Im März 2016 spielte Melvyn Lorenzen noch eine Halbzeit für Werder Bremen gegen den FC Bayern München. Aktuell heißen die Gegner für den mittlerweile 27-Jährigen SV Quitt Ankum, KFC Uerdingen und Eintracht Rheine. Lorenzen ist gerade vereinslos und absolviert das Trainingslager der Vereinigung der Vertragsfußballer (VDV).
Während für Bundesliga-Profis die Vorbereitung endet und die Saison am Wochenende beginnt, bangen die Teilnehmer des aktuellen VDV-Trainingslagers noch um ihre Zukunft. 15 vertragslose Spieler werden vom ehemaligen Bundesliga-Coach Peter Neururer trainiert. Sie absolvieren Trainingseinheiten und treten in Testspielen an, ähnlich wie es die Profi-Vereine in der aktuellen Vorbereitung machen.
Das Ziel: die Spieler sollen wieder einen Vertrag bei einem Klub unterschreiben – laut Aussagen der VDV schaffen das auch durchschnittlich 80 Prozent der Teilnehmer. Lorenzen ist einer dieser Teilnehmer, der darauf hofft.
Im Gespräch mit watson spricht der Stürmer nun über seine aktuelle Situation, die Vergangenheit und seine Ziele und Ansprüche für eine Zukunft im Profi-Fußball.
"Es war noch nie in meiner Karriere so, dass alles immer ohne Probleme ging. Egal, ob es Verletzungen waren oder Leute, die mich nicht im Profi-Fußball gesehen haben. Es gab einen Zeitpunkt in meiner Jugend, zu dem ich mit Fußball aufhören wollte", beginnt Lorenzen auf die erste Frage im Interview zu antworten.
Dann schiebt er nach, dass sich bei ihm die Situation oft sehr schnell zum Positiven gewandelt habe. Seit seinem elften Lebensjahr durchlief er diverse Nachwuchsteams vom Oldenburger SV, Holstein Kiel und landete anschließend 2013 bei Werder Bremen II.
Von 2015 bis 2017 gehörte er sogar zum Bremer Profikader, spielte zweimal gegen den FC Bayern. Bei insgesamt 14 Einsätzen in der Bundesliga durfte er einen Treffer bejubeln. Trotzdem ließ Bremen den Vertrag im Sommer 2017 auslaufen. Lorenzens Pech: Immer wieder bremsten ihn Verletzungen aus. Mal fehlte er wegen Meniskusproblemen über 100 Tage, dann zwang ihn ein Knorpelschaden zu fast einem Jahr Pause.
Nach seiner Zeit in Bremen blieb er knapp drei Wochen vereinslos, fand mit ADO Den Haag in der ersten niederländischen Liga aber schnell einen neuen Klub für zwei Jahre. Auch danach war er zunächst ohne Vertrag, damals sogar für zweieinhalb Monate, ehe er in der Ukraine bei Karpaty Lviv für fast drei Monate bis zum Saisonende unterschrieb.
Zu Beginn der Corona-Pandemie war er erneut ohne Klub und blieb es auch mehr als eineinhalb Jahre. Erst als er im August 2021 erneut für knapp drei Monate in Irland bei Sligo Rovers unterschrieb, war er im Profi-Geschäft zurück.
Bis dahin war Lorenzen auf Vereinssuche. Er erklärt, weshalb er es bis zu diesem Sommer blieb: "Ich wollte im Frühjahr nicht um jeden Preis einen Verein, weil ich dann mitten in der Saison angekommen wäre und eine ähnliche Situation wie in Irland gehabt hätte. Deshalb war mein Plan, für diesen Sommer fit zu sein."
In Irland kam Lorenzen während der Saison, brauchte zwei Wochen, um sich einzugewöhnen. Danach war das Team laut des 26-Jährigen erfolgreich und der Trainer wollte deshalb die Startformation nicht ändern – zum Leidwesen von Lorenzen, der nur siebenmal eingesetzt wurde.
Heute geht Lorenzen besser damit um, arbeitslos zu sein. Besonders bei seinem ersten Mal sei er nervös gewesen. "Man wird sehr ungeduldig. Die Vereine fangen an zu trainieren, verpflichten Spieler. Auf einmal hat ein Klub Interesse an dir und ein paar Tage später entscheiden sie sich für einen Anderen. So etwas macht Angst", berichtet Lorenzen.
Gleichzeitig fühlte sich der Rechtsfuß nicht auf die Zeit als Fußballer ohne Arbeitgeber vorbereitet: "Keiner will sich darauf vorbereiten, dass er mal keinen Verein haben könnte. Man lernt das mit der Erfahrung. Beim ersten Mal kam es mir schlimmer vor als man es sich vorstellt. Aber letztlich ist es gar nicht so schlimm."
Die freie Zeit seit seinem letzten Engagement bis zum Trainingslager der VDV hat Lorenzen allerdings nicht nur genutzt, um sich fit zu halten. Er stellte sich auch breiter auf: "Ich habe angefangen, mich mit Blockchain, also der Technologie hinter Kryptowährungen, zu befassen. Ich habe dort auch recherchiert und in verschiedene Projekte investiert."
Sein Vorteil sei, dass es für ihn vor der Zeit ohne Vertrag finanziell gut lief, "sodass ich mir erstmal finanziell keine Gedanken machen muss".
Aktuell liegt der Fokus von Lorenzen voll und ganz auf den insgesamt vier Wochen Trainingslager. Im Team der VDV gehört er mit 26 Jahren zu den älteren Spielern, weshalb er seinen jüngeren Kollegen häufig beruhigend zur Seite steht: "Sie sind oft zum ersten Mal ohne Verein, werden ungeduldig und wollen beim ersten Angebot direkt zuschlagen, obwohl es vielleicht nicht die beste Möglichkeit ist."
Auf dem Platz geben sie gemeinsam unter der Woche Gas, dazu gehört wöchentlich auch jeweils ein Testspiel. Gerade da kann sich der Flügelspieler jetzt zeigen. Gegen Bezirksligist Ankum (6:1) traf er einmal, gegen Oberligist KFC Uerdingen (1:2) jubelte er ebenfalls.
Nach einer Trainingswoche bei der VDV halten sich die Fußballer am Wochenende selbst fit, Trainingspläne bekommen sie als Option mit. Die Wochenenden sind aber auch meist die Phasen, in denen Bewegung in die Vereinssuche reinkommt.
Lorenzen erklärt: "Die Trainer der VDV erhalten Anrufe von Vereinen, die sich informieren wollen, wer in der Trainingsgruppe ist und wie er sich macht." Lachend fügt er hinzu: "Die Trainer hoffen dann, dass sie uns in der nächsten Woche nicht mehr wiedersehen." Das hieße, dass der Spieler einen Arbeitgeber gefunden hat.
Eine besondere Rolle spielen da laut Lorenzen auch Übungsleiter Peter Neururer und weitere Menschen, die in der VDV arbeiten, da sie "ein gutes Netzwerk in die Vereine haben". Neururer soll gegenüber Lorenzen sogar bereits angedeutet haben, dass einige Klubs wegen des Stürmers nachgefragt haben.
Um attraktiver für einen Verein zu sein, würde Lorenzen auch auf einen Berater verzichten. Wenn ein Klub auf ihn zukäme, sehe er keine Notwendigkeit, noch einen Berater dazwischenzuschalten und würde selbst den Vertrag aushandeln. Für die Tätigkeiten des Agenten müsse "der Verein am Ende noch Honorar zahlen".
Gleichzeitig hat Lorenzen nach eigenen Aussagen schon einmal einen Vertrag für sich ausgehandelt. Als er zu Karpaty Lviv wechselte, führte er eigenständig die Gespräche mit den Vereinsverantwortlichen. Er habe es als "Entwicklungsschritt" für sich gesehen, sich vorher Ratschläge von ehemaligen Weggefährten geholt und gleichzeitig bei vorherigen Vertragsverhandlungen bereits mit am Tisch gesessen.
Aus dieser Tätigkeit habe er für sich gezogen, dass er sich eine Zukunft als Berater vorstellen kann. "Mit meiner Persönlichkeit und Erfahrung kann ich den Spielern einen Mehrwert bieten", ist Lorenzen von sich überzeugt. Lachend und gleichzeitig hoffnungsvoll ergänzt er aber noch: "Ich hoffe aber, dass das noch nicht jetzt ist, sondern in acht oder zehn Jahren."