Sebastian Vollmer spielte von 2009 bis 2016 an der Seite von Tom Brady bei den New England Patriots. Bild: imago sportfotodienst / imago sportfotodienst
Interview
13.02.2022, 10:1113.02.2022, 13:00
Sebastian Vollmer und Tom Brady: das war lange Zeit ein erfolgversprechendes Duo. Der Deutsche spielte als Offensive Tackle und beschützte den Superstar-Quarterback vor heranstürmenden gegnerischen Verteidigern.
Von 2009 bis 2016 prägten sie eine der erfolgreichsten Zeiten bei den New England Patriots. Dreimal zogen sie in den Super Bowl ein, 2014 und 2016 gewannen sie gemeinsam das Endspiel um die NFL-Trophäe.
"Ich glaube, was viele Teams versäumen, ist, dass man die Halbzeit trainieren muss."
Ex-NFL-Spieler und zweifacher Super-Bowl-Sieger Sebastian Vollmer
Während der heute 37-Jährige seine Karriere nach zahlreichen Verletzungen 2016 beendete, spielte sein "lebenslanger Freund" Brady noch bis vor wenigen Wochen und gewann insgesamt sieben Super Bowls.
Im Gespräch mit watson verrät Sebastian Vollmer, mit welchen Tricks man sich optimal auf den Super Bowl vorbereitet, ob Cincinnatis Joe Burrow tatsächlich in die Fußstapfen von Tom Brady treten kann und wie viel Druck man als Spieler im Endspiel um die NFL-Trophäe tatsächlich verspürt.
watson: Herr Vollmer, Ihr ehemaliger Teamkollege Tom Brady trat nach 22 Jahren in der NFL mit dem Argument zurück, mehr Zeit mit seiner Familie verbringen zu wollen. Sie beendeten Ihre Karriere nach sieben Jahren in der Liga bereits 2016. Wie schwer ist es, in den sportlichen Ruhestand zu gehen?
Sebastian Vollmer: Bei mir war es ähnlich und ich kann seine Argumentation verstehen. Meine Frau hatte mir gesagt, dass sie mit unserer ersten Tochter schwanger sei und dann war es für mich mental vorbei.
Wie meinen Sie das?
Ich hatte zwölf Operationen hinter mir und wusste, dass es körperlich irgendwann nicht mehr geht. Und dann war ich einfach nicht mehr mit vollem Herzen und zu einhundert Prozent dabei. Du spielst nicht mehr um jeden Preis, bis vielleicht etwas reißt oder bricht. Und dann kannst du auch nicht mehr die Leistung erbringen, die erforderlich ist, um Profi-Sportler zu sein.
Man hat andere Prioritäten im Leben.
Genau. Da ist dann noch jemand in deinem Leben, der einen Vater verdient, der sie aus dem Kindergarten abholt und mit ihr spielen oder herumtollen kann.
Die Priorität von Joe Burrow, Quarterback der Cincinnati Bengals, wird am Sonntag eher darauf liegen, seinen ersten Super Bowl zu gewinnen. Hat er das Zeug, auf lange Sicht in Bradys Fußstapfen zu treten?
Jemanden mit Tom Brady zu vergleichen, ist riskant. Ich bin der Meinung, es ist nicht fair, Sportler miteinander zu vergleichen. Du hast in der NFL enorm viele junge Stars, die starke Leistungen zeigen. Am Ende wirst du an deinen Meisterschaften gemessen. Aber wenn Cincinnati das Spiel gewinnt, haben sie einen jungen Quarterback, der siegen kann und ein junges Team. In Zukunft kommt es darauf an, wie sie die Mannschaft zusammenhalten können.
In seiner ersten NFL-Saison riss sich Burrow nach zehn Spielen das Kreuzband. Jetzt führt er das jahrelang schlechteste Team der Liga in den Super Bowl. Sind Sie überrascht von seiner Leistung?
Seine Leistung ist wirklich beeindruckend. Er war am College bereits gut, aber jetzt schon so abgebrüht zu sein, ist herausragend. Joe Burrow ist noch jung und kann noch viel lernen. Quarterbacks werden mit den Jahren immer besser, je mehr Situationen sie durchlebt haben. Und er steht bereits jetzt im größten Einzel-Sportereignis der Welt. Wenn er den Super Bowl gewinnt, wäre das eine richtig coole Story.
Seine Ruhe in Drucksituationen brachte ihm bereits den Spitznamen "Joe Cool" ein. Tom Brady blieb in eigentlich aussichtslosen Situationen auch immer ruhig und spielte sein Spiel. Kann man das auf spezielle Weise trainieren?
In der NFL wird jede mögliche Situation trainiert, aber es ist einfach nicht dasselbe wie im Spiel. Da spielt die Erfahrung eine größere Rolle. Ich bin aber auch der Überzeugung, dass du nur nervös wirst und deine sportliche Leistung nicht bringen kannst, wenn du nicht ausreichend trainiert hast.
Joe Burrow ist in seinem zweiten Jahr in der NFL bereits einer der besten Quarterbacks. Bild: www.imago-images.de / Scott Winters/Icon Sportswire
Können Sie das genauer erklären?
Wenn du alles Mögliche in Bewegung gesetzt hast, um dich auf diesen Moment vorzubereiten, kannst du dir nichts vorwerfen. Einer muss verlieren, einer muss gewinnen. Wenn du verlierst, heißt es aber nicht, dass du nicht alles gegeben hast. Du solltest dann auch nachts gut schlafen können.
Und wie trainiert man richtig vor dem Super Bowl?
Ich glaube, was viele Teams versäumen, ist, dass man die Halbzeit trainieren muss. Auch, wenn sich das als Außenstehender erstmal total bescheuert anhört.
Weil die Halbzeitpause durch die Show mit fast 30 Minuten doppelt so lang ist wie sonst?
Richtig. Die generelle Halbzeit ist zwölf Minuten lang. Da setzt du dich hin, sprichst kurz mit deinen Coaches, trinkst etwas und gehst wieder auf den Platz und machst dich warm. Du kühlst nicht ab und bleibst im Flow. Je nachdem, ob die Offensive oder Defensive als erste auf dem Feld ist, kann es im Super Bowl sein, dass du 45 Minuten oder eine Stunde lang nicht auf dem Feld stehst.
Heute lebt Sebatian Vollmer mit seiner Familie in Florida. Bild: dpa / Jörg Carstensen
"Dir fällt manchmal gar nicht auf, dass du im Super Bowl bist."
Was ist dabei das größte Problem?
Den Körper mental und physisch wieder hochzufahren. Es ist einfach total ungewohnt. Wenn man nicht schon einmal im Super Bowl war, kann das wirklich schwierig sein. Deshalb ist es wichtig, das auch zu trainieren.
Wie setzt man das im Trainingsalltag um?
Bei den New England Patriots kam damals nach eineinhalb Stunden ein Pfiff und dann mussten wir uns für eine Stunde hinsetzen und nichts machen, außer was trinken und uns irgendwie warmhalten. Das war glaube ich auch ein Vorteil, dass wir den Super Bowl 2016 gegen Atlanta gewonnen haben, obwohl wir zur Halbzeit 3:28 zurücklagen.
Sebastian Vollmer mit der Super-Bowl-TrophäeBild: EPA / Tannen Maury
Cincinnati lag im Halbfinale gegen Kansas 10:21 zurück und zog trotz des Rückstands in den Super Bowl ein. Sie sind ein Team, das in der zweiten Halbzeit besonders stark wird. Also leichter Vorteil für die Bengals?
Ich weiß nicht, ob es ein Vorteil ist. Aber wenn du ein Team bist, das in der zweiten Phase heiß wird, würde ich mir als Los Angeles Rams Sorgen machen. Zumal LA in der Saison das Team war, das in der zweiten Halbzeit öfter eingebrochen ist.
Bei den Rams kommt hinzu, dass sich zahlreiche Stars zusammengeschlossen haben, um den Titel zu gewinnen. Stehen sie dadurch zusätzlich unter Druck?
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass der Druck vor allem im Vorfeld aufgebaut wird, weil die ganze Welt darüber spricht. Sobald du auf dem Platz stehst, ist aber alles egal. Du machst das, was du seit dem Kindesalter machst und liebst. Da fällt dir manchmal gar nicht auf, dass du im Super Bowl bist.
"Es ist der Super Bowl, da ist von wenigen bis enorm vielen Punkten alles möglich."
Das Spiel wird ausgerechnet im Stadion der Rams ausgetragen. Kann Los Angeles davon profitieren?
Es herrscht im Super Bowl immer eine interessante Atmosphäre. Viele Leute haben schon im Vorfeld ein Ticket gekauft, ohne zu wissen, wer dabei ist. Außerdem sind viele Businesskunden und generelle Footballfans dabei, aber die Rams-Anhänger werden gut vertreten sein. Andererseits ist Cincinnati das erste Mal seit 31 Jahren in den Playoffs. Die Fans werden sicherlich auch in Massen anreisen.
Was erwarten Sie für ein Spiel?
Ich habe schon die ganzen Playoffs falsch getippt, daher kann ich das gar nicht sagen (lacht). Es ist der Super Bowl, da ist von wenigen bis enorm vielen Punkten alles möglich.