. In der Öffentlichkeit könnte man den Eindruck bekommen, dass alle Konkurrenten sind. Das sind sie auch, aber nicht nur. Letztendlich haben alle das gleiche Ziel: Die entscheidenden Weichen für die Zukunft des deutschen Fußballs im Hier und Jetzt zu stellen.
Mit dem großen Ziel, die EM 2024 im eigenen Land zu gewinnen?
Unser Ziel ist es, den Titel zu holen, aber mindestens ins Halbfinale zu kommen. Die Mannschaft befindet sich in einer Entwicklung, die 2024 ihren Höhepunkt erreichen kann. Wir wollen zurück an die Weltspitze. Daran arbeiten wir alle gemeinsam und es wäre ein absolutes Highlight, bei der Heim-EM das Sommermärchen 2.0 zu starten.