Tränen und Freude: Wer hat hier eigentlich Gold gewonnen – und wer eine Medaille verpasst?Bild: imago images / schreyer
Meinung
Deutschland geht vor die Hunde. Die Wirtschaft schwächelt, Deutschland gilt als "der kranke Mann Europas". Die junge Generation will nicht mehr arbeiten, nichts mehr leisten. Generell die Leistungskultur – das ist doch ein Wert, der gar nichts mehr zählt. Das sieht man nicht nur an der Wirtschaft, sondern auch im Sport.
Exportweltmeister sind wir schon lange nicht mehr und auch der letzte Weltmeistertitel im Fußball ist gefühlt eine Ewigkeit her. Im Jahre 2024 muss man sich schon über einen Viertelfinaleinzug bei einer Heim-EM freuen. Und dann auch noch Olympia ... Paris schön und gut, es gab einige Highlights. Aber so wenige Medaillen wie bei diesen Spielen haben wir – ja, WIR – seit der Wiedervereinigung noch nie geholt.
Zum Klassiker wurde spätestens in den vergangenen Tagen etwa die Verknüpfung der Minimaländerung der strengen Bundesjugendspiele in den vergangenen Jahren mit dem Abschneiden der deutschen Athlet:innen bei Olympia.
Meine Güte, kommt mal runter.
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Wer im Anschluss an Olympia vor allem den Medaillenspiegel ins Auge nimmt, hat die Magie der Spiele nicht verstanden.
Olympia-Medaillen: Schlecht für Deutschland?
Auf X sind Kommentare zu lesen, wie: "Ich komme aus der Boomergeneration und frage mich, was haben wir mit der Erziehung unserer Kinder falsch gemacht oder was läuft hier schief?" Uff … wo soll man da überhaupt anfangen?
Um es zunächst klar zu sagen: Dass sich die Verantwortlichen und sportlichen Funktionäre über die gesammelten Medaillen enttäuscht zeigen und Veränderungen fordern, ist verständlich. Für Olaf Tabor, den Leistungssportvorstand beim Deutschen Olympischen Sportbund, ist es schlicht und einfach sein Job, auf das Abschneiden des deutschen Teams hinzuweisen.
Also fair enough, wenn er sagt, man habe sich mehr erhofft und müsse Schritte einleiten, um mittelfristig wieder unter die Top 5 zu kommen. Dass sich jedoch viele Medien und konservative Lautsprecher auf X in ihrer Tonalität darüber einig sind, dass der Medaillenmangel Ausdruck eines staatskrisenähnlichen Zustands sind, ist fehl am Platz.
Kritik vor allem von Medien ärgerlich
CDU-Chef Friedrich Merz hielt sich mit seinem Statement fast noch zurück: "Auch sportlich steht Deutschland nicht da, wo wir stehen sollten und könnten." Wo sollten wir denn stehen? Vor uns stehen Länder wie die USA, China, Japan, Frankreich, Großbritannien und Südkorea.
Frankreich hatte als Gastgeber den Heimvorteil, Großbritannien ist nun mal ein Land mit traditionell guten Sportler:innen, die USA haben durch ihre schiere Einwohnerzahl einen Vorteil. China, Japan und Südkorea sind zudem Nationen, die entweder mit zweifelhaften Methoden ihre Sportler:innen zum Äußersten pushen oder in denen Leistungsdruck in den vergangenen Jahren ein gesellschaftliches Problem war. Wollen wir das etwa auch in Deutschland?
Dazu kommen die "kleineren" Australien, Niederlande und Italien. Auch keine "Laufkundschaft", wie man im Sportler-Jargon zu sagen pflegt – gegen diese drei Nationen kann man schon mal den Kürzeren ziehen, ohne direkt am Tiefpunkt zu sein. Vielleicht ist Deutschland in den vergangenen Jahren auch nicht schlechter geworden, sondern die anderen Länder sind besser geworden. Good for them, warum soll ich mich darüber ärgern?
Viele Medien stimmen jedoch in den Abgesang mit ein: "Ernüchternd", eine "Trauer-Bilanz", ein Abschneiden, aus dem "Deutschland lernen muss" – das sind noch die harmloseren Resümees, die in den vergangenen Tagen auf Newsportalen und in Zeitungen zu lesen sind.
Das Team Deutschland bei der Abschlussfeier in Paris.Bild: dpa / Jan Woitas
Trauern sollten deutsche Zuschauer:innen jedoch nicht. Natürlich ist es für die sieglosen Sportler:innen in einigen Disziplinen und das Team drumherum ärgerlich. Aber warum gleich für das ganze Land?
Olympia ist mehr als nur ein Medaillen-Ranking
Was zur Frage führt: Was soll Olympia Sportler:innen bieten?
Olympia ist Völkerverständigung, die Begegnungen im olympischen Dorf und auf den Zuschauerrängen sollen zu friedvollem Austausch führen. Olympia ist das größte Sportereignis der Welt, das einerseits unterhalten und andererseits Menschen auf der ganzen Welt zum Sportmachen animieren soll. Aber vor allem ist Olympia verdammt nochmal sportlicher Wettkampf auf allerhöchstem Niveau. Und solange man dabei alles gibt, ist das übergeordnete Ziel doch erreicht.
Wichtig ist doch, dass die deutschen Athlet:innen – genau wie auch die anderen Nationen – dem heimischen Publikum hervorragende Unterhaltung geboten haben. Sie trugen dazu bei, dass die Olympischen Spiele so viele tolle Bilder, so viele packende, emotionale Storys, so viele hochkarätige Wettkämpfe geboten haben.
Viel mehr als über die eine oder andere Medaille freue ich mich etwa über die vierten Plätze der deutschen Männer-Basketballer oder der deutschen rhythmischen Sportgymnastin Margarita Kolosov. Gerade im Fall Kolosovs ist das kurios: Denn ihre Landsfrau Darja Varfolomeev gewann Gold.
Der ganze Wettbewerb war niveauvoll und super spannend, doch Kolosov berührte mich am meisten. Es machte Spaß, ihr bei ihren Performances zuzuschauen.
Darum geht's doch. Und nicht um eine abstrakte Zahl. Olympia ist mehr als nur ein Medaillen-Ranking.
Mit großen Vorschusslorbeeren war Ron-Thorben Hoffmann im Sommer zu Schalke 04 gekommen. Bei seinem Ex-Klub Eintracht Braunschweig hätte er "unter schwierigen Umständen überdurchschnittlich gut performt", wie Ex-S04-Sportchef Marc Wilmots im Sommer erklärte.