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Hertha BSC und die Investoren: Warum Präsident Bernstein das größte Problem ist

Präsident Kay Bernstein, Trainer Pal Dardai, dahinter Teil vom Transparent für Hertha BSC / / Fußball Fussball / DFL Bundesliga Herren / 29.Spieltag Saison 2022/2023 / 22.04.2023 / Hertha BSC Berlin v ...
Hertha-Präsident Kay Bernstein (l.) und Trainer Pal Dardai müssen den Abstieg von Hertha BSC verhindern. Bild: imago images / Contrast
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Hertha BSC und die Investoren: Warum Präsident Bernstein das größte Problem ist

Hertha BSC taumelt dem Abstieg entgegen, doch selbst eine Lizenz für die 2. Liga scheint alles andere als sicher. Wirtschaftsexperte Hennig Zülch ist zwiegespalten, was die Zukunft angeht.
13.05.2023, 08:4915.05.2023, 09:27
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watson: Herr Zülch, wäre ein Abstieg das Beste, was Hertha BSC in der aktuellen finanziellen Situation passieren könnte?

Henning Zülch: Das ist nicht so pauschal zu beantworten. Was aber gilt ist, dass Hertha bei einem Abstieg die Personalkosten stark reduzieren müsste. Dies ist eine Chance, sich neu aufzustellen, die Ziele realistisch zu setzen, sich von altem Ballast zu trennen und in die eigene Stärke zu investieren: den Nachwuchs.

Trotz der 375 Millionen Euro, die Lars Windhorst von 2019 bis 2022 investierte, könnte Hertha keine Lizenz für die 1. oder 2. Bundesliga bekommen. Ein Insider sprach in der "SZ" davon, dass es der schlimmste Fall sei, den die DFL jemals hatte. Wie konnte es dazu kommen?

Es ist ein offenes Geheimnis, dass weder Windhorst noch Hertha BSC wussten, worauf sie sich einlassen. Ein Konzept zur Kooperation sucht man vergeblich. Wie viel Geld setzt man ein und welche Ziele will man erreichen? Diese strategische Ausrichtung war nicht erkennbar. Aktuell existiert eine Art Vakuum.

Wirtschaftsexperte Henning Zülch ist Lehrstuhlinhaber Accounting und Auditing an der HHL Leipzig Graduate School of Management
Wirtschaftsexperte Henning Zülch ist Lehrstuhlinhaber Accounting und Auditing an der HHL Leipzig Graduate School of Managementbild: michael Bader

Ist es ein Vorteil, dass Herthas neuer Investor "777" tiefer im Fußball verankert ist?

Da gehören auch wieder zwei Parteien dazu. Die Präsidentenwahl zeigt uns, dass Hertha aus dem Kontakt mit Windhorst wenig mitgenommen hat. Denn man muss in Professionalität investieren und wegkommen vom Vereinsdenken, wenn man hohe sportliche Ziele erreichen will oder sich in der höchsten deutschen Spielklasse etablieren will. Wir sind nicht mehr im Amateurfußball. Und ja: Die Erfahrung von "777" könnte langfristig für Hertha nur Vorteile bieten, wenn man dies will.

"777" besitzt Anteile an sechs Profi-Klubs und hat weitreichende Erfahrungen im Profi-Fußball.

Dieser Investor ist nicht karitativ unterwegs, selbstverständlich ist er am Erfolg des Klubs interessiert. Berlin ist als Standort maximal attraktiv. Eine Hauptstadt hat politische und gesellschaftliche Vorzüge. Zudem bietet diese Stadt im Fußball noch so viel Potenzial, dass man sagt: "Wenn wir das mit euch machen, können wir den Klub zu dem machen, was er eigentlich sein soll. Ein Aushängeschild in Europa." Das kann für beide Parteien, wenn es gutgemacht ist und die richtigen Leute zur richtigen Zeit am richtigen Platz sind, eine Win-win-Situation sein.

08.04.2023, xtgx, Fussball 1. Bundesliga, Hertha BSC Berlin - RB Leipzig emspor, v.l. Spruchband 777 nur im Casino, Gegen Investoren im Verein DFL/DFB REGULATIONS PROHIBIT ANY USE OF PHOTOGRAPHS as IM ...
"777 nur im Casino! Gegen Investoren im Verein": die Hertha-Fans machen deutlich, was sie vom neuen Geldgeber halten. Bild: imago images / Jan Huebner

Also blickt Hertha trotz der Lizenzprobleme in eine rosige Zukunft?

Nein. Hertha befindet sich zum einen in einer äußerst angespannten finanziellen Lage. Jede noch so kleine Fehlentscheidung kann verheerende Auswirkungen haben. Zum anderen wird Hertha nicht mit den jetzigen Protagonisten und Strukturen positiv gestaltbar sein. Was ich mir erhoffe, ist, dass der Investor auf neue, professionelle Organisationsstrukturen drängt. Das muss Hertha etablieren, um erfolgreich zu sein. Zugleich ist ein intensiver Dialog mit der Fanbasis zu führen, um klarzumachen, dass der neue Partner "777" im Sinne des Kluberfolges langfristig arbeiten will.

Diese professionellen Strukturen gibt es unter Präsident Kay Bernstein aktuell nicht?

Sie haben auf der einen Seite einen Präsidenten, der klar kolportiert, dass er das zweite St. Pauli in der ersten Liga haben will – welches übrigens selbst höchst kommerziell unterwegs ist. Auf der anderen Seite muss er die Überschuldung, die finanziellen Nöte im Blick haben. Das Auftreten und die Statements lassen nicht erahnen, dass der Weg einer Professionalisierung gegangen werden soll. Man will Geld, ohne sich dafür zu verändern. Das wird nicht funktionieren. Die Investoren werden kein Geld reinschütten und am Ende sagen: "Es war schön mit euch, dass wir alles verbrannt haben." Wichtig zu verstehen ist, dass Investoren nicht schadhaft für die Liga sind, wenn alle Beteiligten ein Konzept entwickeln, um durch diese "Wertsteigerung" sportlichen Erfolg zu erzielen.

Ist Bernstein der falsche Präsident?

Lassen Sie es mich so ausdrücken: Jeder Klub bekommt den Präsidenten, den er verdient hat. Schaut man sich die Entwicklung der Hertha in den letzten Jahren an, so war diese Wahl doch nur konsequent. Positiv ist: Er stärkt die Basis und schafft Identifikation. Die offene Frage ist indes: Hat er den Realitätssinn für die wirtschaftlichen und sportlichen Notwendigkeiten sowie den Bedarf nach weiterer Professionalisierung. Letztere Frage kann der geneigte Leser sich selbst beantworten.

22.04.2023, Berlin: Fußball: Bundesliga, Hertha BSC - Werder Bremen, 29. Spieltag, Olympiastadion, Herthas Cheftrainer Pal Dardai (l) und Herthas Präsident Kay Bernstein unterhalten sich vor dem Spiel ...
Trainer Pal Dardai und Präsident Kay BernsteinBild: dpa / Soeren Stache

Also braucht es einen Spagat zwischen Basisnähe und finanzieller Weitsicht.

Wir sind im Entertainment-Business, und das muss man einfach so annehmen. Der Klub bewegt sich bei den Umsatzerlösen um die 100 Millionen Euro. Das ist ein mittelständisches Unternehmen, das können Sie nicht führen wie eine Pommesbude. Ich muss klare Visionen und Strategien haben und wissen, wo der Klub in fünf Jahren stehen will. Das war und ist meines Erachtens nicht erkennbar.

Union Berlins Präsident Dirk Zingler hat in der "Welt am Sonntag" gesagt, man habe mit Hertha BSC das übelste Beispiel vor der Tür. Hat das Beispiel Lars Windhorst die Offenheit der Bundesligisten gegenüber Investoren negativ beeinflusst.

Die Kooperation von Lars Windhorst mit Hertha BSC hat der Bundesliga durchaus geschadet, da es enorm schlecht gemacht wurde. Daraus zu schließen, dass Investoren für die Bundesliga schlecht sind, ist aber absoluter Mumpitz. Es kommt auf den Kooperationswillen, das Konzept und die beteiligten Personen an. Das hat bei Hertha einfach nicht gepasst.

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Investoren werden seit jeher im deutschen Profi-Fußball abgelehnt. Ihnen wird wenig Herz und enorm viel Profitgier vorgeworfen. Woher kommt dieser schlechte Ruf?

Vielfach kommt dieser schlechte Ruf daher, dass es bisher einfach schlecht gemacht wurde und sich die Parteien keine Gedanken darüber gemacht haben, wie das Geld langfristig erfolgreich in die Substanz des jeweiligen Klubs eingesetzt werden sollte. Das Geld wird meist nur genutzt, um Lücken zu schließen. Das hat Hertha eindrucksvoll mit den Millionen von Lars Windhorst gemacht. Sie haben die prekäre Eigenkapital-Situation und eine Überschuldung abgewendet, ohne wirklich in die Substanz des Klubs zu investieren.

Und wenn wir den Spieß umdrehen: Ist die Bundesliga für Investoren uninteressanter geworden?

Gegenwärtig gibt es andere europäische Ligen, die durchaus eine höhere Attraktivität für Geldgeber oder Investoren ausstrahlen. Gerade die vielfach sehr umstrittene 50+1-Regel und die fadenscheinige Diskussion über eine schon nicht mehr existente Regelung schreckt viele ab.

Warum?

Wer Geld hineininvestiert, will doch über die Verwendung Transparenz und Mitspracherecht haben. Sie wollen doch auch, dass Ihre Bank Ihr Geld bestmöglich anlegt, um es nicht von der Inflation verbrennen zu lassen. Risiko muss in der Diskussion zwischen Klub und Investor minimiert werden. Damit das klar ist: Die 50+1-Regel ist zu befürworten; indes muss sie klar modifiziert werden, um die Interessen aller Anspruchsgruppen zu befriedigen – Klub, Fans und Investoren.

Dennoch sorgt es dafür, dass die Gehaltskosten und Transferausgaben nicht wie in der Premier League komplett ausufern.

Die Rahmenbedingungen, dass die Transfererlöse steigen, dass die Personalaufwendungen ausufern, sind Randerscheinungen, die der Regelgeber, also die DFL zusammen mit der Uefa oder gegebenenfalls mit der Fifa abstecken muss. Das hat aber nichts mit dem Investment zu tun. Wo Geld ist, werden natürlich Begehrlichkeiten geweckt. Das ist einzudämmen.

Und wie steht es nun um die Beliebtheit der Bundesliga bei Investoren?

Die sportliche Investitionslandschaft in Deutschland ist durch den Lars-Windhorst-Deal und die Unruhe bei Hertha ausgedörrt. Wir werden sehen, was in den nächsten Monaten noch geschehen wird. Aber die deutsche Bundesliga ist leider nicht die Herzkammer des globalen Fußballs. Die Zeiten sind vorbei.

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