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Hertha BSC: Nachwuchschef Pablo Thiam erklärt den Kampf um junge Talente

Die U19-Talente von Hertha bejubeln das 1:0 gegen Leipzig beim 1. Spieltag der neuen Saison.
Die U19-Talente von Hertha bejubeln das 1:0 gegen Leipzig beim 1. Spieltag der neuen Saison. Das Spiel endete 4:0.Bild: www.imago-images.de / imago images
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"Es gibt nur einen Grund, weshalb Spieler uns verlassen": Hertha-Nachwuchschef erklärt Kampf um Talente

Seit Sommer 2021 ist Pablo Thiam Nachwuchschef bei Hertha BSC. Im Interview mit watson spricht der Ex-Profi über die Spielidee vom Hertha-Nachwuchs und die Schwierigkeiten im Kampf um Talente.
22.08.2022, 12:20
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watson: Herr Thiam, Sie haben Ende der 80er und Anfang der 90er Jahre selbst im Jugendfußball gespielt. Würden Sie lieber noch einmal in dieser Zeit ihre Karriere anfangen oder die heutigen Nachwuchsleistungszentren durchlaufen?

Pablo Thiam: Vom Trainingspensum bin ich froh, dass ich in den 80er Jahren gespielt habe. Das ist enorm gestiegen. Andererseits weiß ich natürlich nicht, wie viel mehr ich noch hätte erreichen können, wenn ich nach heutigen Maßstäben trainiert hätte.

In den letzten Jahren war Hertha mit Finalteilnahmen und Meisterschaften im U17- und U19-Bereich erfolgreich, stellt auch viele U-Nationalspieler. Was läuft aus Ihrer Sicht schon gut?

Wir profitieren von der Größe Berlins, aber auch von der Zusammenstellung in Bezug auf die Multikulturalität und die Zockermentalität. Hier gibt es so viele Fußballkäfige, wie sonst nirgendwo. Diesen Straßenfußball mit den Dingen, die sie im Nachwuchsleistungszentrum lernen, macht aus ihnen etwas Besonderes.

Pablo Thiam war vor seiner Zeit bei Hertha für 18 Jahre in Wolfsburg. Er noch selbst als aktiver Spieler, später als Sportlicher Leiter der zweiten Mannschaft und als Chef der Nachwuchsabteilung.
Pablo Thiam war vor seiner Zeit bei Hertha für 18 Jahre in Wolfsburg. Er war selbst aktiver Spieler beim VfL Wolfsburg, seit Sommer 2021 ist er Hertha-Nachwuchschef.Bild: imago-images / imago images

Was war Ihre Vision als Sie bei Hertha angefangen haben?

Wir wollen diese Berliner Zockermentalität weiterentwickeln. Dafür haben wir eine Spielidee für die gesamten Jugendmannschaften entwickelt. Langfristig wollen wir es wieder schaffen, dass im Profi-Team ein Kern von jungen Spielern steht, der bei uns in der Akademie ausgebildet wurde.

Wie passt diese Vision mit dem Kurs der letzten Jahre zusammen, bei dem mit den Millionen von Investor Lars Windhorst viele teure Spieler geholt wurden?

Das war sowohl vor meiner als auch vor der Zeit von Fredi Bobic. Ich bin seit einem Jahr hier und habe den Kurs, den wir verfolgen, vor Augen.

Das heißt, Sie sind sich einig mit Fredi Bobic, dass Sie lieber auf eigene Spieler setzen, die sie ausbilden, anstatt ausschließlich externe Profis zu verpflichten.

Das ist der Idealfall und was wir als Wunschtraum haben. Alles, was die Akademie macht, ist mit Fredi abgestimmt. Er unterstützt uns bestmöglich.

Trotzdem gibt es immer wieder Kritik, dass die Durchlässigkeit nicht gegeben sei. Robert Andrich, der in Leverkusen spielt und bei Hertha aussortiert wurde, hatte sich zuletzt Anfang des Jahres kritisch darüber geäußert, dass seine Fähigkeiten nicht erkannt wurden …

Es gibt in jedem Verein solche Spieler, die den Schritt nicht ins Profi-Team geschafft haben und in einem anderen Klub dann aber ihr Profi-Debüt gegeben haben. Robert Andrich verkörpert mit seinen Fähigkeiten einen typischen Berliner Spieler. Woran es bei ihm gelegen hat, kann ich nicht beurteilen, weil ich noch nicht hier war. Aber an seiner Stelle wäre ich eher dankbar, weil er am Ende den Sprung über Umwege geschafft hat.

Robert Andrich spielte neun Jahre in der Hertha-Jugend, ehe er in die zweite Mannschaft der Berliner kam. Der Durchbruch gelang ihm dort nicht. Mittlerweile ist er Stammspieler in Bayer Leverkusen.
Robert Andrich spielte neun Jahre in der Hertha-Jugend, ehe er in die zweite Mannschaft der Berliner kam. Der Durchbruch gelang ihm dort nicht. Mittlerweile ist er Stammspieler in Bayer Leverkusen.bild: null / imago images

Freut man sich denn über Spieler, die zwar in der eigenen Akademie ausgebildet wurden, den Sprung zum Profi aber bei einem anderen Verein schaffen, genauso, wie über Spieler, die es ins eigene Profi-Team schaffen?

Wir freuen uns über jeden Spieler, der in der Bundesliga landet. Selbst, wenn der Durchbruch nicht bei Hertha gelingt, sind sie die Vorbilder für die Jugendspieler der nächsten Generationen.

Sie haben die einheitliche Spielidee angesprochen, die sie bei Hertha für den gesamten Nachwuchsbereich eingeführt haben. Das erinnert an die Jugendarbeit von Ajax Amsterdam, wo das 4-3-3-System durchweg beigebracht wird. Gibt es auch ein solches Hertha-System?

Das Spielkonzept betrifft viele Dinge. Beispielsweise die Ausbildung der Spieler auf bestimmten Positionen, das Vereinheitlichen der Verhaltensweisen bei Angriff- und Abwehrpositionen. Wir haben zwei Spielsysteme festgelegt und tendieren auch dazu, das klassische 4-3-3 in der Akademie zu spielen. Aber nicht exakt so, wie es Ajax macht.

Wie ist die Reaktion der Jugendtrainer?

Sie waren in die Ausarbeitung mit involviert. Wir wollen solche Ideen den Trainern nicht "von oben" vorgeben. Wir haben gemeinsam die Spielertypen angeschaut, deren Fähigkeiten analysiert und aufgrund dieser Analyse das gemeinsame Konzept erarbeitet.

Weshalb ist ein übergreifendes Konzept sinnvoll und erfolgversprechend?

Es gibt wissenschaftliche Untersuchungen, die zeigen, dass eine Kontinuität in der Spielphilosophie dafür sorgt, dass Mannschaften auch über den Jugendbereich hinaus erfolgreich werden.

Wie sieht bei Ihnen für dieses einheitliche Spielkonzept das Scouting aus?

Bei Hertha machen die Trainer nicht für sich eine eigene Kaderplanung. Sondern sie wird mannschaftsübergreifend gemacht. Ein Spieler soll nicht nur für ein Jahr geholt werden, weil er gerade kurzfristig benötigt wird. Am Ende wollen wir lieber kleinere Kader mit Spielern, mit denen wir länger arbeiten, als jedes Jahr sieben auszutauschen.

Das setzt aber eine gute Planung voraus.

Vor allem setzt es voraus, dass unsere Trainer alle Spieler kennen. Es reicht nicht aus, nur die eigene Mannschaft zu kennen, sondern sie müssen auch die Jahrgänge davor und danach im Blick haben. Deshalb haben wir ein gemeinsames Trainingslager für die U17, U19 und der U23 gemacht und ein eigenes für die U14, der U15 und der U16.

Es gibt empirische Forschungen, die zeigen, dass leistungsorientiertes Training für Kinder erst ab 14 Jahren Sinn ergibt. Warum scoutet und fördert Hertha – und auch die meisten anderen Profi-Klubs – bereits für eine U9?

Man muss differenzieren: Unser Leistungsbereich beginnt mit der Umstellung auf das Großfeld in der U14. Was wir vorher machen ist eher identitätsstiftend, Breitensport und bindet die Spieler an den Verein. Die U9 bis zur U12 dient dazu, zu schauen, ob es Potenziale gibt.

Es geht also schon auch um Talent…

Natürlich versuchen wir dadurch schon früh Bewegungstalente zu erkennen. In der U9 sind meistens zehn Spieler. Sie sollen den Kern bilden und in den Folgejahren immer erweitert werden, um dann im Optimalfall im Großfeldbereich eine geschlossene Mannschaft zu bilden. Leistungsbezogenes Training fängt aber erst mit der Umstellung aufs Großfeld in der U14 an.

Welche Hindernisse gibt es in dem Prozess der Talentausbildung und -förderung?

Die Konkurrenz in Berlin ist unheimlich groß. Es gibt hier viele Vereine, die in der Jugend-Bundesliga spielen. Dazu haben quasi alle Vereine aus der Bundesrepublik Scouts hier, die schon sehr früh versuchen, Berliner Jungs für ihre Klubs abzugreifen.

"Ich kenne die Zahlen, die andere Vereine bereit sind zu zahlen. Da können wir nicht mithalten."

Sie selbst haben das Trainingsgelände rund um das Olympiastadion kritisiert. Es ist öffentlich zugänglich, dadurch können Scouts die Trainings ihrer Jugendmannschaften ohne Probleme beobachten. Können Sie dagegen etwas machen?

Ehrlicherweise nicht. Die Jungs werden dort auf dem Silbertablett präsentiert und sobald sie gut sind, werden sie von anderen Vereinen angesprochen. Wir müssen dafür sorgen, dass die Spieler trotzdem bleiben.

Wie?

Seit ich hier bin, haben wir in Strukturen und ins Personal investiert. Wir haben mehr Pädagogen, Athletik-, Torwart- und Spezialtrainer verpflichtet. Das ist ein gutes Fundament, mit dem wir den Jungs klarmachen, dass sie hier gute Voraussetzungen haben. Außerdem haben in diesem einen Jahr, in dem ich da bin, fünf Spieler ihr Bundesliga-Debüt gefeiert. Das habe ich in 18 Jahren in Wolfsburg nicht erlebt. Es gibt nur einen Grund, weshalb die Spieler uns verlassen.

Welcher ist das?

Geld. Wir haben ganz klare Grenzen gesetzt für unsere Nachwuchsspieler. Ich kenne die Zahlen, die andere Vereine bereit sind, zu zahlen. Da können wir nicht mithalten. Damit muss man leben, aber es gibt auch viele Spieler, die bei uns bleiben und den Sprung schaffen. Es gibt Berateragenturen, die bei uns über zehn Spieler unter Vertrag haben. Mache ich eine Ausnahme, fordern andere Spieler auch mehr Geld.

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