Es ist noch gar nicht lange her, da war die Formel 1 ein uncooler Nischensport. Eine willkommene Ausrede für vor allem Männer mittleren Alters, um den Sonntag auf der Couch und nicht beim Familienausflug verbringen zu müssen. Doch 2016 kaufte Liberty Media den angestaubten Rennzirkus – und polierte ihn kräftig auf.
Neben einer gelungenen Social-Media-Offensive und neuen, frischeren Konzepten für die Rennwochenenden setzte das amerikanische Medienunternehmen vor allem auf eine Karte: Netflix. Seit 2019 bringt der Streaminganbieter jährlich eine neue Staffel "Formula 1: Drive to Surive" raus. Und, oh boy, war das clever: Die Dokuserie entfachte einen globalen Hype um die Formel 1 und beschert der Rennserie Jahr für Jahr neue Rekorde bei den Zuschauer:innen.
Einen ähnlichen Anschub erhoffen sich die Verantwortlichen jetzt für die Frauenrennserie. "F1: The Academy" bedient sich dabei des bewährten Konzepts, ist aber aus mehreren Gründen gesünder und fortschrittlicher.
Während Männer auf der ganzen Welt anfangen, sich und ihr Bild von Männlichkeit zu hinterfragen, steht die Formel 1 immer noch still. Sie ist auch 2025 ein Machosport: Gefühle und Schwächen zeigen, wird hier noch genauso verteufelt wie vor 30 Jahren.
Die Rennserie diskutiert seit Monaten darüber, ob WM-Kandidat Lando Norris Arschloch genug ist, um Weltmeister zu werden. Ist der Brite womöglich zu soft, um es mit Strecken-Bully Max Verstappen aufzunehmen? Und wie "peinlich" (Zitat Helmut Marko) ist bitte Rookie Isack Hadjar, der es nach seinem verpatzten Premierenrennen in Australien wagte zu weinen? RTL-Kommentator Christian Danner war einer von vielen, die sich auf Markos Seite schlugen. Er habe kein Herz für Weicheier, urteilte Ex-Pilot Danner, ganz Rennfahrer der alten Schule.
Bei "F1: The Academy" ist die Realität eine andere. Gleich zu Beginn sehen wir Bianca Bustamante, die ihren McLaren beim Start in Miami abwürgt und in der Garage anschließend den Tränen freien Lauf lässt. Oder Lia Block, die sich im selben Rennen einen folgenschweren Dreher leistet und anschließend von zwei ihrer Konkurrentinnen am Strand getröstet wird (lieben wir!). Szenen, die bei den Männern unvorstellbar wären, wo schon der beschämt weinende Hadjar wie ein Jahrhundertereignis behandelt wurde.
Auch auf den Schultern der Fahrerinnen lastet enormer Druck, das ist nicht anders als bei ihren männlichen Kollegen. Die Opfer ihrer Familien waren groß, die eigene Erwartungshaltung ist riesig. Und jetzt hält auch noch die Netflix-Kamera drauf. Trotzdem ist der Umgang mit Zweifeln und Schwächen ein anderer als in der überdrehten, hypermaskulinen Welt von "Drive to Survive" und das tut gut.
Kaum eine Sportart ist so elitär wie der Motorsport und nirgends zeigt sich das so deutlich wie in der Formel 1. Noch nie ist eine Frau mitgefahren und Lewis Hamilton ist bis heute der einzige schwarze Stammfahrer der F1-Geschichte. In der sogenannten Königsklasse des Motorsports wimmelt es nur so von reichen, weißen Männern.
Dementsprechend ist auch "Drive to Survive" wenig divers. "F1: The Academy" ist erfrischend anders: Nicht nur sind hier alle Protagonistinnen weiblich, auch ihre finanziellen und ethnischen Hintergründe könnten unterschiedlicher nicht sein.
Da ist zum Beispiel Chloe Chambers, die in China geboren und mit elf Monaten von einem amerikanischen Ehepaar adoptiert wurde. Ihre Mutter ist Lehrerin, der Vater Finanzberater und ihre Biografie damit keineswegs typisch für den Motorsport. Oder Abbi Pulling, der die Zuschauer:innen in der zweiten Folge dabei zusehen können, wie sie ihr eigenes Merchandise designt und versendet, um sich mit den Einkünften das Rennfahren teilzufinanzieren.
Es gibt natürlich auch Ausnahmen, Motorsport ist schließlich für alle Geschlechter ein teures Hobby. Die Schwestern Amna und Hamda Al Qubaisi haben als Töchter von Khaled Al Qubaisi, Ex-Rennfahrer und reicher emiratischer Geschäftsmann, andere finanzielle Möglichkeiten als viele ihrer Gegnerinnen. Auf der anderen Seite sind längst nicht alle Formel-1-Fahrer mit einem goldenen Löffel im Mund geboren, siehe Lewis Hamilton oder Esteban Ocon.
Bei "F1: The Academy" haben aber alle eins gemein: Egal ob wohlhabend oder arm, arabisch oder europäisch, alle Fahrerinnen haben ihr Leben lang Diskriminierung erfahren, einfach weil sie Frauen sind und Motorsport lieben. Und das sind viel interessantere Heldenreisen, als sie die meisten Männer in "Drive to Survive" zu bieten haben.
Apropos Heldenreise: Es ist eine Wohltat, dass sich der Wettkampf der Frauen nicht so sehr neben, sondern in allererster Linie auf der Strecke abspielt. Ihr kommen dabei die Regeln der Frauenrennserie zugute, die fundamental anders sind als die der Formel 1.
Denn in der Academy fahren alle das gleiche Auto, die Fahrerin macht den Unterschied. Es geht in der Serie also viel weniger um Politik oder um den Wettstreit der Ingenieur:innen (was in Maßen auch seinen Reiz haben kann), sondern vor allem um Strategieschlachten und Rad-an-Rad-Kämpfe.
Für den Großteil der Motorsportfans hält die Serie außerdem einiges an Spannung bereit: Während viele von ihnen jedes F1-Rennen verfolgt haben, dürften die allerwenigsten auf dem Schirm haben, was vergangene Saison bei den Frauen passiert ist. Eines der großen Probleme von "Drive to Survive" – dass man als F1-Fan sowieso schon weiß, wie's ausgeht – erübrigt sich damit.
Es macht Freude, immer wieder von den Wendungen und Dramen im Titelkampf zwischen Doriane Pin und Abbi Pulling überrascht zu werden und mitzufiebern, wenn Rookies wie Lia Block um Podien und Aufmerksamkeit kämpfen.