Wir hier in der watson-Redaktion trauern noch immer dem Jahr 1904 nach. Dann nämlich, bei den Olympischen Spielen in St. Louis, haben zum ersten und letzten Mal die objektiv besten Sportarten Tabak-Weitspucken, Sackhüpfen und Tonnenschießen stattgefunden. Seitdem müssen wir die Olympioniken alle vier Jahre bei anderen Darbietungsformen körperlicher Ertüchtigung bestaunen, von denen, Gott sei Dank, einige auch überaus und überraschend sehenswert sind.
Hier kommen die sieben besten Sportarten der Olympischen Spiele 2024 aus der watson-Redaktion.
Sven Fröhlich, Volontär: "Michael Jung reitet nicht, er tanzt auf dem Grün. Er ist die perfekte Symbiose der Emotion und Reitkunst. Er holt Gold, Vive le France à la Bonheur, dies ist sein Arc de Triomphe, da sage ich Chapau. Er ist der König, le roi, der Reiterei." Kleist? Mann? Carsten Sostmeier!
Carsten Sostmeier kommentiert den Reitsport für die ARD wie eine verbale Bewerbung für den Georg-Büchner-Preis. Unter seiner melodisch wiegenden Stimme reiten Pferde nicht, sie bewegen sich "tänzerisch leicht wie das Lichtspiel einer Kerze, das sich in seiner sanften Brise elegant hin und her bewegt".
Wenn Sostmeier im reibenden Vibrato die Stimme wegbricht, weil er von Isabell Werths Silbermedaille und den "Geschenken, die die Pferde uns bereiten" so ergriffen ist, dann ist es auch eigentlich ganz egal, dass in den Minuten zuvor eine westfälische Fuchsstute einfach nur einen ulkigen Tanz aufgeführt hat und in sechs Monaten eingeschläfert wird, weil sie sich die Hufe an Thomas Müllers Schienbein gestoßen hat. Augen zu und genießen.
Jannik Sauer, Redakteur News und Sport: Kaum eine olympische Sportart hat mich so beeindruckt wie das Wasserspringen. Die Dramaturgie der Wettkämpfe sucht ihresgleichen: In zehn Metern Höhe wagen sich die Springer:innen an den Rand des Abgrunds, hoch konzentriert und mutterseelenallein stehen sie unter dem Dach der Halle, das Publikum hält den Atem an.
Dann der Sprung: So viele Salti und Schrauben, dass man gar nicht hinterherkommt. Wie Pfeile schießen die Springer:innen ins Wasser.
Nicht nur die Dramaturgie, auch die Athlet:innen haben es mir angetan. Sie sind grazil wie Turner, unerschrocken wie Surferinnen, muskulös wie Sprinter. Und das Beste: Beim Synchronspringen gibt es sie sogar im Doppelpack.
Nathalie Trappe, Volontärin: Alle vier Jahre wieder machen mich die Olympischen Sommerspiele nostalgisch. Wenn ich die Stadien der Leichtathletik sehe, die mich schon für sich ein bisschen an den eigenen Sportunterricht in der Schule erinnern, fühle ich mich wieder wie ein Schulkind in den Sommerferien. Und stelle fest, dass Leichtathletik noch immer underrated ist.
Ich war eines jener Kinder, das im Sportunterricht als Letzte ins Team gewählt wurde, beim 1000-Meter-Lauf traten mir die Jungs aus kindlicher Boshaftigkeit in die Hacken. Doch es gab eine Sache, die ich schon immer geliebt habe: Hochsprung. Wenn ich jetzt den Athlet:innen in Paris dabei zusehe, wie sie scheinbar mühelos über die Stange hüpfen und dann die Latte noch ein Stück nach oben gelegt wird, kommt ein weiteres Gefühl aus meiner Kindheit zurück, das sich beinahe pathetisch anfühlt.
Denn beim Hochsprung kommen für mich nicht nur Strategie, Ehrgeiz und Sport zusammen, es gibt mir auch ein Gefühl von Optimismus. Mit der Leichtathletik habe ich selbst meine persönlichen Lieblingssportarten gefunden, die Matte ist dabei für Yoga, Pilates und Poledance geblieben. Aber wenn im Hochsprung die Athlet:innen plötzlich zu fliegen scheinen, habe ich eben auch das Gefühl, dass im weitesten Sinne alles möglich ist. Gleichberechtigung, Frieden, Sportunterricht mit Spaß – danke, Olympia für diese Utopie!
Tobias Wellnitz, Praktikant: An sonnigen Tagen den Olympia-Livestream laufen zu lassen, kam bei mir häufiger vor, doch keine Disziplin hat mich so am Bildschirm gefesselt wie BMX-Freestyle.
Am Place de la Concorde, im Herzen von Paris, wurden beeindruckende Kunststücke auf dem kleinen Fahrrad gezeigt. Es ist erstaunlich, wozu diese Sportler:innen fähig sind und welch ein Verletzungsrisiko diese eingehen, um eine Medaille zu gewinnen.
In Deutschland hat die Disziplin nur wenig Aufmerksamkeit. In der Männerklasse hat sich kein Deutscher für Olympia qualifiziert. Bei der Frauenklasse hingegen, haben wir mit Kim Lea Müller eine Starterin gehabt, die sogar einen beeindruckenden zwölften Platz belegen konnte.
Aber unabhängig von dem Teilnehmerfeld macht es riesigen Spaß den Athlet:innen zuzuschauen, wie sie ihre Show abliefern.
Jan Schultz, Sportredakteur: Dass die großen Idole der Jugend heutzutage nicht mehr ausschließlich aus dem Fußball zu kommen haben, hat sich bereits in den vergangenen zwei Jahren abgezeichnet. Dennis Schröder, die Wagner-Brüder und Co. erleben spätestens seit dem WM-Erfolg im vergangenen Jahr einen echten Hype.
Bei Olympia haben sie ihren Status als Spitzenteam bestätigt. In die Phalanx der Großen sind überraschend zudem zwei weitere Mannschaften vorgestoßen. Die deutschen Basketballerinnen rund um Satou Sabally waren nur von den USA sowie Frankreich zu stoppen.
Und dann waren da auch noch die 3x3-Basketballerinnen. Ich will ehrlich sein, vor Olympia in Paris kannte ich lediglich den Namen der vergleichsweise jungen Disziplin. Nachdem ich die deutschen Frauen aber einmal über den Court habe dribbeln sehen, musste ich zu jedem Spiel wieder einschalten. Die Geschwindigkeit, die technische Finesse und die Präzision unter Zeit- sowie Gegnerdruck. Dieser Sport hat alles!
Sogar ein Happy End, denn die deutschen Damen schnappten sich sensationell Gold. Aber eigentlich logisch, im Jahr 2024 ist Deutschland schließlich eine Basketball-Nation.
Dariusch Rimkus, Volontär: Ist das noch Olympia in Paris oder eine Zeitreise ins Jahr 2011? Ich schließe meine Augen und vergesse das Büro um mich herum. "Party Rock Anthem" von LMFAO lässt meine von zu viel Bier und zu billigen Shots aufgewärmten Beine ihre ersten Tanzversuche in der Abi-Zeit unternehmen. So ein cooler, aber schriller Sound – das war in den 2010ern nun mal so.
Ich öffne meine Augen wieder und sehe eine ganz andere Szenerie. Nur der Song ist derselbe. Wie wild schwingt die deutsche Athletin Margarita Kolosov in der rhythmischen Sportgymnastik ihre Keulen durch die Luft. Sie streckt sich, wirft, wirft sich hin, wirbelt, trommelt gar kurz mit den Keulen auf dem Boden. Und plötzlich shuffelt sie auch noch.
Wem das nichts sagt: Der Shuffle ist ein als peinlich-ikonisch verrufener Tanz, der durch das trashige Pop-Duo LMFAO und ihr Musikvideo zu "Party Rock Anthem" bekannt wurde. Doch Kolosov ist überhaupt nicht peinlich, ebenso wenig wie rhythmische Sportgymnastik.
Sie zündet mich als zuvor uninteressierten Zuschauer mit ihrem Mix aus maximaler Eleganz und Unbekümmertheit absolut an – und löst neben Nostalgie-Gefühlen auch Respekt aus. Was eine Darbietung, was ein Sport.
Claudia Florkowski, Chefin vom Dienst: Es war Sonntag, ich hatte eine Wochenend-Schicht und damit bereits acht Stunden Olympia-Livestream hinter mir. Fechten, Bogenschießen, Hockey... alles floss irgendwann ineinander und interessierte mich ehrlicherweise eher so semi. Und dann kam Surfen.
Es geht bei dem Sport darum, die Wasseroberfläche zu lesen, die perfekte Welle im Entstehen zu finden und sie möglichst spektakulär zu reiten. So weit, so gut, das ist schnell kapiert und mit Camilla Kemp und Tim Elter qualifizierten sich sogar zwei Deutsche für Olympia.
Beide schieden recht schnell aus, aber da war es schon zu spät und um mich geschehen: Abgesehen davon, dass man als Mensch kaum cooler aussehen kann, während man durch den Tunnel einer türkisblauen Welle surft, war die Kulisse atemberaubend. Surfen fand als einzige Disziplin auf Tahiti statt. Nach den ersten Runden im TV schnellten die Suchanfragen, wie man am besten zum Urlaub machen nach Tahiti kommt, in die Höhe.
Ich guckte Surfen an dem Abend bis 4 Uhr in der Früh und stellte fest: Es gibt einfach keine bessere olympische Disziplin. Die lässigen Athlet:innen, die Moves, die Landschaft. Und dann schob sich plötzlich auch noch ein gigantischer Wal ins Bild. Als wäre das nicht schon krass genug: Auch witzige Bilder hatte Tim Elter zu bieten. Da ist seine Sportart schon mal im deutschen Fernsehen zu sehen und dann zieht ihm auch noch eine Welle die Badehose bis unter die Pobacken. Aber egal, er nahm es mit Humor.